Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Unterwegs – auf dem Pastoralen Weg in Mainz
Bildquelle: Pixabay

Unterwegs – auf dem Pastoralen Weg in Mainz

Dr. Udo Markus Bentz
Ein Beitrag von Dr. Udo Markus Bentz, Erzbischof des Erzbistums Paderborn
Beitrag anhören:

Endlich Ferien! Das erste Ferienwochenende in Hessen und Rheinland-Pfalz hat begonnen. Bis zu meinem Urlaub dauert es zwar noch, aber es wird insgesamt ein wenig ruhiger. Viele Menschen sind jetzt unterwegs oder brechen gerade auf: zu anderen Orten, in andere Länder, sie setzen sich in den Zug oder ins Auto und dann geht‘s in die Berge oder ans Meer. Die Ferienzeit ist eine Zeit, in der wir andere Wege gehen oder auch die vertrauten Strecken irgendwie anders zurücklegen. Für ein paar Tage oder Wochen sind es nicht die Routinewege zum Arbeitsplatz. Der Weg ins Schwimmbad, in den Garten oder eben an den Urlaubsort ist jetzt eine willkommene Alternative. Manch einer entdeckt in den Ferien ganz neue Wege für sich und kommt verändert wieder.
Unterwegs sein und neue Wege gehen: Das ist in meinem Umfeld gerade kein ausschließliches Ferienthema. Unterwegs sein ist das zentrale Thema an meinem Arbeitsplatz – dem Bistum Mainz.

Das Bistum Mainz befindet sich seit einigen Monaten auf einem ganz besonderen Weg, dem sogenannten „Pastoralen Weg“. Das ist ein Veränderungsprozess, den es so ähnlich auch in anderen großen Firmen und Organisationen gibt: Da sind es Struktur- und Reorganisationsprozesse. Auch das Bistum Mainz organisiert sich neu. Aber es geht um viel mehr als nur um Organisation. Fragen treiben uns um: Welche Ziele und Überzeugungen haben wir als Kirche? Wie wollen wir in Zukunft Kirche sein – als Bistum Mainz?
Musik 1: aus: Friedrich Smetana, Die Moldau (CD: Smetana, Die Moldau, Rafael Kubelik, Deutsche Grammophon, Track 2, bis ca. 1.30 min)

Wie wollen wir in Zukunft Kirche sein? Das ist die zentrale Frage, die sich die Menschen im Bistum Mainz gerade stellen, beim so genannten „Pastoralen Weg“.

Kein Wunder, es ist kein Geheimnis: Die Katholische Kirche befindet sich im Krisenmodus. Glaube und Kirche verlieren an Bedeutung in der Gesellschaft und im Alltag der Menschen. Viele Überzeugungen der Kirche sind für die Menschen nicht mehr nachvollziehbar. Zum Beispiel: Warum dürfen Priester nicht heiraten? Warum weiht die Kirche keine Frauen? Warum hat die Kirche ein Problem damit, wenn homosexuelle Menschen heiraten wollen? Danach fragen die Menschen. Für viele, auch Kirchenmitglieder, verliert die Kirche da an Glaubwürdigkeit.

Den größten Verlust der Glaubwürdigkeit, den hat die Katholische Kirche aber durch den vielfachen sexuellen Missbrauch erlebt, der in ihrem Schutzraum möglich war und durch den Umgang mit diesem Missbrauch: Das Wegsehen, Vertuschen und Verschweigen über Jahre hinweg. Keine Entschuldigung macht das wieder gut, kein Geld, keine Anerkennung des Leids. Aber wir haben als Verantwortliche in der Katholischen Kirche endlich angefangen, dieses Leid zu sehen und anzuerkennen.
Mich hat das erschüttert: Ich denke an die vielen Menschen, die an den Folgen dieser Verbrechen noch immer leiden. Der Katholischen Kirche schlägt durch all dies immer mehr Misstrauen, Skepsis und manchmal auch Hass entgegen. Viele Menschen treten aus, und immer weniger können sich vorstellen, für diese Kirche zu arbeiten.

