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Schlüsselerlebnisse
Foto: pixabay

Schlüsselerlebnisse

Ein Beitrag von Martina Schefzyk, Evangelische Pfarrerin, Dreieich-Götzenhain

Liebe Hörer und Hörerinnen!
Liebe Gemeinde!

50 Jahre ist das her. Das Paar hatte sich das Haus ausgesucht mit viel Platz für die vierköpfige Familie. Das Haus lag in einem guten Viertel in der kleinen Stadt.. Mit ihnen zogen damals noch viele andere junge Familien hierher. Jeder kannte jeden. Es gab gemeinsame Grillfeste, und die Kinder spielten miteinander.

Fuhr eine Familie in Urlaub, sprach man sich ab. Einer war immer da, dem man den Schlüssel geben konnte, der sich um die Post und die Blumen kümmerte und nach dem Rechten sah. Man wusste sein Haus in guten Händen.

Gerda Müller denkt oft an diese Zeit zurück. Die Kinder sind inzwischen groß geworden und ausgezogen. Manch einer hat schließlich sein Haus verkauft und ist in die Nähe der Kinder gezogen. So ist es einfacher und man ist auch im Alter versorgt. In diese Häuser sind. neue Bewohner gezogen. Die kennt Gerda Müller nicht, niemand stellt sich vor, so wie früher. Nur ab und zu wird ihr Gruß auf der Straße erwidert.

Vor zwei Jahren ist ihr Mann verstorben. Das ist ein schwerer Einschnitt gewesen. Jetzt ist sie allein in dem viel zu großen Haus. Vergangene Woche ist die letzte vertraute Nachbarin in ein Pflegeheim gekommen. Gerda Müller kennt niemanden mehr richtig, nur noch vom Sehen.

Ab und an hat sie ein wenig Kontakt mit den neuen Nachbarn. Sie kommen aus Eritrea und sprechen nur ein wenig Deutsch. Das kleine Mädchen hat ein paar Mal bei ihr geklingelt, weil ihr Ball beim Spielen auf ihr Grundstück geflogen ist. „Sie sieht lustig aus mit ihren schwarzen Zöpfen “, denkt Gerda Müller. Aber mehr Kontakt gibt es nicht.

Jetzt hat Gerda Müller ein Problem. Schon lange wünscht sich ihre Tochter, dass ihre Mutter mit ihnen eine schöne Reise macht. (Jetzt könnte sie es noch und alle würden sich freuen, wenn die Omi mitkommt.) Aber wer soll dann auf ihr Haus aufpassen? Wem soll sie ihren Schlüssel anvertrauen?

Gerda Müller überlegt hin und her. Die Zeit drängt. Und dann fliegt mitten in ihrem Grübeln der Ball in ihren Garten. Dieses Mal kommt die Kleine mit ihrer Mutter. Sie hat einen Kuchen in der Hand. „Entschuldigung für Ihre Mühe“, sagte sie. Mali tut es leid, dass der Ball immer wieder über den Zaun fällt.“ Und eine Woche nach dieser Begegnung gibt Frau Müller sich einen Ruck und vertraut Familie Rabani ihren Wohnungsschlüssel an, mit klopfenden Herzen und noch etwas unsicher. Ob das wohl gutgeht?

Musik: César Cui, aus Five Pieces Opus 56, Valse

Wir haben im ersten Teil der Predigt von Erfahrungen und Gedanken von Gerda Müller gehört. Wem kann sie ihre Schlüssel anvertrauen? Wir hören nun vor dem zweiten Teil die Lesung aus dem Matthäusevangelium. Es ist ein Gespräch von Jesus mit seinen Jüngern, und besonders mit Petrus. Hören wir auf Worte aus dem 16. Kapitel:

Jesus fragte seine Jünger: Für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete ihm: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Jesus sprach: Du bist Petrus. Und auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen. Ich werde dir die Schlüssel zum Himmelreich geben.

Teil 2

Wem, liebe Gemeinde, vertraue ich meine Schlüssel an? Das ist eine heikle Frage. Wem gestatte ich damit Einblick in meine Privatsphäre, wem öffne ich einen Zugang zu meiner Wohnung? Es ist schon etwas Besonderes, wenn man verliebt ist und dem Freund oder der Freundin den Schlüssel zur eigenen Wohnung gibt. Mit einem Schlüssel lasse ich den anderen nicht nur in mein Haus, sondern auch in mein Leben.

Wem vertraue ich meinen Schlüssel an? Wenn ein frisch errichtetes Gebäude eröffnet wird, wird oft ein Schlüssel überreicht. Er ist ein Zeichen dafür, wer hier das Hausrecht hat/besitzt.

In unserem Predigttext zu Pfingsten, liebe Gemeinde, übergibt Jesus seinem Freund und Jünger Petrus einen Schlüssel mit den Worten: Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen. Ich werde dir die Schlüssel zum Himmelreich geben.

