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Tobias und Navid
Ruslanshug/GettyImages

Tobias und Navid

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt
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In einem der weniger bekannten Bücher der Bibel, dem Buch Tobit, wird die Geschichte von Tobias, einem Jungen erzählt. Er lebt mit seinen Eltern im Exil, in einem fremden Land. Sein Vater bemüht sich um ein gutes und frommes Leben. Er teilt mit Bedürftigen und kümmert sich um die Bestattung mittelloser Menschen. Eines Tages wird Tobias‘ Vater krank und erblindet. Er braucht Geld für seine medizinische Versorgung. Er kann nicht mehr an den Ort reisen, wo er sein Geld hinterlegt hat. So schickt er seinen Sohn Tobias los.

Ein Engel als Begleiter

Den Eltern fällt es schwer, ihren Sohn alleine loszuschicken. Aber sie sehen keine andere Möglichkeit. Bevor Tobias aufbricht, beten seine Eltern zu Gott. Zu ihrer Erleichterung finden sie einen verlässlichen Begleiter, Raphael. Viel später stellt sich heraus: Der Begleiter war ein Engel. Raphael und Tobias reisen ab.

"Der kleine Tobias  an der Hand des großen Raphael"

Viele Künstler haben diese Szene festgehalten: Der kleine Tobias geht an der Hand des großen Raphael. Mich hat das als Kind immer sehr bewegt: Da muss ein kleiner Junge eine weite, ungewisse Reise antreten. Aber wenigstens ist er nicht allein. Raphael ist mit ihm unterwegs als Freund und Rückhalt.

Auf den Weg geschickt aus Afghanistan, Syren, Irak

In den vergangenen Jahren habe ich einige Jungen mit ähnlichen Geschichten kennengelernt: Von ihren Vätern oder Onkel mit einem Auftrag auf den Weg geschickt – aus Afghanistan, Syrien, Irak oder Eritrea. Oder sie haben sich allein auf den Weg nach Europa gemacht, um die Familie zu entlasten und vielleicht sogar einmal zu unterstützen.

Auch Navid hat sich auf den Weg gemacht

Die wenigsten haben dabei Engel an ihrer Seite gehabt. Sie haben viele schwierige Situationen allein bewältigt oder waren angewiesen auf Hilfe irgendwelcher Schlepper. Einer von diesen Jungen, die unbegleitet aus ihrem Heimatland hierher kamen, ist „Navid“. Er lebt heute im Rhein-Main-Gebiet. Seine Mutter ist bei einer Bombenexplosion in Afghanistan ums Leben gekommen. Die Familie wurde immer häufiger bedroht. Da hat Navids Vater ihn losgeschickt. Ziel: Europa.

Navid hat es nach Deutschland geschafft

Die Reise begann mit wochenlangen Fußmärschen zum Teil durch das Hochgebirge zwischen dem Iran und der Türkei. Navid hatte oft Todesangst. Manchmal haben Menschen ihm geholfen. Irgendwann ist er nur noch weitergelaufen wie in Trance, so erzählt er. Nach der gefährlichen Überfahrt nach Griechenland hatte er schließlich Glück. In einem winzigen Zeitfenster im Herbst 2015 war der Weg nach Deutschland offen. Mit Bus und Bahn konnte er sicher weiterreisen.

Seitdem fasst Navid in Deutschland Fuß. Er hat Deutsch gelernt und einen Schulabschluss gemacht. Jetzt startet er die Ausbildung zum Erzieher. Vor kurzem wurde er 18.

Navids Engel heißen Sven und Lea

Der Junge Tobias in der Bibel kehrt zu seinem Vater zurück. Das wird Navid wahrscheinlich nie können. Sein Leben ist jetzt hier in Deutschland. Ohne Unterstützer an seiner Seite würde er das nicht schaffen. Das weiß er. Denn Navid hat auch seine Engel. Sie heißen nicht unbedingt Raphael, sondern Sven, der als Anwalt seine Rechte vertritt, und Lea, die Tagesbegleiterin in seiner Wohngruppe. 

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