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Vom Umgang mit einer Krankheit
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Vom Umgang mit einer Krankheit

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen
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Sie hat es geschafft. Sie hat die Krankheit überwunden – mit Hilfe der Medizin, aber auch mit ihrem Kampfgeist und mit ihren Gebeten. Die Rede ist von Avril Lavigne, eine 34-jährige Popsängerin aus Kanada. Jahrelang belegte sie mit ihren Songs die oberen Plätze der Charts. Doch dann, 2014, wurde es plötzlich still um sie. Das hatte einen traurigen Grund: Avril Lavigne litt an einer schweren Krankheit. Vermutlich durch einen Zeckenbiss war sie an Borreliose erkrankt. Eine heimtückische Krankheit, denn sie hat keine eindeutigen Symptome. Deshalb ist sie nicht einfach zu diagnostizieren. Das ist aber wichtig, denn die Bakterien sind schwer zu bekämpfen, wenn sie sich erst einmal im Körper festgesetzt haben. Sie befallen vorwiegend die Organe, die Muskeln und die Gelenke – mit ernsthaften Folgen. Sie können zum Beispiel die Gesichtsmuskulatur lähmen, Augen und Ohren trüben und manches mehr.

Wie man sich in einer solchen Situation fühlt, wissen viele. Sie waren selbst schon einmal ernsthaft krank: Man hat Angst. Man ist wütend, dass alle Pläne durchkreuzt sind. Man fühlt sich hilflos und Elend, denn man trägt den Feind unsichtbar im eigenen Leib. Man füttert ihn mit und wird ihn nicht los. Die ganze Zeit zermürben einen die Beschwerden und Schmerzen. Man kann sich nur eingeschränkt bewegen oder muss ganz im Bett liegen. Dazu kommt das Wechselbad der Gefühle. Man schwankt zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Man hat mehr als genug Zeit, um über all das zu grübeln.

Avril Lavigne hat diese Zeit genutzt, um Musik zu komponieren. Kein Wunder, schließlich ist sie eine Singersongwriterin. Sie komponiert also ihre Musik selbst. Die Themen dafür gewinnt sie in ihrem eigenen Leben. Deshalb hat sie auch ihre Krankheit musikalisch verarbeitet. Musik aus der Krankheit heraus und über sie. Wie sie das tut, imponiert mir. Und womöglich macht sie damit auch anderen Mut. Einer dieser Songs heißt „Head above Water“, also „Kopf über Wasser“. Er ist auch der Titelsong ihrer aktuellen CD aus dem Jahre 2018, dem Jahr 1 nach ihrer Krankheit.

Musik

Ich muss die Ruhe vor dem Sturm bewahren. Ich will nicht weniger, ich will nicht mehr. Muss die Fenster und Türen zusperren, um mich zu schützen, um mich warm zu halten. Es ist mein Leben, um das ich kämpfe. Kann das Meer nicht teilen, kann das Ufer nicht erreichen. Und meine Stimme wird zur treibenden Kraft. Ich werde mich davon nicht über Bord werfen lassen.

Das Meer als Bild für die Krankheit. Avril Lavigne fühlt sich wie eine Schiffsbrüchige auf hoher See, Spielball der Wellen, unter ihr die dunkle Tiefe, die sie herabzuziehen droht. Noch am Leben, noch im Kämpfermodus, dennoch zu schwach, um das rettende Ufer zu erreichen. Nicht stark genug, um das Meer zu teilen, wie es Mose in der Bibel tat. Mose teilte auf der Flucht aus Ägypten das rote Meer, zog mit seinem Volk hin durch und entkam so den ägyptischen Verfolgern.

Avril Lavigne findet biblische Bilder für ihre Situation. Das ist nicht verwunderlich. Sie hat, wie so viele andere Popmusiker, ihre ersten musikalischen Auftritte in einer Kirche erlebt. Verwunderlich ist es auch deshalb nicht, weil die Bibel starke Bilder für den Ernstfall des Lebens bereithält. Zum Beispiel Psalm 69, an den Avril Lavigne in ihrem Song erinnert:

Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist. Ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen. (Psalm 69, 2+3)

Der Psalm beginnt mit Worten voller Angst. Avril Lavigne lässt sie im Refrain ihres Songs „Head above Water“ so anklingen:

Gott, halte meinen Kopf über Wasser. Lass mich nicht ertrinken. Es wird härter. Ich treffe dich dort am Altar, wenn ich auf die Knie falle. Lass mich nicht ertrinken. Halte meinen Kopf über Wasser.