Petrus ist kein Vorzeigejünger, eher einer, der gern einmal den Mund zu voll nimmt. Als er Jesus kennenlernt am See Genezareth, da arbeitet er als Fischer. Er ist ein Profi, richtig gut in seinem Job. Eines Tages, als er von einer erfolglosen Nachtschicht müde und enttäuscht nach Hause kommt, da steht ein unbekannter Mann am Ufer und fordert ihn auf, nochmals auf den See zu fahren. Was für ein Besserwisser, denkt Petrus vielleicht. Was will der mir beibringen? Ich verstehe mein Handwerk. Aber dann fährt er doch noch einmal heraus und macht den Fischzug seines Lebens.

So sind sie einander begegnet, Jesus und Petrus. Petrus begleitet von da an Jesus. Sie erleben viel miteinander. Petrus nimmt den Mund auch mal zu voll: „Niemals werde ich dich verlassen“, verspricht er Jesus, kurz bevor Jesus verhaftet wird. Dann bekommt Petrus Angst vor seiner eigenen Courage. Dreimal verleugnet er Jesus, während der verhört wird.

Kaum zu glauben, liebe Gemeinde! Ausgerechnet diesem Mann vertraut Jesus die Schlüssel zum Himmelreich an. Jesus kennt Petrus mit allen seinen Fehler und Schwächen ganz genau. Und dennoch traut Jesus diesem Petrus etwas zu. Jesus denkt zukunftsorientiert, als wollte er sagen: „Gerade so jemanden braucht die Gemeinde. Einen, der im Leben steht, der sich auskennt und sich manchmal auch überschätzt. Einen, der immer wieder auch mit selbst kämpfen muss.“

Ein Petrus steckt in jeder und jedem von uns. Jesus traut Petrus etwas Großes zu, weil er ihn genau kennt. Und dennoch bekommt er den Schlüssel – und Petrus nimmt ihn an. Ein wirkliches Schlüsselerlebnis.

Musik. Philippe Gaubert, Divertissement Grec, Moderé

Teil 3

Liebe Gemeinde, Gott traut uns etwas zu. Er kennt uns, wie er Petrus gekannt hat. Wir sind wie Petrus auch nicht immer nur Strahlemänner und Superfrauen. Jede und jeder von uns hat seine eigenen Fähigkeiten und Begabungen – und liegt doch oft genug voll daneben. Trotzdem schenkt uns Gott sein Vertrauen. Gott gibt auch uns die Schlüssel in die Hand, damit wir ungeahnte Möglichkeiten aufschließen – für uns selbst und für andere.

So baut Gott an Pfingsten seine Gemeinde. Er braucht jede und jeden von uns mit all unseren verschiedenen Gaben und Möglichkeiten. Zum guten Gelingen, weil wir nicht alles aus eigener Kraft schaffen können, schickt Gott uns seinen Geist. Gottes Geist ist die Kraft, die uns hilft, die Tür zu finden und zu öffnen mit dem Schlüssel, der uns anvertraut wurde. Ich finde das einen faszinierenden Pfingstgedanken: Jede und jeder von uns hat eine eigene Schlüsselgewalt. Und manchmal öffnet sich dann die Tür zum Himmel einen kleinen Spalt.

Die Eltern, deren erwachsener Sohn spielsüchtig ist. Sie kommen an den Punkt, an dem sie sagen: Jetzt geht gar nichts mehr. Und doch verzweifeln sie nicht. Sie geben ihre Last an Gott ab. Und bekommen den Blick wieder frei, so dass nicht nur Sorge ihr Leben bestimmt. Sie können wieder hoffen.

Die junge Frau, deren Bild von Gemeinde und Pfarrern so negativ geprägt ist, dass sie der Kirche den Rücken kehrt. Nein, damit will sie nichts mehr zu tun haben. Und doch bleibt eine Sehnsucht. Und dann, über zwanzig Jahre später, macht sie eine ganz andere Erfahrung. Die Tür zur Kirche öffnet sich ihr neu.

Der Mann, der einen Menschen besucht, der im Wachkoma liegt. Jahrelang arbeiten sie in einer Männergruppe der Kirchengemeinde zusammen. Jetzt ist auf einmal alles anders geworden. Aber die neue Begegnung prägt. Es sind die kleinen Zeichen und Gesten, die uns das Leben bewusster spüren lassen.

Gerda Müller hat den inneren Sprung gewagt: Sie hat ihren Hausschlüssel der Nachbarsfamilie gegeben, obwohl sie die noch kaum kannte. Als sie erfüllt von ihrer Reise nach Hause kommt, atmet sie erleichtert auf. Sie findet ihre Wohnung so vor, wie sie sie verlassen hat.

Nein, nicht ganz: Auf dem Tisch steht ein kleiner Strauß selbstgepflückter Blumen und daneben liegt ein gemaltes Bild: „Für Desch, liebe Grüße von Mali.“ Und dieser neue Geist, den Gott uns an Pfingsten schenkt, öffne unsere Herzen und bewahre uns in Jesus Christus. Amen.

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