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ARD-Gottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit
Pierre Aden/GettyImages

ARD-Gottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit

Dr. Dr. h.c. Volker Jung
Ein Beitrag von Dr. Dr. h.c. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt

Gottesdienstübertragung des Ökumenischen Gottesdienstes zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2015, 10.00 Uhr, aus dem Dom St. Bartholomäus in Frankfurt

Predigt: Kirchenpräsident Dr. Volker Jung

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

Liebe Festgemeinde hier und zuhause,
An Tagen wie diesen …! – An Tagen wie diesen schauen wir dankbar zurück – auf die deutsche Einheit, die wir vor 25 Jahren wiedergewonnen haben. Auf den Mut vieler Menschen: Ihre Liebe zur Freiheit hat damals Grenzen geöffnet. Und wir schauen mit Dank zurück auf die vergangenen 25 Jahre neue, gemeinsame deutsche Geschichte. Es ist nicht selbstverständlich, dass so vieles gelungen ist. Es gibt viel Grund, dankbar zu sein: Dankbar für viele Menschen, die sich engagieren, damit alle hier gut leben können. Und dankbar für Gottes Güte, die diese Zeit erfüllt hat und erfüllt.

An Tagen wie diesen ist es aber auch gut, innezuhalten und sich auf das zu besinnen, worauf wir unser Zusammenleben gründen können, was Menschen verbindet und wichtig ist. Wir leben in einer höchst unruhigen Welt. Manche haben vor 25 Jahren gehofft: Die wichtigsten Probleme sind gelöst. Jetzt wird alles einfacher.

Ja – manches wurde gelöst. Anderes ist neu aufgebrochen. Was Menschen tun, schwankt immer zwischen Gelingen und Scheitern. Die Welt ist enger zusammengerückt.  Wir sind weltweit digital verbunden und wissen viel mehr voneinander. Chancen stehen neben Risiken. Das heißt auch: Weltweit sind Menschen unterwegs – auf der Suche nach einem guten Leben.

An Tagen wie diesen blenden wir das nicht in einem nationalen Hochgefühl aus. Dabei ist es gut, nach vorne zu schauen und die Zukunft zu gestalten. Es ist gut, bei den vielen Fragen und auch den vielen Stimmen, die raten und beraten, zu fragen: Worauf kommt es an? Was zählt wirklich?

„Welches Gebot ist das erste von allen?“ – So hat der Schriftgelehrte Jesus gefragt. Und Jesus antwortete, indem er aus der hebräischen Bibel das alte Bekenntnis Israels zitiert: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.“ Und Jesus hat  noch ein zweites Gebot dazu gefügt. Auch das ist ein Zitat aus den Heiligen Schriften Israels: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Jesus kommentiert: „Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“ Der Schriftgelehrte hatte ehrliches Interesse. Selbstverständlich kannte er die Gebote in den Heiligen Schriften. Und es sind ja etliche. Die zehn Gebote und darüber hinaus noch mehr. 613 Gebote haben die Schriftgelehrten gezählt. Und so fragt er: Was muss ich mir auf jeden Fall einprägen? Woran kann ich mich immer verlässlich orientieren?

Gibt es in den vielen Angeboten und Geboten dieser Welt einen Orientierungspunkt?

Es gibt eine Richtungsanzeige. Einen Kompass für mein Leben.

Jesus redet von der Liebe. Genauer von einer dreifachen Liebe: der Liebe zu Gott, der Liebe zum Nächsten und der Liebe zu sich selbst. Die Liebe ist das höchste Gebot. Die Liebe ist der Kompass für das Leben. Die Liebe verbindet Gott und Mensch. Die Liebe verbindet Mensch und Mensch. Vielleicht noch mehr: Die Liebe ist das Geheimnis des Lebens. Ohne Liebe wäre alles nichts. Der Apostel Paulus denkt so über die Liebe. Er schreibt: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte, wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“ Johann Sebastian Bach vermittelt es uns wunderbar musikalisch:   Wie gut es ist, Gott, dem Nächsten und mir selbst mit Liebe zu begegnen.

Musik: Bach-Kantate BWV 77/6, Schlusschoral „Herr, durch den Glauben wohn in mir“

Herr, durch den Glauben wohn in mir,
lass ihn sich immer stärken,
dass er sei fruchtbar für und für
und reich in guten Werken;
dass er sei tätig durch die Lieb,
mit Freuden und Geduld sich üb,
dem Nächsten fort zu dienen

So klingt Nächstenliebe bei Johann Sebastian Bach.
Ohne die Liebe wäre alles nichts. Weil es Liebe ist, die Menschen Kraft gibt. Die Liebe der Eltern macht Kinder stark und lebenstüchtig. Wir sehen den Schaden, wenn Kinder keine Liebe erfahren oder ihnen Schlimmes angetan wird. Die Liebe von Menschen trägt durch schwere Zeiten und gibt neuen Mut. Sie hilft, mit Einschränkungen zu leben. Viele Menschen sagen im Rückblick: Es war nicht allein der Erfolg, das Ansehen, die Karriere, die mein Leben wirklich erfüllt haben. Es waren die Menschen, die mit mir das Leben geteilt haben – meine Familie, meine Freunde – Menschen, die für mich da waren und für die ich da war. Und am Ende des Lebens ist es gut, nicht allein zu sein.

Jesus sagt: Die Liebe zu Gott, die Liebe zum Nächsten und die Liebe zu sich selbst gehören zusammen. Wenn du spürst, wie sehr du Liebe brauchst, dann spürst du auch, was andere Menschen brauchen. Und dann spürst du auch, was Gott will und was Gott dir schenkt.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Dein Nächster ist wie du darauf angewiesen, ihn in Not nicht verhungern, verdursten oder ertrinken zu lassen. Nächstenliebe ist darauf aus, anderen zu helfen, dass sie leben können. Sie schließt aus, andere vernichten zu wollen.

Es kann keine Gottesliebe geben, die das Leben von Menschen verachtet. Alle irren, die meinen, man könne mit Gottesliebe die Vernichtung von Menschen begründen. Das ist der große Irrweg. Auch die Christenheit hatte sich auf diesem Irrweg immer wieder verlaufen.

Gott, der uns in der Bibel bezeugt ist, ist der Gott der Liebe. Gott ruft nicht zum Hass, sondern zur Liebe, nicht zum Krieg, sondern zum Frieden. Und am Ende steht nicht der Tod, sondern das Leben.

Wenn wir solche Gedanken zu uns sprechen lassen, an Tagen wie diesen, dann ermutigen sie uns zu sehen, worauf es ankommt. Wir leben von Gottes Liebe, die uns ins Leben gerufen hat. Sie trägt und hält uns. Wir leben von der Liebe, die wir einander schenken.

Diese Liebe überwindet  Grenzen und  macht keinen Halt vor Grenzen zwischen Ländern, Kulturen und Religionen. Wer liebt, sieht im anderen Menschen nicht den Fremden, sondern die Schwester, den Bruder – auf Liebe angewiesen wie ich selbst.

Gott schenkt uns die Kraft, das Zusammenleben in unserem Land so zu gestalten, dass Menschen das leben können, worauf es ankommt – nämlich füreinander da zu sein. Gott schenkt uns die Kraft, dass wir damit beitragen zu einem guten und friedlichen Miteinander in Europa und in dieser Welt. Amen.

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