Wie wollen wir in Zukunft Kirche sein? Das heißt dann auch: Wie wollen wir den Missbrauch aufarbeiten? Wie wollen wir verhindern, dass so etwas in Zukunft noch einmal geschieht? Das sind die drängenden Fragen, an denen wir bereits arbeiten. Wir wollen transparenter werden, die Kirchenmitglieder sollen den neuen Weg mitbestimmen.

Aber die Zukunft der Kirche heißt natürlich auch: Wir werden weniger Personal und Geld zur Verfügung haben. Es liegt auf der Hand: So kann es nicht weiter gehen. Veränderungen sind notwendig – im wahrsten Sinne des Wortes.

Musik 2: aus: Friedrich Smetana, Die Moldau (CD: Smetana, Die Moldau, Rafael Kubelik, Deutsche Grammophon, Track, 2, ca. 3.50 – 5.15 min).

Veränderungen in der Katholischen Kirche sind notwendig, in dieser Krise, in der wir uns befinden. Ich habe die Hoffnung, dass uns gerade in dieser Krise bewusst wird, was die Not wirklich wenden wird. Klar: Krisen können zu Chancen werden, wenn man bereit ist, sie anzunehmen und daraus zu lernen. Die Kirche hat in ihrer Geschichte immer wieder gezeigt, dass sie es schafft, die Aufgaben anzunehmen und zu bewältigen, die sich in der Krise gestellt haben. Die Gemeinschaft der Glaubenden ist dann gestärkt und erneuert daraus hervorgehen. An vielen Konzilen, also den großen Versammlungen der Kirchengeschichte lässt sich das ablesen. Immer wenn die kirchliche Welt durcheinander geriet, wenn da mehr Fragen und Unsicherheiten als Antworten und Zuversicht waren, hat ein Konzil geholfen, alles miteinander anzuschauen und zu ordnen: Die Fragen, die Aufgaben, die möglichen Antworten.
Auch heute gibt es viele Fragen und Anfragen – und wir haben uns mit vielen Menschen im Bistum Mainz auf den Weg gemacht, um zu klären: Wohin soll es gehen? Wie wollen wir als Kirche im Bistum Mainz in der Zukunft Kirche sein?
Der Bistumspatron von Mainz ist der heilige Martin. Mit ihm kann man sich gut identifizieren. Der heilige Martin kann eine Vision für einen guten Weg in die Zukunft liefern, nämlich die Vision des Teilens. Schon kleine Kinder können an Martin ablesen, was Teilen bedeutet. Martin teilt seinen Mantel mit einem Bettler im Schnee. Er hat keinen zweiten Mantel, das Risiko ist also groß, dass es am Ende für keinen reicht, dass er am Ende selbst friert oder sogar erfriert, aber er vertraut darauf, dass das der richtige Weg ist.

Musik 3: Mit dir, Martin (Text und Musik: Tobias Sattler, https://bistummainz.de/pastoraler-weg/geistlich/vorbereitung/, ca. 1.55 min)

Teilen – das ist ein wichtiges Stichwort auf dem Weg, auf dem sich das Bistum Mainz gerade befindet. Wir wollen als Kirche noch stärker eine Kirche des Teilens werden – so wie das der heilige Martin vorgelebt hat, der Bistumspatron. Der Heilige Martin hat darauf vertraut: Teilen macht nicht ärmer, sondern in einer gewissen Weise reicher. Im Bistum Mainz wollen wir immer mehr zu einer Kirche des Teilens werden. Darin sehen wir eine Chance in der Krise unserer Zeit. Das ist das Motto unseres neuen Weges im Bistum. Und teilen können wir in der Kirche wie in der Gesellschaft ganz Unterschiedliches: Leben und Lebenserfahrungen, unsere Überzeugungen und unseren Glauben – aber auch, noch konkreter: Wir können Geld, Macht, Ressourcen und Verantwortung teilen.