Musik

Mit diesem Song wendet sich Avril Lavigne direkt an Gott, ihr Song ist ein Gebet. Ein kämpferisches, ein trotziges, ein verzweifeltes und dennoch ein hoffnungsvolles Gebet. Not lehrt beten, sagt eine alte Volksweisheit. Das stimmt nicht immer. Sie kann auch das genaue Gegenteil bewirken. Klar ist nur: Not stellt die Frage nach Gott. In der Not wenden sich die einen enttäuscht von Gott ab. Sie sagen: „Einen Gott, der so etwas geschehen lässt, der mir so etwas antut, brauche ich nicht.“ Andere erleben die Momente der Not anders. Sie sagen: „Gerade in dieser Situation habe ich zu Gott gefunden. Ohne Gott um mich herum zu wissen, hätte ich gar nicht die Kraft gehabt, diese Situation zu bestehen.“ In der Not schwankt man manchmal zwischen beiden Haltungen. Ähnlich auch der Psalm 69. Er wendet sich an Gott und beklagt zugleich, dass Gott auf sich warten lässt. Umso stärker klammert er sich an die Hoffnung, dass Gott am Ende helfen wird:

Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott… Ich aber bete, Herr, zu dir zur Zeit der Gnade. Gott, nach deiner großen Güte erhöre mich mit deiner treuen Hilfe. Errette mich aus dem Schlamm, dass ich nicht versinke, dass ich errettet werde aus den tiefen Wassern, dass mich die Wasserflut nicht ersäufe und die Tiefe nicht verschlinge. (Psalm 69, 4.14-16a)

Der Psalm lässt am Ende offen, ob Gott wirklich hilft - und wenn ja: wie. Nicht immer hilft Gott so, wie ich es gerne hätte. Manchmal hilft Gott aus der Krankheit. Manchmal hilft er in der Krankheit. Manchmal sogar durch die Krankheit. Ich kann Gott bitten, aber nicht befehlen. Gott ist kein Dienstleistungsunternehmen, sondern eine Quelle der Hoffnung - nicht mehr und nicht weniger. Genau das trägt auch Avril Lavigne in ihren Song an Gott heran: Kämpferische Hoffnung.

Musik

Zieh mich aus der Tiefe hoch, denn die Strömung drückt mich nach unten. Komm, trockne mich ab und halt mich fest. Ich brauch dich jetzt, ich brauch dich dringend.

Avril Lavigne ist sich bewusst: Sie hat ihr Leben nicht in der eigenen Hand. Es liegt bei Gott. Doch damit lässt sie es nicht bewenden. Manche tun das: Sie lassen ihr Leben Gott in die Hände fallen und erwarten, dass dann schon irgendetwas Gutes passieren wird. Sie selbst tun dafür allerdings nichts mehr. Avril Lavigne verhält sich anders. Sie verbindet ihre Hoffnung auf Gottes Hilfe mit ihrem eigenen Kampfgeist. In einem anderen Song auf ihrer aktuellen CD beschreibt sie sich als Kämpferin, so lautet auch der Name dieses Songs: „Warrior“. Kämpfen und Beten, mit diesen vereinten Kräften ist sie gegen die Krankheit vorgegangen - und hat sie überwunden. Das klingt stark. Das macht Mut.

Noch besser gefällt mir, dass sie danach weder mit dem Kämpfen noch mit dem Beten aufgehört hat. Sie hat eine Stiftung gegründet, mit der sie anderen Borreliose-Kranken hilft. Daneben ist Avril Lavigne schon lange für Amnesty International aktiv. Diese Organisation unterstützt politische Gefangene in Diktaturen. So kämpft Avril Lavigne auf ihre Weise mit für eine bessere Welt. Gut, wenn dabei der eigene Kampfgeist und die Hoffnung auf Gott zueinander finden. Vielleicht sind sie sogar die zwei Seiten derselben Medaille: Das Gebet ist ein Teil des Kampfes und der Kampf ein Teil des Gebets.

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