Siehe, ich mache alles neu
Siehe, ich mache alles neu. Dieses Versprechen steht auf den letzten Seiten der Bibel. Wo es sich erfüllt, bemerken wir meist erst im Nachhinein. So wie Fräulein Lehmann. Das "Frollein", wie alle sie nennen, wenn sie nicht dabei ist. Sie war eine halbe Ewigkeit Grundschullehrerin im Dorf. Beinahe alle haben bei ihr gelernt, eine Reihe ordentliche As oder Fs in ihr Heft zu schreiben, auf hundert zu zählen und das Vater Unser aufzusagen. Dann ist sie in den Ruhestand gegangen und hatte so mehr Zeit für ihre Walkinggruppe. Rumstehen oder langsam tun, das war noch nie ihre Sache.
Zum achtzigsten Geburtstag hat sie beinahe das ganze Dorf in ihrem Wohnzimmer empfangen, schön nacheinander. Wie immer war sie sehr aufmerksam mit ihren Gästen und dankbar für jede Karte und jeden Blumenstrauß. Dann, in der Nacht ist sie gestürzt. Arm gebrochen, Verletzung am Kopf. Ein paar Wochen hat sie im Krankenhaus verbringen müssen. Die fremde Umgebung hat ihr nicht gutgetan.
Sie wirkte verwirrt, hat nicht bemerkt, wenn sie Sachen mehrmals erzählt hat, und alles, wofür sie sich sonst interessiert hat, schien weit weg von ihr. Auch wenn die Verletzungen geheilt sind, alleine würde sie zu Hause nicht mehr klarkommen. Also doch ins Altersheim. Wird sie das verkraften, sie, die ihr Leben lang im Dorf gelebt und immer für sich selbst gesorgt hat, sie, die jeden kennt…?
Viele haben sich ernsthaft Sorgen gemacht. Aber dann die Überraschung: "Ach wissen Sie", sagt sie ihrem Besuch fröhlich, "das ist doch prima, jetzt bin ich das Ganze los, das Haus war ja sowieso zu groß, darum kümmert sich mein Neffe. Das Altenheim hier liegt so schön, mit Blick auf die Stadt, alle kümmern sich um mich, ich muss nicht für mich allein kochen und so. Das mit dem Arm wird auch schon wieder und wenn ich dann das Einzelzimmer habe, das man mir versprochen hat, dann kann ich mir ein paar von meinen Büchern holen und es mir hier gutgehen lassen."
"Siehe, ich mache alles neu" (Offenbarung 21,5). Das Versprechen auf den letzten Seiten der Bibel. Es gilt offenbar bis ins hohe Alter. Für Fräulein Lehmann war alles neu geworden. Und sie glaubt, dass das für sie noch nicht das letzte Mal war.
