Ihr Suchbegriff
Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Ksenija Auksutat
Ein Beitrag von Ksenija Auksutat, Evangelische Pfarrerin, Stockstadt

Ich liebe mein Zuhause. Nach der Arbeit oder wie jetzt am Wochenende ist es für mich ein Rückzugsort. Meine kleine heile Welt ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, keine Angst vor Bomben oder Soldaten – das gab es nicht immer.

Meine Mutter hat vor siebzig Jahren als Kind erlebt, wie der Krieg zu Ende ging. Da war sie knapp sieben Jahre alt. Anfang Mai 1945 kehrte sie mit ihrer Mutter zurück nach Leipzig. Dort hatten sie gelebt und während der Luftangriffe waren sie irgendwo auf dem Land untergekommen. Nun suchten sie ihre alte Wohnung. Als sie schließlich vor dem Haus standen und sahen, dass es nicht zerbombt worden war, da warf sich meine Oma auf die Straße und weinte, so erzählt es meine Mutter. Als Kind hatte sie das nicht verstanden, sie fand es einfach nur merkwürdig, was ihre Mutter da vor aller Augen tat. Man ließ sich als Erwachsener doch nicht einfach so auf die Straße fallen!

Aber für meine Oma war es wie ein Wunder. Inmitten von Zerstörung und Not hatte sie für sich und ihre beiden kleinen Kinder, meine Mutter und ihren fünfjährigen Bruder, wieder ein Zuhause. Sie teilten es sich mit einer anderen Flüchtlingsfrau, auch eine Mutter mit zwei Kindern. Ein Stückchen Sicherheit und Normalität inmitten dem täglichen Durcheinander. Was blieb, war die Sorge um den Mann und Vater, der als Soldat im Krieg als verschollen galt und natürlich der Hunger. Es gab einfach viel zu wenig zu essen. Den Großteil des Tages war meine Oma damals auf der Suche nach Lebensmitteln für sich und ihre beiden kleinen Kinder.

Meine Mutter hat das geprägt. Ihre Kindheit über bis zur Einschulung war Krieg gewesen und dann das, was wir heute als „Nachkriegszeit“ bezeichnen.

Viele aus dieser Zeit sind inzwischen selbst alt geworden. In diesen Tagen gehen ihre Erinnerungen zurück an das Kriegsende. Manche von uns Jüngeren denken sich vielleicht: Ach, die alten Geschichten. Aber ich finde, dass es wichtig ist, von ihnen zu hören, für die Kinder- und auch für die Enkelgeneration, das sind ja die Kinder und Jugendlichen von heute. So ein Weltkrieg darf sich nicht wiederholen, alle müssen dazu beitragen, den Frieden zu erhalten. Denn der Krieg, der damals in Europa zu Ende ging, war ja nicht der letzte Krieg. Die Nachrichten melden es jeden Tag: Die Welt ist weit davon entfernt, friedlicher zu werden.

II

Ich bin so dankbar, dass ich keinen Krieg erleben musste. Wir leben in einem geeinten und starken Europa. Die Grenzen zwischen den Völkern, die sich damals so furchtbar bekämpften, sind offen. Ich und viele andere genießen die Möglichkeit, eben mal schnell nach Frankreich oder Polen fahren zu können. In unseren Wohnorten und Arbeitsplätzen ist das Zusammenleben unterschiedlicher Nationen selbstverständlich geworden.

Aber es gibt schlimme Konflikte in vielen Ländern. Wir leben in einer Welt, in der zahllose Menschen unter Krieg und Not leiden. Vor fünf Jahren gab es weltweit sechs akute kriegerische Auseinandersetzungen, aber aktuell zählen die Friedensforscher mehr als zwanzig Kriege, und dabei sind weitere sogenannte bewaffnete Konflikte nicht eingerechnet.

Heute spielen bei vielen Konflikten die Religionen eine Rolle. Das ist anders als vor siebzig Jahren. Es scheint, als hätte der Glaube Mitschuld an der Gewalt zwischen Menschen und Völkern.

Alle Religionen machen sich Gedanken um Konflikte und Gewalt und suchen Wege, den Frieden zu fördern.

Schalom ist das hebräische Wort für Frieden. Es bezeichnet im Alten Testament die große Vision und Verheißung Gottes für die Menschheit. Und das ist dort damit gemeint: Gott will, dass sein Volk im Frieden lebt. Im Frieden mit sich selbst, im Frieden untereinander und mit seinen Nachbarvölkern und im Frieden mit Gott. Was da im Alten Testament aufgeschrieben ist, ist richtig bis heute: Friede basiert auf Gerechtigkeit und gerechten Verhältnissen für alle. Genug zu essen, ein Dach über dem Kopf, Gesundheitsversorgung und Bildung – dazu die Möglichkeit, sich frei zu entfalten und in Sicherheit zu leben. Die Gesetzestexte der Bibel, die Zehn Gebote, alle Rechtssammlungen bis hin zu den Weisungen im Neuen Testament zielen auf diesen großen Frieden hin.

