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Kritische Blicke können klein machen
pixabay/Thomas B.

Kritische Blicke können klein machen

Ein Beitrag von Dr. Christine Lungershausen, Evangelische Pfarrerin, Eschborn
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Eine Freundin erzählt mir, wie es ihr mit ihrer Kollegin geht: "Sie sieht mich so kritisch an. Danach kann ich gar nichts mehr." 

Meine Freundin leidet darunter, wie sie sich durch diese Blicke in Frage gestellt fühlt. Sie sagt: "Ich sehe mich dann selbst mit ihren Augen. Und ich merke: Ich schrumpfe. Mir fällt so viel Negatives auf, das ich vorher gar nicht gesehen habe."

Blicke wirken

"Und das wirkt: Plötzlich fällt mir eine Tasse aus der Hand. Ich bekomme ein Gespräch nicht mehr gut gelenkt. Ich stehe nur stumm rum. Ich habe ihren Blick sogar im Kopf, wenn sie gar nicht da ist. Das lähmt mich."

Blicke wirken. Mehr noch: Man hat eine Vorstellung davon im Kopf, wie ein Blick gemeint ist. Schon das wirkt. Bei meiner Freundin negativ. Es macht sie klein.

Luther dachte lange: Gott sieht ihn böse an

Der Reformator Martin Luther kannte das nicht nur zwischen Menschen. Er hatte lange die Vorstellung: Gott sieht ihn an – und zwar vernichtend kritisch. Vor Gottes Augen kann er niemals bestehen, ist er nur klein und nichtswürdig.

So glaubte Martin Luther viele Jahre seines Lebens und hat heftig darunter gelitten. Seine quälende Frage war: Was kann ich tun, damit Gott mich gnädig anschaut?

Die Antwort war verblüffend einfach

Die Antwort, die er endlich entdeckt hat, war verblüffend einfach: Er kann gar nichts tun. Die Gnade Gottes kann sich kein Mensch erarbeiten oder verdienen.

Heißt auch, und das hat Martin Luther innerlich frei gemacht: Er muss auch gar nichts tun. Gott schaut bereits gnädig, freundlich, liebevoll auf ihn. Das muss er nur wahrnehmen.

Gottes Blick bringt das Beste in mir hervor

Daran kann er glauben, also darauf vertrauen: Gott schaut mich nicht böse an. Sondern Gottes Blick bringt das Beste in mir hervor. Das ist ein großer Schatz, wenn man aus diesem Vertrauen heraus leben kann.

Und wie schafft man es, dass die Mitmenschen einen ebenfalls nicht vernichtend kritisch, sondern gnädig anschauen? Wie gelingt es meiner Freundin, dass die Blicke ihrer Kollegin sie nicht klein machen?

Das Gute sehen und stärken

Wir überlegen gemeinsam. Was wir finden: Kritik, ob begründet oder nicht, hat nicht das Recht, sie als Person in Frage zu stellen. Es gibt immer auch den anderen Blick Gottes, der nicht das Schlechte hervorzerren will, sondern das Gute sieht und stärkt.

Bei Gott muss kein Mensch beweisen, wie gut er ist, was sie alles kann. Gottes Blick auf uns ist ein freundlicher. Das stärkt das Selbstbewusstsein.

Diese Entdeckung von Martin Luther feiert die evangelische Kirche morgen am Reformationstag.

 

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