Verantwortung teilen. Das bedeutet für die Kirche und das Bistum Mainz: Verantwortung tragen nicht alleine der Bischof, die geweihten Priester oder hauptamtliche Männer und Frauen. Verantwortung tragen alle getauften Christen und Christinnen. Es wird darauf ankommen, diese Verantwortung gerecht zu verteilen und den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Verantwortung auch wahrzunehmen. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass in Zukunft noch mehr nicht geweihte Menschen Beerdigungen feiern werden. Das kann bedeuten, dass auch Ehrenamtliche an der Leitung von Gemeinden beteiligt werden, in dem sie für bestimmte Bereiche die Entscheidungskompetenz bekommen. Verantwortung für die Zukunft der Kirche haben alle gemeinsam: Geweihte und Nicht-Geweihte, Hauptamtliche und Ehrenamtliche, Frauen und Männer.

Ressourcen teilen, das kann bedeuten: Keiner soll darauf beharren, dass nur sein Status quo erhalten bleibt. Budgets müssen gerecht verteilt werden. Für Kirchengemeinden kann das auch bedeuten: Gottesdienstzeiten werden geteilt – und man kann nicht mehr zu jeder Zeit an jedem Ort Gottesdienst feiern, weil es nicht mehr so viele Hauptamtliche und Gebäude gibt. In der Kirche müssen wir, wie auch in vielen anderen Organisationen schauen: Was haben wir?

Glauben teilen: Das bedeutet, darüber zu sprechen, was der andere glaubt, was er unter Gott versteht, was für ihn zum Beispiel Leben nach dem Tod bedeutet – oder welche Werte mit seinem Glauben verbunden sind und dass letztlich Jesus Christus der Bezugspunkt ist. Es erfordert Mut, den Glauben nicht in der Intimität des Privaten zu lassen. Aber wenn wir nicht darüber sprechen, den Glauben nicht miteinander teilen, dann verschwindet der Glaube noch mehr aus dem Alltag und aus der Gesellschaft. Wir haben uns im Bistum vorgenommen: Wir wollen mehr darüber reden, auch mit denen, die anders und weniger glauben. Und wir freuen uns, wenn viele mitmachen, beim Glaubenteilen.

Leben teilen: Das ist für mich die größte Herausforderung auf diesem Weg, den die Kirche von Mainz gehen will, weil es eigentlich die Voraussetzung ist für alles andere. Leben teilen: Das kann bedeuten: Wir teilen Zeit, Aufmerksamkeit, vielleicht auch Geld miteinander. Es kann bedeuten: Wir helfen einander, vor allem, wenn das Leben Menschen vor besondere Herausforderungen stellt, wenn Menschen arbeitslos sind oder krank. Die Strukturreform im Bistum Mainz wird mehrere Kirchengemeinden zusammenfassen und so die Räume größer machen. Wird es uns gelingen, auch darin Nähe zu ermöglichen? Beziehung leben und gestalten – wenn uns das an vielen kleinen Orten in den großen Räumen gelingt, dann ist dort Gemeinschaft erfahrbar – geteiltes Leben.

Musik 4: Wenn das Brot, das wir teilen (Text: Claus-Peter März 1981 / Musik: Kurt Grahl 1981) (CD: Eingeladen zum Fest des Glaubens, Institut für Kirchenmusik des Bistums Mainz, 1.52 min).

Im Bistum Mainz versuchen wir, mit einem neuen Weg aus der Kirchenkrise herauszukommen. Ich habe jetzt viel vom Bistum Mainz erzählt. Das gilt aber doch grundsätzlich: Miteinander Überzeugungen und das Leben teilen: Ich glaube, das hilft auf vielen neuen Wegen, auf die wir uns als Menschen gemeinsam machen. Die ersten Christen wurden übrigens Anhänger des Weges Jesu genannt (Apg. 9,2), der für die Menschen damals auch ein ganz neuer Weg war. Es gibt in der Bibel eine beeindruckende kleine Erzählung über eine der ersten christlichen Gemeinden im griechischen Ephesus. Die Apostelgeschichte erzählt davon. Es heißt da:

