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Da ist jemand, der an dich glaubt
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Da ist jemand, der an dich glaubt

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Heute gönnt sich ganz Deutschland einen Extra-Feiertag. Nur in diesem Jahr. Und warum? Weil heute vor 500 Jahren etwas geschehen ist, das die Welt verändert hat: Ein damals junger und unbedeutender Professor an einer damals jungen und unbedeutenden Universität hört auf, das zu denken und zu glauben, was er soll. Stattdessen nimmt er ernst, was er selbst denkt und glaubt.

Sein Name ist Martin Luther. Er fasst sich ein Herz und macht öffentlich, dass er einen anderen Weg zu Gott gefunden hat als die Kirche seiner Zeit. Er hatte Gott neu entdeckt. Was er zu sagen hat, fasst er in 95 Thesen zusammen. Die gibt er den Studenten seiner Universität und dem Bischof zu lesen. Mit der Aktion will er eigentlich nur eine gelehrte Debatte anstoßen. Er kann nicht ahnen, dass daraus ein weltgeschichtliches Ereignis werden würde: die Reformation. Luther treibt etwas sehr Persönliches um, nämlich die Suche nach Gott. Doch das hat enorme gesellschaftliche Auswirkungen. Das Persönliche ist eben auch das Politische. Und was jemand glaubt, das wirkt sich auch auf die Gesellschaft aus.

Luthers Worte treffen den Nerv der Zeit. Er spricht davon, dass niemand für sein Seelenheil Geld bezahlen muss, denn dafür reicht der persönliche Glaube. Das hören viele arme Leute gerne, denn nun bleibt ihnen etwas mehr Geld zum Leben. Luther spricht von der Freiheit, die einem niemand nehmen kann. Das ermutigt viele leibeigene Bauern, ihre Freiheit von ihren Lehnsherren zu fordern. Luther sagt, dass jeder Mensch für seinen Glauben selbst verantwortlich ist. Das hören die selbstbewussten Bürger in den Städten gerne, denn sie sind ohnehin dabei, ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Luther fordert, dass die Kirche keine weltliche Macht haben soll.

Das hören viele Fürsten gerne, denn das, so hoffen sie, wird ihnen beim Herrschen lästige Konkurrenz vom Halse schaffen. Luthers Worte treffen also auf persönliche Interessen. Und sie entfesseln starke gesellschaftliche Kräfte. Kein Wunder, dass seine Thesen schnell übersetzt werden und sich in Windeseile verbreiten. Natürlich stoßen sie auch auf Kritik. Denn für die Reformation gilt, was für jede Veränderung gilt: Sie schafft Verlierer und Gewinner. Es gab genügend Menschen, die in der alten Ordnung weiter leben wollten.

Das ist lange her und seitdem hat sich vieles verändert. Etwa die Frage nach Gott – die hat Martin Luther vor 500 Jahren noch massiv umgetrieben. Heute halten viele diese Frage für erledigt. Aber vielleicht klingt die Frage nach Gott heute nur etwas anders als damals bei Luther. Vielleicht so:

Musik 1 aus „Ist da jemand“ von Adel Tawi

Songtext:
Ohne Ziel läufst du durch die Straßen, durch die Nacht, kannst wieder mal nicht schlafen. Du stellst dir vor, dass jemand an dich denkt. Es fühlt sich an als wärst du ganz alleine. Auf deinem Weg liegen riesengroße Steine und du weißt nicht, wohin du rennst.

„Ist da jemand?“, das fragt Adel Tawil in seinem aktuellen Popsong. Er ist ein Meister der starken Sprache. Das hat er mit Martin Luther gemeinsam. Und wie dieser greift auch Adel Tawil Themen auf, die in die Tiefe des Lebens führen. In dem Song „Ist da jemand?“ beschreibt er, wie es sich anfühlt, alleine zu sein, mutterseelenalleine. Man stolpert orientierungslos durch sein Leben. Vieles türmt sich bedrohlich auf wie große, dunkle Steine. Man fragt sich, für was oder wen man eigentlich leben soll. Und man sehnt sich nach einem Gegenüber, einem Lebensbegleiter.

Den Song kann man hören wie ein gewöhnliches Liebeslied. Dann wünscht sich hier jemand schlicht einen Partner zum Verlieben. Doch bei genauerem Hinhören merkt man: Adel Tawil lotet den Wunsch nach einem Gegenüber viel tiefer aus. Er sucht jemanden, der ihn wirklich versteht, der mit ihm bis ans Ende geht, den man nur im Himmel finden kann. Hier geht es nicht nur um einen neuen Partner. Es geht um mehr, um die Ur-Sehnsucht nach Geborgenheit, die wohl jeden Menschen in der Tiefe seiner Seele umtreibt. Im Mutterleib, da waren wir noch geborgen, umhüllt und sicher. Bei der Geburt werden wir dann ins Leben geworfen. Seitdem sehnen sich viele, vielleicht alle Menschen, danach wieder geborgen zu sein: Nicht allein sein, sondern jemanden bei sich haben, der fest zu ihnen steht, der sie liebt – immer und für immer. Das ist mehr, als ein Mensch geben kann – und sei er noch so großartig.