Gleichzeitig erzählt die Bibel aber auch viel, was deutlich macht: ein Leben ohne Streit und Konflikte gibt es nicht. Wut und Aggression, die Fähigkeit Gewalt auszuüben, all dies gehört zum Menschen dazu, ist Teil jedes Gemeinschaftslebens. Gleich am Anfang der Bibel wird die Geschichte von Kain und Abel erzählt .

Kain, der Ackerbauer, tötet seinen Bruder Abel. Dieser erste Mord geschieht aus Neid und Wut. Gott ist entsetzt über die Tat Kains und will ihn bestrafen. Gleichzeitig erklärt er Kain nicht für vogelfrei – obwohl er ein Mörder ist, sondern versieht ihn mit einem Zeichen, dem Kainsmal, das ihn schützen soll vor seinen Rächern und Feinden.

Diese Geschichte ist typisch für viele Geschichten der Bibel, die von Gewalt und Frieden handeln. Gott verurteilt die Tat, verlangt Rechenschaft und Erklärung von den Betroffenen, aber weist gleichzeitig einen Weg in die Zukunft.

Diese Verheißung des großen Schalom, des Friedens in Gerechtigkeit, mündet im Neuen Testament in das, was von Jesus zum Thema Frieden erzählt wird. „Stecke Dein Schwert an seinen Ort“, sagt Jesus zu einem seiner Jünger, der versuchte, Jesu Verhaftung zu verhindern . Das ist das, was Jesus grundsätzlich zum Thema Gewalt sagt. Für viele Anhänger und Anhängerinnen Jesu ist das die Richtschnur und prägte ihre Haltung: Gewalt ist keine Lösung.

Die Bibel zeigt: Friede ist nicht Gottgegeben. Er ist auch nicht Glückssache. Sondern er hat mit dem Tun und Lassen von Menschen zu tun. Aggression gehört zu den menschlichen Möglichkeiten. Genauso aber auch die Fähigkeit, sich zu verständigen, den Ausgleich zu suchen und bewusst auf Gewalt zu verzichten. So zu handeln, dass sich Menschen versöhnen und es gerechter zugeht, das ist unsere Aufgabe angesichts der Kriege in der Welt.

III

Der Schalom, von dem die Bibel handelt, macht klar, dass es nie nur um mich geht. Es geht immer auch um die Menschen und die Welt um mich herum. Meine Familie, mein Volk und andere Gemeinschaften. Schalom gilt darüber hinaus auch den Tieren und den natürlichen Lebensgrundlagen.

Ich selbst kann in meinem Umfeld Schalom verbreiten. Das sind meistens nicht ganz große Dinge, sondern viele Kleinigkeiten im Alltag. Ich denke zum Beispiel daran, fair gehandelten Kaffee zu kaufen. Der etwas höhere Preis sichert den Kaffeebauern, dass ihre Kinder die Schule besuchen können und sie sich eine bessere medizinische Versorgung leisten können.

Oder Flüchtlingen zu begegnen, die nach einer oft langen und gefährlichen Reise Schutz vor Krieg und Verfolgung finden. Wie das gehen kann, zeigen gute Beispiele aus Hessen.

Inzwischen gibt es in vielen Orten ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die sich um Einwanderer kümmern. Manche nennen sich Flüchtlings-Scouts. Sie wollen den Neuankömmlingen zur Seite stehen, etwa bei Behördengängen, aber ihnen auch den Alltag hier verständlich machen. Manche kümmern sich um passende Kleidung.

In Wiesbaden zum Beispiel haben ehrenamtliche Helfer mit Flüchtlingen Ikea besucht. Sie sind immer in kleinen Grüppchen durch gegangen und haben besprochen, was dort zu sehen ist. Der Esstisch war ebenso Thema wie die Badschränke und die Teppiche. Viel gelacht wurde dabei, auch Mitarbeiter dort haben die Gruppen begrüßt und sie auf dem Weg durch ihre Abteilung begleitet. Die Neuankömmlinge konnten erzählten, was sie alles vermissen aus ihrem früheren Zuhause. Der Schmerz bleibt, aber darüber hinaus machen sie Pläne für das neue Leben hier.

Vielleicht kommen auch sie irgendwann wieder zurück in ihr altes Zuhause. Und wer weiß, vielleicht zeigen sie dann auch auf ungewohnte Art ihre Gefühle. So wie meine Großmutter vor siebzig Jahren, als für sie nach dem Krieg vor Glück weinte, als sie merkte, dass ihr Zuhause noch stand. Etwas Frieden hatte sie auch erlebt – da, wo fremde Menschen ihnen weiter geholfen hatten. Wo diese im Alltag mit ihnen geteilt haben, was sie hatten.

So ist es mit dem Schalom. Dieser Auftrag Gottes führt zu vielen Begegnungen und kleinen Schritten. Frieden ist keine Glückssache, aber ein großes Glück.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren