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Kraft für einen langen Weg
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Kraft für einen langen Weg

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz
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„Heiliger Geist, komm, sende vom Himmel deines Lichtes Strahl herab! Schenke die sieben heiligen Gaben deinem Volk, das auf dich hofft, deinem Volk, das auf dich hofft!“ Dieser Text stammt aus einem alten Kirchenlied zu Pfingsten – ich mag es besonders gern. Es ist ein Lied voller Sehnsucht - und von Gottes Geist, der auf diese Sehnsucht antwortet.

Heute an Pfingsten möchte ich von diesem Lied erzählen und was es mir als Christin bedeutet, gerade jetzt in dieser besonderen Zeit. Es fühlt sich feierlich an - der eindringliche Text, die mächtige Melodie - und ich bekomme eine Gänsehaut, wenn das Lied auf der Orgel ertönt und die ganze Gemeinde aus voller Kehle einstimmt.

Heute ganz anders

Aber heute ist das anders. Ich habe Glück gehabt und einen der 70 Plätze in unserer Kirche ergattert. So viele dürfen vergeben werden in unserer Kirche aufgrund der Abstands- und Hygieneregeln. Allerdings: Festlicher, feierlicher Gesang ist heute nicht drin. Kein mitreißendes Orgelspiel, in das die Gemeinde einstimmt. Stattdessen heißt es: mit Abstand schweigen und hören. Hören auf die innere Musik, die Gedanken, die aufsteigen, auf das Wort, das mir gesagt wird und das wir als Gemeinde miteinander teilen.

Seit der Coronakrise bin ich nicht mehr jedes Wochenende in der Kirche. Aber wir haben in dieser Zeit auch als Familie einen guten Weg gefunden, unseren Glauben zu feiern und zu gestalten – mit Hausgottesdiensten an unserem Esstisch zum Beispiel. Aber - mir hat trotzdem etwas gefehlt: Mir hat die Gemeinde und die Gemeinschaft gefehlt, die auch in der Kommunion spürbar wird. Und auch wenn ich es könnte: Zurzeit gehen wir nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst. Damit auch andere mal einen Platz ergattern können, die sich nach einem Gottesdienst in Gemeinschaft sehnen. Heute aber bin ich dabei.

Und heute feiert die Kirche Pfingsten - 50 Tage nach Ostern. Manchmal wird Pfingsten auch das Geburtstagsfest der Kirche genannt. Und ja, es stimmt: Da waren Menschen, die sich für die Botschaft Jesu begeistert haben. Und so ist die Kirche entstanden, eine Glaubensgemeinschaft, über Sprachen- und Ländergrenzen hinweg.

An Pfingsten bin "ich" dabei

Heute an Pfingsten gehe ich in den Gottesdienst und denke daran: Viele haben heute keinen Platz mehr in der Kirche bekommen – aber auch sie gehören zur Gemeinde und zur Gemeinschaft der Glaubenden. Wie können wir das in dieser Corona-Zeit neu gestalten, neu erleben - Gemeinde- und Gemeinschaft-Sein?

Gemeinschaft erleben, Gemeindesein - das ist eine Herausforderung in dieser besonderen Zeit. Wie gelingt es uns, bei all den Hygiene- und Abstandsregeln einander nahe zu sein? Viele ganz praktische Ideen sind entstanden: Junge Menschen gehen für alte und gefährdete Menschen einkaufen. Für Kinder, die Zuhause keine Hilfe beim Homeschooling erfahren, gibt es eine besondere Lernbetreuung. Und auf digitalem Weg passiert auch ganz viel: Die verschiedensten Gottesdienste werden als Livestream angeboten. Manche haben zu Hause in den letzten Wochen zum abendlichen ökumenischen Glockenläuten eine Kerze ins Fenster gestellt und haben sich über die Distanz zum gemeinsamen Gebet verbunden.

Gemeinschaft trotz Distanz

All diese Ideen zeigen: Gemeinschaft ist auch in der Distanz erlebbar und spürbar. Aber es wird auch deutlich: Am Anfang der Krise hat das ganz gut funktioniert, diese Zeit zu überbrücken, damit der Kontakt innerhalb der Gemeinde nicht abreißt. 
Aber was ist, wenn wir nun noch über Wochen und Monate, vielleicht sogar bis in das nächste Jahr hinein so weitermachen müssen – eben so lange, bis das Virus fort ist oder ein Impfstoff da ist? Damit es ganz klar ist: Ich finde es absolut richtig, Abstand zu halten, Masken zu tragen und sich einzuschränken.

Was ist wenn...?

Aber was passiert, wenn der Abstand zur Normalität wird? Was ist mit denen, die es über diese lange Strecke nicht schaffen, Kontakt zu halten? Was ist mit denen, die in der Distanz nicht erreicht werden? Was ist mit denen, die zu ängstlich sind und lieber auf die ersten vorsichtigen Begegnungen verzichten - und irgendwann gar nicht mehr auftauchen? Was ist mit denen, die merken, es geht auch ohne die Kirche und ihre Angebote?

Die Krise ist noch lange nicht vorbei. Mich macht das sehr nachdenklich. Mein Lieblings-Pfingstlied hilft mir beim Nachdenken. In der zweiten Strophe heißt es da:
„Komm, bester Tröster, selge Erquickung, uns`res Lebens guter Freund, Ruhe in Arbeit, Kühlung in Hitze, Trost, wenn Not das Auge trübt, Trost, wenn Not das Auge trübt.“ Okay, diese Sprache ist sehr altertümlich – heute würden wir es anders ausdrücken. Aber ich finde:  In diesen alten Worten stecken Erfahrungen, die wir heute in dieser besonderen Zeit durchaus teilen.

Die Antwort des Heiligen Geistes

Auch hier geht es um unsere Sehnsüchte. Und auf die soll der Heilige Geist eine Antwort geben. Da ist die Sehnsucht nach einem guten Freund, der mich aufbaut. Es geht um die Ruhe in der Arbeit. Dass ich mich in meinem Tun nicht treiben und hetzen lasse, sondern Gelassenheit und einen guten Takt finde, mir und meiner Arbeit angemessen. Der Mensch braucht Kühlung in Hitze, wenn er sich zu sehr ereifert und aufregt, und sich nur schwer wieder beruhigen kann. Und schließlich braucht der Mensch Trost - Trost, wenn Not das Auge trübt. Wenn ich nur noch Not sehe, wenn ich darüber hinaus nichts mehr wahrnehme und mich niemand in meiner begrenzten Sicht erreichen kann: Dann brauche ich die Nähe Gottes ganz besonders und seinen Heiligen Geist.

Angemessene Lösungen zu finden

Ich denke da an meine Arbeit im Krisenstab des Bistums. Da ringen wir täglich miteinander darum, angemessene Lösungen zu finden. Ich denke an die vielen Menschen, die sich ereifern und auf die Straße gehen, weil sie sich bevormundet und eingeschränkt fühlen. Ich denke an die vielen Menschen, die in echte Not geraten sind: weil sie im Pflegeheim keinen Besuch empfangen durften, weil sie an Corona erkrankt sind oder weil sie einen lieben Menschen durch das Virus verloren haben – hier bei uns oder in den  Ländern, in denen die Katastrophe noch viel größer und zerstörerischer ist.

Wir sind nicht unbezwingbar

Ein Virus – etwas, das man mit bloßem Auge nicht sehen kann, etwas, das man nur an seinen Auswirkungen erkennen kann -  dieses Virus hat gerade die ganze Menschheit im Griff. Diese Erkenntnis zeigt mir: Wir sind nicht unbezwingbar. Diese Krise können wir auch nur als Weltgemeinschaft lösen. In dem alten Pfingstlied heißt es dazu: „Nichts ist im Menschen heil und beständig, hilfst du nicht mit deiner Kraft.“

Ich bin überzeugt: Gott ist in dieser Situation auf der Seite der Menschen. Er gibt uns seinen Heiligen Geist, die Kraft dazu, diese Krise zu lösen, in unseren Familien und Gemeinden, in unserer Gesellschaft und in der Weltgemeinschaft.

Die Unsicherheit bleibt

Vergangene Woche haben wir uns endlich dazu durchgerungen und unseren Familienurlaub storniert. Wir wollten in diesem Jahr nach Italien fahren, in die Nähe von Genua, und ein paar schöne Tage dort verbringen. Wir wollten die Küste mit ihren Strandbädern und die Stadt erkunden, spazieren gehen, die italienische Küche genießen und uns einfach miteinander erholen  - und dann gestärkt wieder nach Hause kommen.

Doch je näher die Stornofrist rückte, desto klarer wurde uns: Das wird so nicht möglich sein. Auch wenn überall die Rede davon ist, bald die Grenzen wieder zu öffnen – die Unsicherheit bleibt. Die Vermieter der Ferienwohnung würden uns liebend gerne empfangen, aber auch sie können nicht sagen, wie es werden wird – Mitte Juli in Italien, dem Land, das mit am meisten durch die Coronakrise gebeutelt wurde.

Gott ist uns nah

In diesem Jahr werden wir auf andere Weise Kraft tanken – im Garten und auf Ausflügen in unserer schönen Umgebung an Rhein und Main. Ich bin ganz zuversichtlich, dass uns das gelingen wird, solange wir gesund bleiben. Ich bin überzeugt: Auch wenn der Weg noch lang ist - Gottes Geist gibt uns die Kraft, durchzuhalten. Ich vertraue darauf: Gott ist uns, seinen Menschen, nahe - mit seinem Geist, der uns heil macht.

 

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