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Du bist gut so, wie du bist
Bild: mikegi/Pixabay

Du bist gut so, wie du bist

Tanja Griesel
Ein Beitrag von Tanja Griesel, Evangelische Pfarrerin, Fritzlar
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In den 1990er Jahren warb die Sparkasse mit einem Werbespot. Er ist zu einem Klassiker des Werbefernsehens geworden. Zwei Bekannte begegnen sich nach vielen Jahren zufällig in einem Restaurant. "Na, so ein Zufall, wie geht`s dir denn", fragt der eine. "Blendend!", antwortet der andere und zückt Fotos. Sie zeigen sein Haus, sein Auto und sein Boot. Sein Gegenüber grinst milde und toppt die Bilder mit Fotos von einem noch größeren Haus, einem teureren Auto und einer luxuriösen Yacht.

Statussymbole als Beweis, was man erreicht hat

Der Werbeclip treibt auf die Spitze, was wir alle wissen: Statussymbole sind der sichtbare Beweis dafür, was man im Leben erreicht hat und was man sich leisten kann. Jeder trägt vermutlich Symbole zur Schau, die etwas über den eigenen Status aussagen: Aber ist es das, was zählt und worauf es im Leben ankommt?

Torsten kündigt seinen Job

Auf einer Hochzeitsfeier lerne ich Torsten und Sophie kennen. Beide sind schon lange ein Paar. Sie sind Anfang Dreißig. Sophie arbeitet in einer Marketingagentur. Torsten ist Informatiker. Die beiden haben sich kurz vor der Party noch gestritten. Sophie ist nicht gut auf Torsten zu sprechen. Torsten hat vor wenigen Tagen seinen Job gekündigt. Sophie kann das gar nicht verstehen. Es ärgert sie, dass Torsten sie nicht nach ihrer Meinung gefragt hat. Ich sehe ihr an, dass sie die Braut beneidet. Das Brautpaar hat bereits Kinder und ein Haus gebaut – und das, obwohl das Paar genauso alt ist wie Torsten und Sophie.

"Bei uns läuft gerade alles schief", klagt Sophie

"Bei uns läuft gerade alles schief", klagt Sophie, "so hatte ich mir das nicht vorgestellt." Statt gemeinsam eine Zukunft zu planen, trifft Torsten allein eine Entscheidung, die weitreichende Folgen hat. Sophie hat Angst, dass es bald finanziell knapp wird und sie sich nicht mehr so viel leisten können wie bisher.

Torsten möchte seinen Weg finden

Zwischen Torte und Sekt wage ich einen Vorstoß und frage Torsten, was ihn zu diesem Schritt bewogen hat. "Ich liebe Sophie wirklich", erklärt er. "Hätte ich sie nach ihrer Meinung gefragt, hätte ich das nie durchziehen können. Ich hätte einen Rückzieher gemacht. Aber "ein Weiter so" kam für mich nicht mehr in Frage. Ich habe stets den Erwartungen anderer entsprochen. Ich habe Abitur gemacht, weil man in meiner Familie eben Abitur macht. Ich habe danach sofort ein Studium begonnen, und zwar eins mit Aussicht auf einen guten Verdienst. Eigentlich wollte ich Schreiner werden.
Für meine Eltern war das nicht gut genug. Informatiker seien doch immer gesucht und würden gut bezahlt. Und es stimmt."

Nicht nur die Erwartungen anderer erfüllen

"Ich habe einen guten Job und verdiene gutes Geld. Aber wenn ich jetzt daran denke, dass ich einen großen Kredit aufnehmen muss, dann wird mir ganz anders. Und das nur, um den weiteren Erwartungen meiner Eltern, meiner Freunde und Kollegen zu entsprechen. Ich weiß, dass es Sophies großer Traum ist, eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen. Und natürlich möchte sie Kinder. Auch ich wünsche mir welche. Aber die Vorstellung, mein Leben nach der Erwartung anderer auszurichten, Dinge zu tun, die man eben so macht, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, fühlt sich falsch an. Ich muss erst einmal überlegen, wer ich bin oder wer ich sein möchte. Und wenn nicht jetzt, wann dann? Irgendwann ist es zu spät."

Der junge Luther und seine Lebenskrise

Wichtige Lebensfragen brechen oft in Krisensituationen auf. Das erfährt auch der junge Jurastudent, der am späten Abend zu Fuß auf der Landstraße unterwegs ist. Es wird bereits dunkel. Er kommt nur langsam voran. Der Weg ist beschwerlich. Der Tag war heiß und noch immer hängt eine drückende Schwüle in der Luft. Der junge Mann hat seine Eltern in Mansfeld besucht.

Luthers Schwur im Gewitter

Vor Erfurt braut sich ein Gewitter zusammen. Wind kommt auf, Regen prasselt auf ihn herab und Blitze durchzucken die Nacht. Der junge Mann beginnt zu laufen, nirgends findet er einen Unterschlupf, schnell ist er bis auf die Haut durchnässt. Da schlägt ein Blitz neben ihm ein. Er fällt und ist sich sicher, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Er hebt die Hände gen Himmel und fleht: "Heilige Anna, hilf! Lässt Du mich leben, so will ich ein Mönch werden."

