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Das buch des Lebens - was ist das leben nach dem Tod?

Das buch des Lebens - was ist das leben nach dem Tod?

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Eine Kerze brannte mitten im Eingang zu Zimmer dreiunddreißig des Altersheims. Daneben stand ein Hocker mit einem aufgeschlagenen Buch. Ein Name und Lebensdaten standen auf der offenen Seite. Im Zimmer drin ist gestern jemand gestorben. Die Leiterin des Altersheimes erklärte mir: Wir legen am Eingang des Zimmers ein Buch aus, damit die anderen ihre Erinnerungen an diese Person oder einfach Trostworte aufschreiben können. Das Buch bleibt auch einige Zeit nach der Beerdigung noch dort liegen. Wir nennen es das „Buch des Lebens“. Damit wollen wir zeigen, dass ein Leben mit dem Tod nicht endet. Menschen leben in den Gedanken und Erinnerungen von anderen weiter. Soweit die Leiterin des Heimes. Und ich denke: Ja, das ist eine schöne und beruhigende Vorstellung. Eine Vorstellung, die auch Sterbenden helfen kann.

Aber ist damit schon alles gesagt? Mit dem Tod sind doch sehr widerstreitende Gefühle verbunden – für die Angehörigen wie für die Sterbenden. Als Seelsorgerin habe ich Sterbende erlebt, für die sich in den letzten Lebenstagen noch einmal alle die ungelösten Fragen ihres Lebens verdichtet haben, ganz persönliche Fragen. Aber auch Fragen im Rückblick auf ihre Verantwortung etwa als aktive Kriegsteilnehmer. Wir sprechen heute meistens nicht mehr in Bildern der Bibel über die letzten Fragen, wie dem „jüngsten Gericht“ oder dem „Richterstuhl Gottes“. Viele möchten es sich auch nicht vorstellen. Viele Menschen bewegt aber die Frage, ob wir einmal verantworten müssen, was wir verschuldet, getan oder unterlassen haben. Und sie tun dies besonders, wenn sie an den Tod denken. Eine Kollegin sagte mir neulich: Ich glaube, dass wir alle einmal vor Gott Rechenschaft über unseren Umgang mit Flüchtlingen ablegen müssen.

Für mich selbst ist die Vorstellung von einem anderen „Buch des Lebens“ wichtig geworden. Es ist auch ein biblisches Bild aus der Offenbarung des Johannes. Dieses Buch des Lebens ist mehr als das Erinnerungsbuch im Altersheim. In diesem Buch des Lebens werden die Taten – die guten wie die schlechten – von Menschen aufgeschrieben. Für sie müssen sich Menschen rechtfertigen. Aber das Buch wird nicht aufbewahrt, sondern es passiert etwas Erstaunliches: Das Buch selbst wird vernichtet. Nach Johannes, der das aufgeschrieben hat, geschieht dies in einem Feuersee.

Was im Leben gewesen ist, ist zu Ende. Es lebt höchsten noch in der Erinnerung der Lebenden weiter. Auch das Böse findet also ein Ende. Dahinter steht die Vorstellung: Ein Mensch lebt weiter, nachdem das Alte zuende gegangen ist. Aber was in seinem Leben gewesen ist, vergeht. Etwas Neues beginnt. Gott selbst aber gibt dieses neue Leben. Ein Leben, was ich mir nicht vorstellen kann, weil es außerhalb der Zeit in der Ewigkeit liegt. Gott setzt sich mit seiner Liebe gegen alle Erfahrungen der Verletzungen und der Schuld durch. Er lässt Menschen neu werden!

Ich finde diesen Gedanken tröstlich, gerade wenn ich an die Ereignisse der letzten Wochen denke. In Selbstmordattentaten sind Opfer wie Täter gestorben. Taten konnten nicht mehr bestraft und Unschuldigen nicht mehr zu ihrem Recht verholfen werden. Menschen sind tief verstrickt in Leiden und Gewalt. Die Sehnsucht nach Gottes Kraft, die befreit und erneuert, ist groß. – Ich denke nochmal an das Buch, das im Altenheim an der Zimmertür liegt. Neben dem Buch brennt die Kerze. Sie steht für das neue Leben im Licht, das Gott allein schenken kann.

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