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Vertrauen haben

Vertrauen haben

Ein Beitrag von Janine Knoop-Bauer, Evangelische Pfarrerin, Darmstadt

Miss Norma, eigentlich Mrs. Bauerschmidt, ist eine alte Dame. Sie wurde einundneunzig Jahre in diesem Jahr. Und sie ist sehr krank. Im vergangenen Jahr wurde Gebärmutterkrebs bei ihr festgestellt. In der Woche vor der Diagnose war ihr Mann gestorben, nach siebenundsechzig gemeinsamen Jahren. Eine schwarze, schwere Zeit.

Bis hierher eine traurige Geschichte. Aber so bleibt das nicht. Denn Miss Norma hat im vergangenen Jahr eine Entscheidung getroffen. Sie hat entschieden, sich nicht konventionell gegen ihre Erkrankung behandeln zu lassen. Sie hat ihr Recht genutzt, Nein zu sagen zu dem normalerweise von der Medizin vorgezeichneten und auch von einem Arzt empfohlenen Weg. Stattdessen ist sie der Einladung ihres Sohnes gefolgt, bei ihm und seiner Frau einzuziehen. Und diese beiden haben ein ungewöhnliches Zuhause.

Seitdem ist Miss Normas Zuhause ein Wohnmobil: elf Meter lang, mit ausfahrbaren Seiten. Mit diesem reist sie nun durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Ihr Sohn Tim sitzt am Steuer, Schwiegertochter Ramie navigiert, beide sind Mitte sechzig. Hinten passt Pudel Ringo auf Norma auf. Im vergangenen Jahr waren die drei US-Amerikaner unter anderem am Grand Canyon, im Yellowstone-Nationalpark und in Florida. Fast täglich erlebt Norma Dinge, die sie noch niemals ausprobiert hat. Sie sieht Sachen, die sie nur aus dem Fernsehen kannte. Sie erfüllt sich Wünsche und Träume. Nebenbei ist sie dabei ein wenig berühmt geworden. Über vierhunderttausend Follower hat sie auf Facebook und sie hat es in die Internationale Presse geschafft.

Wie eine moderne Sarah kommt sie mir vor. Über die Sarah der Bibel wird erzählt, dass sie bereits eine alte Frau war, als Gott ihr das lang ersehnte Kind versprach. Sara musste darüber lachen. Sie hatte geglaubt, ihr Leben würde kinderlos enden. Doch Gott machte sein Versprechen war. Sie hatte viel geweint über ihre Kinderlosigkeit. Nun lachte sie über ein Wunder, mit dem sie nicht mehr gerechnet hatte. Was für viele der Schlusspunkt ihrer Geschichte gewesen wäre, ist für sie zu einem Doppelpunkt geworden. Zum Auftakt zu etwas ganz Neuem und Bewegtem. So wie bei Norma auch. Einundneunzig Jahre ist Norma alt und sie hat ihre Träume nicht vergessen. Für mich ist sie ein Vorbild. Zum Beispiel dafür, nicht stehen zu bleiben beim Erschrecken über Dinge, die niederschmettern, wie ihre Diagnose. Dafür, Vertrauen zu haben. Vertrauen auf etwas, was über unser eigenes Tun hinausgeht.

Bei Gott ist nichts unmöglich. Das hat Sara erfahren und Norma heute offenbar auch. Gott schenkt Kraft und Phantasie. Sich mit Eigensinn gut zu entscheiden. Ungewohnte Schritte zu machen. Bei Gott ist nichts unmöglich. Norma macht mir Hoffnung: Dieses Leben ist wirklich erst zu Ende, wenn es aufhört, und bis dahin gibt es Möglichkeiten – vielleicht mehr, als ich ahne.
 

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