Luther wird Mönch

Der junge Student heißt Martin Luther und er überlebt das Gewitter unbeschadet. Seinen Schwur löst er ein: Er hängt das Jurastudium an den Nagel und wird Mönch. Was ihn dazu bewegt? Es ist die Angst, unvorbereitet vor dem Richterstuhl Gottes zu stehen. Sich dort für sein Leben verantworten zu müssen. Er fragt sich: Was habe ich dann vorzuweisen? Kann ich mit meiner Lebensleistung vor Gott bestehen? Oder wird Gott mich als unwürdig ansehen und verdammen? Werde ich im ewigen Höllenfeuer schmoren? Diese Ängste waren für Martin Luther sehr real.

"Wann bin ich gut genug für dich, Gott?"

Als Mönch verbringt er viele Stunden bei seinem Beichtvater. In langen Gesprächen zählt er seine Verfehlungen auf, auch die, die er nur in Gedanken begangen hat. Er will alles richtig machen. Wann bin ich gut genug für dich, Gott? Martin Luther hadert mit sich und seinem Leben. Er ist verzweifelt. Ein finsterer Abgrund tut sich vor ihm auf. Je mehr er sich abmüht, desto schlechter fühlt er sich. Ihm wird klar: Kein Mensch auf Erden kann je vor Gott bestehen, egal, wie er sich anstrengt.

In der Bibel findet Luther eine Antwort

Weder aus der Beichte noch aus den Predigten und Schriften seiner Zeit schöpft Martin Luther Trost. Nirgendwo findet er Antworten, die ihm weiterhelfen. Und so wendet er sich der Bibel zu. Das Neue Testament liest er noch einmal Wort für Wort, übersetzt es aus dem Lateinischen ins Deutsche. Vor allem der Römerbrief hat es ihm angetan: "Nun sind wir gerecht geworden durch den Glauben und haben Frieden mit Gott durch unsern HERRN Jesus Christus", schreibt Paulus.

Angenommen von Gott durch Geschenk des Glaubens

Die Worte klingen in Martin Luther nach. Aus Glaube sind wir gerecht geworden. Die Erkenntnis trifft ihn wie ein Blitz: Wir können Gott gar nichts geben. Niemand kann vor ihm bestehen. Alles, was wir haben, auch unser Glaube, ist ein Geschenk.

Du bist ein Kind Gottes - Du bist gut, so wie du bist

Martin Luther hat nicht beabsichtigt, die Kirche zu spalten und als Reformator in die Geschichte einzugehen. Er wollte sich keinen Namen machen, keine Verdienste sammeln. Er hat eine existentielle Krise durchlebt. Die Glaubenslehren seiner Zeit haben Angst und Schrecken verbreitet. Auf der Suche nach seinem Seelenheil stößt er auf die frohe Botschaft: Du bist ein Kind Gottes, in seinen Augen unendlich wertvoll. Du bist gut so, wie du bist!

Luthers Thesenanschlag

Damit ist der Anfang gemacht. Die neuen Einsichten müssen hinaus in die Welt. Jeder und jede soll davon hören oder lesen. Am 31. Oktober 1517 schlägt Martin Luther deshalb seine berühmten Thesen an der Schlosskirche in Wittenberg an.

Was Torsten in seiner Krise hilft

Ich denke noch einmal an Torsten: Torsten durchlebt gerade eine Lebenskrise. Er spürt, dass er etwas verändern muss, dass es so nicht weitergehen kann. Auch ihn treiben Fragen um, die ihm schlaflose Nächte bereiten. Wer bin ich? Was erwarte ich vom Leben? Bin ich das, was ich leiste? Wer setzt meinen Wert fest – mein Arbeitgeber? Mein Gehaltszettel? Verliere ich mein Ansehen, wenn ich mich den Erwartungen meines Umfelds verweigere? Bin ich dann weniger wert?

Gott sei Dank! – unser Menschsein hängt nicht an Statussymbolen

Unser Menschsein ist – Gott sei Dank! – kein Vorweisen von Statussymbolen. Vor Gott müssen wir uns nicht größer, besser oder frommer machen als wir sind. Gott steht uneingeschränkt zu uns. Martin Luther hat diese tiefe Glaubenserfahrung in der Bibel wiederentdeckt.

Wünsche für Torsten

Torsten wünsche ich, dass er dies auch spürt: Du bist gut so, wie du bist. Du musst nicht den Erwartungen deiner Eltern und denen von Sophie entsprechen. Und ich wünsche ihm, dass Sophie versteht, dass er seine Antworten finden muss und dass sie dann schauen, wie das zusammengeht.

Du bist ein Kind Gottes. Du bist gut so, wie du bist! Es tut gut sich daran zu erinnern und daran erinnert zu werden. Deshalb feiern wir heute den Reformationstag.

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