Schweigepflicht
„Ich möchte was zurückgeben,“ sagt mir eine jugendliche Stimme am Telefon, er nennt seinen Namen nicht, aber sagt weiter: „Es kam weg und jetzt ist es wieder da.“ Als ich frage, was es denn ist, druckst er am Telefon so rum. Er sagt: Ich werde es ja sehen.
Später kommen drei Jugendliche vorbei. Sie bringen eine Musikanlage mit Verstärkern, Lautsprechern. Sie stammt aus einer Schule in der Nähe. Bei einem Einbruch kam sie abhanden. Hier ist sie nun. Ich sehe den Stempel der Schule an der Seite der Geräte.
Hat das Gewissen zugeschlagen, als sie gemerkt haben, dass sie das nicht zu Geld machen können? Haben ihnen die Eltern die Hölle heiß gemacht? Ich frage nichts. Und die drei sagen auch nichts. „Gut!“ Sage ich, „ich bringe sie morgen zurück.“ Sie nicken kurz und verschwinden. Ich rufe die Schulleiterin an und kündige die Rückgabe an. Auch sie fragt nichts. Ich lade am nächsten Morgen die Sachen in mein Auto und schleppe die Gerätschaften in die Schule. Die Schulleiterin hat Kaffee gekocht. Sie fragt nicht nach wem und wieso. Sie ist glücklich, dass ihre Schüler wieder ordentlich Musik machen können.
Ich finde: Die seelsorgerliche Schweigepflicht ist gut. Die von Pfarrern, Ärzten und Anwälten. Natürlich hat sie auch Grenzen – wo man Schlimmes im Vorfeld verhindern muss. Wo man nachdrücklich einwirken muss, dass ein Täter sich stellt. Die Schweigepflicht ist keine Tarnkappe und kein Deckmantel für Verbrechen. Die Schweigepflicht ist aber eben auch eine Chance. Und darum ist sie ein hohes Gut und schützenswert. Sie darf nicht durchlöchert werden.
Der Verschwiegene darf nicht zwangsverpflichtet werden können, sein Geheimnis öffnen zu müssen. Auch wo es um psychische Erkrankungen mit schlimmen Folgen geht, muss die Schweigepflicht eines Psychologen oder Psychiaters geschützt bleiben. Die Schweigepflicht ist eine Chance zur Umkehr. Sie kann heilsam sein.