Deshalb entdecke ich in diesem Song die Sehnsucht des Glaubens. Ich höre die Frage nach Gott. Adel Tawil deutet sie nur an, umschreibt sie poetisch. Heute sind viele bei diesem Thema sehr zurückhaltend und unsicher. Die Frage nach Gott halten manche für so persönlich, dass sie sie gar nicht mehr aussprechen können oder wollen. Dennoch steht diese Frage weiterhin im Raum – und sei es nur als Wunsch nach Geborgenheit und als Suche nach Sinn. Als Sehnsucht nach einem umfassenden Gegenüber und liebevollen Lebensbegleiter.

Musik 2 aus „Ist da jemand“ von Adel Tawil

Songtext:
Wenn der Himmel ohne Farben ist, schaust du nach oben und manchmal fragst du dich: Ist da jemand, der mein Herz versteht? Und der mit mir bis ans Ende geht? Ist da jemand, der noch an mich glaubt? Ist da jemand? Ist da jemand? Der mir den Schatten von der Seele nimmt? Und mich sicher nach Hause bringt? Ist da jemand, der mich wirklich braucht? Ist da jemand? Ist da jemand?

Ist da jemand? Diese Frage hat auch Martin Luther umgetrieben. Für ihn als frommen Christen vor 500 Jahren war zwar klar: Ja, da ist jemand, nämlich Gott. Unklar war allerdings: Ist Gott dieses Gegenüber, nach dem er sich gesehnt hat und nach dem heute der Popsong fragt Jemand, der ihn in der Tiefe versteht, der mit ihm durch Dick und Dünn geht, weil er ihn liebt. Die Antwort, die die Kirche damals gab, hat Luther zutiefst beunruhigt. Die Kirche sagte: „Nun, da ist zwar jemand, da ist Gott. Aber dessen Liebe bekommst du nicht so einfach. Dafür musst du erst einmal einiges tun.“ Gott wurde also als ein Gegenüber dargestellt, der Bedingungen stellte und vor dem man Angst haben muss.

Im Grunde genommen klingt die Antwort von damals auch heute noch vertraut: Umsonst gibt es nichts. Für alles muss man etwas leisten. Was du willst, musst du bezahlen. Doch in puncto Glauben entdeckte Luther etwas anderes. Er hat intensiv in der Bibel gelesen und dabei gemerkt: Die Bibel beschreibt Gott gar nicht als strenge Instanz, deren Liebe man sich verdienen muss. Sondern als liebevolles Gegenüber, das einem helfen will zu leben. Jedes Leben gründet in der Liebe Gottes. Die kann man sich nicht verdienen. Die muss man sich auch nicht verdienen, denn sie ist immer schon da. Man muss sie nur für sich gelten lassen, das ist alles. Beim Glauben geht es darum, sein Leben Gott anzuvertrauen. Das mag erst einmal befremdlich klingen. Vielleicht sogar naiv. Doch es ist gar nicht so einfach. Denn es bedeutet, sich nicht mehr alleine auf die eigenen Stärken und die Sicherheitssysteme dieser Welt zu verlassen. Sondern sich fallen zu lassen in die Arme Gottes.

Martin Luther hat das gewagt. Danach fühlte er sich endlich frei von seiner Angst und vom ewigen Leistungsdruck. Eines wäre Luther dabei nie in den Sinn gekommen: aus der Liebe Gottes irgendeinen Egoismus abzuleiten. Also sich selbst für das Wichtigste überhaupt zu halten und möglichst viel für sich selbst zu beanspruchen. Die Selbstverliebtheit, die viele Menschen heute in sich tragen, wäre Luther völlig fremd gewesen. Im Gegenteil: Die Liebe Gottes befreite ihn auch von der Sorge um sich selbst. So war er frei, sich um andere zu sorgen. Das war für ihn eine logische Folge des Glaubens: Die Liebe Gottes gebe ich als Nächstenliebe weiter.

Deshalb war er auch so erschrocken darüber, was andere aus seiner Entdeckung machten. Manche haben versucht, damit ihre eigenen Interessen durchzusetzen – die Fürsten, die Städter, die Bauern. Das hat Luther über die Jahre verbittert. Insofern gehört auch eine Tragik zu seiner Person – und zur Reformation insgesamt. Doch ihre Kernidee strahlt bis heute aus, denn sie ist eine Entdeckung für die Ewigkeit: Jedes Leben zählt, weil es ein von Gott geliebtes Leben ist. Deshalb ist niemand alleine. Gott begleitet jedes Leben. In guten und in schlechten Tagen. Und auch im Tod. Als Luther das entdeckt hatte, fühlte er sich geborgen. Auch Adel Tawil lässt seinen aktuellen Song tröstlich enden. Er singt: „Ja, da ist jemand.“ Wer das ist, bleibt offen. Doch höre ich darin zumindest eine zarte Andeutung: Vertrauen in ein großes, liebevolles Gegenüber. Für mich ist das Gott.

Musik 3 aus „Ist da jemand“ von Adel Tawil

Songtext:
Da ist jemand, der dein Herz versteht und der mit dir bis ans Ende geht. Wenn du selber nicht mehr an dich glaubst, dann ist da jemand, ist da jemand! (Ist da jemand), der dir den Schatten von der Seele nimmt und dich sicher nach Hause bringt. Immer wenn du es am meisten brauchst, dann ist da jemand, ist da jemand!

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