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"Ein Tisch ist ein Tisch"
Willi Spiller/picture alliance

"Ein Tisch ist ein Tisch"

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
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"Ein Tisch ist ein Tisch", so heißt eine Kurzgeschichte des Schweizer Schriftstellers Peter Bichsel. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein alter Mann. Sein Leben verläuft immer im gleichen Trott. Ihm ist langweilig. Er will, dass sich etwas ändert.

Er läutet den Stuhl ans Bild

Er schaut in seinem Zimmer umher und beginnt, den alt vertrauten Gegenständen neue Namen zugeben. "Weshalb heißt das Bett nicht Bild?", denkt der Mann und lächelt. "Jetzt ändert es sich", ruft er, und er nennt von nun an das Bett "Bild". "Ich bin müde, ich will ins Bild", sagt er.

Er tauscht auch Verben aus. Statt "stellen" sagt er "läuten". Also stellt er den Stuhl nicht mehr ans Bett, sondern "läutet den Stuhl ans Bild".

Einander nicht mehr verstehen macht einsam

Der alte Mann lernt die neuen Bezeichnungen. Er hat jetzt eine Sprache, die ihm ganz allein gehört. Doch mit der Zeit vergisst er seine bisherige Sprache. Deshalb hat er Angst, mit anderen zu sprechen. Schließlich kann er die Leute überhaupt nicht mehr verstehen.

"Das war nicht so schlimm", so endet die Geschichte. "Viel schlimmer ist, sie können ihn nicht mehr verstehen. Und deshalb sagt er nichts mehr, spricht nur noch mit sich selbst."

Die Geschichte bringt es auf den Punkt: Wenn wir uns nicht mehr verstehen, werden wir einsam. Aber es muss nicht so bleiben.

Mit Gottes Geist Sprachgrenzen überwinden

Diese Hoffnung ziehe ich aus der Pfingstgeschichte in der Bibel (Apostelgeschichte 2,1-12). Sie erinnert daran: Mit Gottes Geist können Menschen Sprachgrenzen überwinden.

In der biblischen Pfingstgeschichte sind in Jerusalem Männer und Frauen traurig zusammen. Ihr Freund Jesus ist zwar vor fünfzig Tagen von den Toten auferstanden. Aber dann ist er gen Himmel verschwunden.

Sie bleiben ratlos und sprachlos zurück. Wie können sie ohne ihn in Liebe und Vertrauen zusammenleben? Wie können sie von Gottes Liebe weitererzählen, die Jesus ihnen gezeigt hat?

Aber dann werden die Frauen und Männer plötzlich erfüllt vom Heiligen Geist. Die Bibel erklärt nicht, wie das vor sich geht. Sie erzählt, was mit den Menschen geschieht, die von Gottes Geist erfüllt werden.

Raus aus der Isolation!

Die gleichen Leute, die eben noch traurig waren, sind jetzt froh. Eben hatten sie sich noch im Haus verbarrikadiert. Jetzt laufen sie auf die Straße und erzählen von Gottes Liebe.

Es sind gerade Menschen aus verschiedenen Ländern in der Stadt, weil ein großes Fest gefeiert wird. Obwohl alle verschiedene Sprachen sprechen, versteht jeder, was die Frauen und Männer von Jesus erzählen.

Ich denke wieder an den Mann aus Peter Bichsels Geschichte. Er hatte seine eigene Sprache entwickelt und sich dadurch von allen anderen isoliert.

Aneinander vorbeireden

Aber man muss nicht erst alle Wörter vertauscht haben. Verständigungsschwierigkeiten kenne ich, auch wenn man dieselbe Sprache spricht und trotzdem aneinander vorbeiredet. Und ich kenne auch das Phänomen: Jemand zieht sich in sich selbst zurück und niemand bekommt mehr mit, was in ihm vorgeht.

Man muss nicht dieselbe Sprache sprechen, um sich zu verstehen

Manchmal bleibt man dann sprachlos. Aber die Pfingstgeschichte lässt mich nie die Hoffnung aufgeben: Der Funke kann überspringen. Mag sein, dass wir nicht immer dieselbe Sprache sprechen. Aber wir können einander trotzdem verstehen.

 

 

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