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Föhnwinde
Bild: Beate Hirt

Föhnwinde

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg

„Heute Vormittag lass uns einen kleinen Ausflug in die Stadt machen. Ich mag Dir zeigen, wo ich aufgewachsen bin.“ Ein Münchner lädt mich ein. Ihn, Werner, habe ich in einem sozialen Projekt mit Wohnsitzlosen kennengelernt. Die Einladung macht mich neugierig. Zwei Stunden später leihen wir uns Räder aus und machen uns auf den Weg.
Schwabing. Münchner Szeneviertel. So ganz anders ist es, Plätze, Häuser und Straßen von jemandem erklärt zu bekommen, der hier seine Kindheit verbracht hat. Schließlich erklimmen wir einen kleinen Hügel. Unerwartet taucht er am Rand des Luitpoldparks auf. „Einer der Schuttberge Münchens aus dem Zweiten Weltkrieg“, erklärt Werner. Nach den Zerstörungen durch die Bomben galt es hier wie andernorts beim Wiederaufbau gewaltige Mengen an Trümmern zu entsorgen. Mehrere Hügel geben bis heute Zeugnis davon.
Oben angekommen bin ich beeindruckt. Nicht nur, dass der Schutthügel sich als begrüntes Naturparadies erweist. Von oben ist auch nicht nur die erwartete Skyline der Stadt zu erkennen. Am Horizont erscheint vielmehr das Panorama der Alpen. Und das zum Greifen nahe. „Heute ist Föhn“, sagt Werner. „Das Wetterphänomen der Alpen.“
Deshalb hatte er mich heute zu diesem Ausflug eingeladen. Als Münchner wusste er, was für eine grandiose Fernsicht bei dieser Wetterlage möglich sein würde.„Immer wenn Wind auf die Alpensüdseite trifft, entsteht auf der Nordseite ein milder Fallwind. Der reinigt die Luft und hält alle Wolken fern“, lese ich später nach. Durch den geringeren Staubanteil wirkt das Gebirge in der Ferne optisch obendrein größer und näher, als es in Wirklichkeit ist. 
Ich muss an das Erlebnis in München denken, als ich vor kurzem zum Skifahren in die Alpen aufbreche. Schon hinter Ulm, noch fast 100 km entfernt, ist am Horizont der gezackte Kamm der Alpen zu erkennen. Vorfreude packt mich: Föhn! Tatsächlich erstrahlen die Berge in den kommenden Tagen im Sonnenschein, während das Flachland unter Wolken verdeckt bleibt.
Was für ein Ausblick! Ich muss staunen, als ich darüber nachdenke. Ein Blick genügt, mein Herz schneller schlagen zu lassen. In Vorfreude verschwindet der Alltag. Im Licht sein, in der Sonne! Wieviel Sehnsucht das in Menschen auslöst, gerade nach den dunklen Wochen des Winters! Skifahren oder Wandern oder einfach nur die Seele baumeln lassen.
Tatsächlich muss ich der Sehnsucht gar nicht nachgeben und an den Sehnsuchtsort fahren. In München genügt der Blick auf das Panorama, um die Stimmung einer ganzen Stadt spürbar zu heben.
Sehnsucht spüren genügt. Sehnsucht zulassen heißt, wissen, dass es mehr gibt, etwas Schönes. In der Sonne haben Menschen vieler Religionen ein Bild der anderen Welt gesehen; des Gegenübers, das wir Gott nennen, und des Ortes, dem wir den Namen „Himmel“ geben. Ein Psalm formuliert das so: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes * und das Firmament kündet das Werk seiner Hände. Unhörbar bleibt ihre Stimme, doch ihre Botschaft geht bis zu den Enden der Erde.“

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