„Ein Jude namens Apollos kam nach Ephesus. Er stammte aus Alexandria, war redekundig und in der Schrift bewandert. Er war unterwiesen im Weg des Herrn. Er sprach mit glühendem Geist und trug die Lehre von Jesus genau vor; doch kannte er nur die Taufe des Johannes. Er begann mit Freimut in der Synagoge zu sprechen. Priscilla und Aquila hörten ihn, nahmen ihn zu sich und legten ihm den Weg Gottes noch genauer dar.“

Eine ganz wunderbare Stelle ist das, wie ich finde. Ich stelle mir den Apollos als einen begabten, charismatischen Prediger vor, einer der genau Bescheid weiß, bis er dem Ehepaar Priscilla und Aquila begegnet, den Vorstehern einer Hausgemeinde und hochgeschätzten Mitarbeitern von Paulus. Und ich finde es bemerkenswert, wie die beiden reagieren: Sie hören Apollos zu, nehmen ihn zu sich und legen ihm den Weg Gottes noch genauer dar. Mir zeigt das: Der Glaube lebt vom Zeugnis und vom Austausch darüber und davon, dass man das Leben miteinander teilt.

Musik 5: aus: Befiehl du deine Wege (Text Paul Gerhardt / Musik Bart, Gesius, Telemann) (CD: Paul Gerhardt, Du meine Seele, singe, Track 13, bis ca. 1.30).

Am 1. Juni gab es eine besondere Wegmarke gleich am Anfang unseres Pastoralen Weges im Bistum Mainz – die Geschichte von Apollos und Priska und Aquila erinnert mich daran. Über 300 Menschen wurden eingeladen, an einem Workshoptag gemeinsam über den Pastoralen Weg nachzudenken. Wir haben als Bistumsleitung ganz bewusst ganz unterschiedliche Menschen eingeladen, auch solche, die sonst vielleicht weniger selbstverständlich im Blick sind: Ehrenamtliche aus den Gemeinden, Menschen mi Behinderung, junge Leute, Auszubildende, Politiker und Politikerinnen, evangelische Christen und Christinnen, Lehrer und Lehrerinnen und natürlich auch Vertreter der verschiedenen kirchlichen Berufsgruppen. Wir haben sie eingeladen, um uns etwas von ihnen sagen zu lassen, darüber wie diese Menschen ihren Weg im Glauben gehen, was sie bewegt, was sie befürchten, was sie sich vom Pastoralen Weg erhoffen. Es war ein breiter Austausch, der nachdenklich gemacht hat, aber auch neue Perspektiven aufgezeigt hat. Es gibt noch viele Schwierigkeiten zu bewältigen, aber der Tag mit seinen Begegnungen hat mich bereichert und darin ermutigt, diesen Weg in unserem Bistum mit vielen anderen gemeinsam zu gehen.
An Pfingsten haben wir mit dem Pfingstgottesdienst im Mainzer Dom den Pastoralen Weg dann ganz offiziell begonnen und Gott um seinen Segen gebeten.

Ich glaube, es ist gut, ob in der Kirche oder außerhalb, unsere Wege immer wieder einmal zu überprüfen, zu schauen, ob die Richtung noch stimmt, damit wir unseren Auftrag im Leben, worin auch immer der besteht, gut erfüllen können. Vielleicht hilft es uns, die Wegmarken und Wegweiser genauer in den Blick zu nehmen und zu entdecken, wer mit mir auf dem Weg ist, und manchmal tut es auch einfach gut, einmal eine Rast einzulegen, damit wir gut gestärkt weitergehen können.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes Unterwegssein und möge Gott Sie auf Ihren Wegen begleiten.

Musik 6: aus: Friedrich Smetana, Die Moldau (CD: Smetana, Die Moldau, Rafael Kubelik, Deutsche Grammophon, Track, 2, ca. 10.00 – 11.58 min).

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren