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ARD Gottesdienst am Reformationstag aus der Evangelischen Stadtkirche zu Bad Hersfeld
Bild: medio.tv/Schauderna

ARD Gottesdienst am Reformationstag aus der Evangelischen Stadtkirche zu Bad Hersfeld

Sabine Kropf-Brandau
Ein Beitrag von Sabine Kropf-Brandau, Evangelische Pröpstin, Sprengel Hanau-Hersfeld

10.00 Uhr - 11.00 Uhr

Anschauen:

Informationen und die gesamte Fernsehsendung finden Sie auf
www.daserste.de.

Trailer zum ARD Fernsehgottesdienst

Predigt "Haltung bitte!" von:
Pröpstin Sabine Kropf-Brandau und
Pfarrer Frank-Nico Jaeger

Teil 1

Liebe Fernsehgemeinde,

Haltung, bitte! Immer wenn ich das höre, denke ich an einen Spruch, der im Wohnzimmer eines alten Mannes aus meiner Gemeinde hängt. Er geht so: „Auch wenn dich das Schicksal auf allen Linien schlägt, bleibt immer noch die Haltung mit der man es erträgt“.

Mit dem Schicksal kann ich wenig anfangen. Mit Haltung aber schon. Wo kommt sie her? Sie ist doch nicht einfach da. „Halt dich gerade“, höre ich meine Mutter sagen. „Das sagst du so leicht“, würde ich ihr gern antworten. Es geht ja nicht nur darum, aufrecht zu stehen, sondern eine Haltung zu zeigen. Ich finde es oft schwer. Die Anschläge in Frankreich machen mir Angst. Soll ich aber nun vor lauter Angst meine Meinung nicht mehr frei äußern? Halte ich an der Hoffnung auf ein friedliches Miteinander zwischen Christen und Muslimen noch fest? Und es gibt noch mehr Dinge, die mich umtreiben. Ab Montag haben wir wieder einen Lockdown. Einerseits ist er notwendig, aber andererseits bringt er weitere Menschen in Existenznot. Ein furchtbares Dilemma. Gehe ich in der Coronazeit zu einem Gottesdienst oder lasse ich es, um mich und eventuell andere zu schützen? Besuche ich meine Mutter oder lasse ich es, um sie zu schützen? Können wir als Familie an Weihnachten alle gemeinsam zu ihr zum Gänseessen kommen? Ich habe Angst, dass sie erkrankt. Lassen wir unsere alten Menschen im Stich oder schützen wir sie durch Isolation?

Ich schwanke in meiner Haltung hin und her.

Teil 2:

Sich gerade halten, eine Haltung haben kostet etwas. Ich möchte von  Heinz erzählen.

Heinz ist ein herzlicher Mann. Er repariert Fahrräder, geht gerne zum Stammtisch und engagiert sich in seiner Gemeinde. Wenn nötig schleppt er Bierbänke oder fegt schon mal um die Kirche rum. Heinz ist ein ruhiger Mensch, der sich so seine Gedanken macht. Er geht gerne zum Stammtisch: Ein paar Bier trinken, Karten spielen und ein bisschen Spaß haben. Aber dann fangen immer wieder ein paar von seinen Stammtischbrüdern mit Politik an. Schimpfen auf die Corona-Maßnahmen der Regierung, auf die Kirchen und seit neuestem machen sie antisemitische oder fremdenfeindliche Witze. Heinz fühlt sich in solchen Situationen nicht wohl. Er möchte gerne widersprechen, aber er möchte mit den anderen auch keinen Streit. Er ist froh, hier zu sitzen. Die kriegen sich schon wieder ein, denkt er.

Manchmal möchte er am liebsten aufstehen und gehen, aber er traut sich nicht. Und es juckt ihn in den Fingern doch zu widersprechen. Aber er hat Angst vor den Reaktionen der anderen. So winkt er stattdessen dem Wirt zu. „Eine Haltung braucht Übung.“

Eine christliche Haltung muss man auch üben- Ich möchte

doch als Christ erkennbar sein. Vielleicht ein bisschen so, wie Martin Luther?!

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ Luther zeigt Haltung, als er diese Worte spricht, denn ihm ist die Tragweite seines Handelns bewusst. Dennoch steht er vor Kaiser und Reich und sagt, dass er nicht anders handeln kann. Sein Gewissen ist gebunden in Gott. Deshalb widerruft er seine Schriften nicht.

Teil 3

Als Christ Haltung zu zeigen kostet Kraft. Wenn ich das höre, denke ich immer an glaubensstarke und mutige Menschen. So bin ich aber oft nicht. Ich habe Angst, hadere und verstecke mich auch gern mal. Dann kann ich mich selbst nicht leiden. Aber selbst der glaubensstarke Luther hat solche Zeiten gehabt.

Ich denke an eine Szene aus dem Legendenschatz des Protestantismus.

Seit Tagen hat Luther sein Zimmer nicht mehr verlassen. Er arbeitet nicht mehr. Er spricht nicht mehr. Er wechselt die Kleider nicht mehr. Es riecht nach Schweiß und Traurigkeit. Die Fenster sind verdunkelt. Tage und Nächte verschwimmen in der Dämmerung. Stundenlang starrt er zur Decke. Beobachtet die Flugrouten einer Stubenfliege. Zählt die Astlöcher im Holz. Er will, dass endlich Ruhe ist in seinem Kopf, wo die Fragen unablässig Krach schlagen.

Luther ist in seiner traurigen Seele eingesperrt. Luther, der Tatmensch, der Papst und Kaiser die Stirn bietet, kennt auch die Nachtseite des Lebens. Dann fühlt er sich von Gott und der Welt verlassen. Alles ist dunkel und haltlos.

Und selbst wenn an dieser Legende nicht jedes Detail wahr ist, kennt Luther solche Zeiten. Er selbst nennt diese Phasen schlicht "Anfechtung". Dann spielt der Teufel mit meiner Seele fangen, hat er einmal gesagt.

Mir macht gerade diese schwache Seite Luthers Mut.

Teil 4

Keiner von uns ist frei von Ängsten und Sorgen, keiner hat immer Mut. Auch Christenmenschen sind nicht immer stark. Wenn über eine Nachbarin schlecht geredet wird, hört man manchmal interessiert zu, anstatt sie zu verteidigen oder um Verständnis für ihr Verhalten zu werben.

Oder einer hat zwar Mitleid mit dem Kollegen, der gemobbt wird. Aber ihm fehlt der Mut, ihm zur Seite zu springen und den anderen zu sagen: Hört auf damit!

Auch Heinz weiß, dass die Welt nicht besser wird, wenn man selbst schweigt und nichts tut. Und bloß Meckern und anderen die Schuld zu schieben, ändert schon gar nichts. Aber manchmal verlässt einen einfach der Mut. Und man sieht auf und fragt sich, woher kommt mir Hilfe? Woher kommt die Kraft, beim nächsten Mal zu widersprechen?

Teil 5

Hier möchte ich gern erzählen, wie es mit dem mutlosen Luther weiterging. Denn er schöpfte neuen Mut. Er hatte wieder Freude am Glauben und frische Hoffnung für die Welt Die Legende vom traurigen Luther hat eine überraschende Pointe: Als Käthe gar nicht mehr weiter weiß, wie sie die Stimmung von Martin aufhellen kann, kommt ihr eine Idee. Sie zieht ein schwarzes Trauerkleid an und betritt die düstere Stube ihres Mannes. Martin sieht seine Frau aus den Augenwinkeln und schreckt hoch. "Ist jemand gestorben?", fragt er ängstlich. Käthe antwortet: "Gott ist gestorben. Wenn du nicht mehr Bibel liest, betest, sprichst und singst, dann ist Gott für dich tot und hat keine Macht."
Was für eine anrührende Szene einer Ehe. Katharina von Bora erinnert Martin Luther an das, was er selbst als Seelsorger immer anderen geraten hat. Das Gefühl ängstlich und von Gott verlassen zu sein schwindet, wenn wir Bibel lesen und beten. Luther sagt es an anderer Stelle selbst so:

"Wenn man mutlos ist, so soll man denken: Gott lacht dich jetzt an und spricht mit dir. Aber wie spricht Gott? Durch Singen, Beten und Bibel lesen.“

Luther gibt uns damit ein Rezept für christliche Haltung!

Teil 6

Doch gilt das Rezept noch in unserer Zeit? Klar, manchmal stärkt mich manchmal ein Liedvers, macht mich fröhlich und zuversichtlich. Auch in den vier Voten haben wir gehört, wie ein Bibelwort zu einer christlichen Haltung ermutigt.: Es hat ihnen geholfen, Mut zu haben, besonnen zu reagieren, dankbar zu sein oder eben demütig.

Auch gebetet wird nicht nur im Gottesdienst. Manche schicken ein Stoßgebet zum Himmel in brenzligen Situationen.

Doch manchmal fehlt die Lust in der Bibel zu lesen, ein Gebet scheint mir sinnlos und zum Singen ist mir nicht zumute. Leider kann ich Luthers Rezept nicht einfach wie in der Apotheke bei Gott abgeben und erhalte das gewünschte Ergebnis.

Nein, ob ich nun Martin heiße oder Heinz, sich gerade halten, eine Haltung zu haben kostet etwas. Beide ermutigen mich dazu, denn Aufgeben gilt dann nicht. Ich glaube, so ist es auch mit einer christlichen Haltung.

Singen, beten und Bibellesen - manchmal muss ich es auch einüben - das Rezept anwenden. Mal ein Gebet wagen, auch wenn mir nicht danach zumute ist. Gott bitten mich zu halten, wenn es mir schwerfällt, eine Haltung einzunehmen. Und ebenso kann ich in nüchterneren Momenten die Bibel lesen. Und so Chance geben, dass ein Wort mich anspricht, mir den Weg weist- Kraft zu neuem Handeln gibt.

Ich erzähle nochmal von Heinz:

Er hat sich vorgenommen, beim nächsten Mal zu widersprechen. Um Mut dazu hat er Gott gebeten und sich auch an seinen Konfirmationsspruch erinnert: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Beides gibt ihm die nötige Kraft, zu seinen Überzeugungen zu stehen, auch wenn er bestimmt kein Kopfnicken dafür erntet. Und jetzt sitzt Heinz wieder auf seinem Platz am Stammtisch. Eigentlich möchte er weglaufen, aber stattdessen atmet er tief durch, schaut auf sein Bier und dann sagt er ganz ruhig: „Ich denke, die Regierung macht vieles richtig, die Maskenpflicht macht Sinn.“ Und als einer wieder einen antisemitischen Witz erzählt, bietet Heinz Paroli. Auch auf die Gefahr hin, dass er Freunde verliert.

Teil 7

Haltung, bitte!“ Dafür braucht es jeden Christen und jede Christin. Ich kann nicht achtlos an Menschen vorbeigehen, die in Not sind. Ich darf nicht schweigen, wo menschenverachtende Ungerechtigkeit zum Himmel schreit. Ein feiges Attentat darf mich nicht mundtot machen. Ich muss Verantwortung übernehmen, gerade jetzt. Und dazu gehört eben auch eine gute Balance zwischen Distanz und Nähe. An Weihnachten vielleicht der Verzicht auf liebgewordene Rituale. Aber wenn meine Mutter mich braucht bin ich da. Und die Sorge um die Nöte der Menschen nehme ich mit ins Gebet. So lebe ich eine christliche Haltung. Es hat ja niemand gesagt, dass das leicht ist. Aber Gott gewollt und darum nötig. Wie schon Luther sagte:

„Mein Gewissen sei gefangen in Gott allezeit“: das leite uns in Gegenwart und Zukunft.

Amen

 

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