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Ungestörte Religionsausübung

Ungestörte Religionsausübung

Ein Beitrag von Helwig Wegner-Nord, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt

Diese Zahlen! Im August waren es über 100.000 Menschen, die zu uns gekommen sind. Im September dann fast doppelt so viele. Ist das noch Zuwanderung oder schon Völkerwanderung? Und: Kann das gutgehen? Die Meinungen gehen weit auseinander: Manche trauen unserem Land alles zu. Andere gar nichts. Und dazwischen sind die, die sich hin- und hergerissen Sorgen machen, ob und wie die zugewanderten Menschen in Deutschland bei allem guten Willen wirklich integriert werden können.

Neben den großen Zahlen steht mir dann immer wieder die einzelne Familie vor Augen, die Mutter aus Syrien mit ihren fünf Kindern, das jüngste mit neun Monaten trägt sie auf dem Arm. Schweren Herzens hat sie sich entschlossen, ihre Heimat zu verlassen, in der sie verfolgt wurde, in der sie keine Zukunft mehr für sich gesehen hat. Wie viel sie zurücklassen musste!

Doch wer sich diesen Menschen zuwendet, die bei uns ein neues Leben beginnen wollen, kann spüren: sie haben nicht nur viel zurückgelassen, sondern sie haben auch ganz vieles mitgebracht. Ihre Sprache, ihre Kultur, ihre Hoffnung. Und dann noch etwas: ihren Glauben.

Khushwant Singh, der Vorsitzende im Frankfurter „Rat der Religionen“, hat neulich darauf aufmerksam gemacht, dass da nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund bei uns leben werden, sondern „Menschen mit Religionshintergrund“. Religion gehört zu dem wenigen, das ich mitnehmen kann auf die Reise in das fremde Land.

Meine Religion, mein Glaube ist auch das, was mir hilft, meine Identität zu bewahren. In der Fremde stellt sich stärker als zu Hause die Frage: wer bin ich eigentlich? Bei den Christen aus Eritrea oder Syrien, bei den Jesiden und Mandäern aus dem Irak ist es ja gerade die Religion, die sie zu Verfolgten gemacht hat. Der Glaube kann zu einer Brücke werden zwischen dem, woher ich komme und dem, wo ich jetzt gelandet bin.

Flüchtlinge willkommen zu heißen, bedeutet darum für mich auch, sie darin zu bestärken, hier ihre Religion ausüben zu können. Neben die Begrüßungspäckchen mit warmen Jacken und Spielsachen gehört in den Willkommenskorb der Artikel 4 des Deutschen Grundgesetzes: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

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