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Auf der Höhe der Zeit
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Auf der Höhe der Zeit

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel

Meine Tante Ida, die liebte ich. Groß war sie, schlank. Mit schlohweißem Haar. Immer gepflegt. Sie hatte schon Fernsehen, als ich noch nicht wusste, was das war. Bei ihr durfte ich gucken. Es gab ein Quiz in den Fünfzigern, das hieß „Tick Tack Quiz“, mit Heinz Maegerlein. Wir waren pünktlich zur Stelle, Tante Ida und ich. In ihrem Wohnzimmer. Vor dem schwarz-weißen Bildschirm. Er flimmerte, manchmal war das Bild weg. Aber wir liebten es. Und haben mitgeraten beim Quiz. Tante Ide sagte aber nicht Quiz, sie sagte immer Quietsch. Sie dachte, das heißt so. Ich auch. Bis meine Mutter sagte, das heißt Quiz. Das glaubte Tante Ida nicht und sagte weiter Quietsch. Und ich lachte im Stillen, wusste es ja besser. Was weiß die denn, die liebe alte Tante Ida.

Heute bin ich selbst alt. Und höre immer neue Worte beim Computer, im Internet, in den Netzwerken. Wenn ich die verstehen will, muss ich meine Nichte Lena fragen. Sie ist auf der Höhe der Zeit. Und erklärt mir, was ich wissen will. Oder muss. Dann wundert sie ich im Stillen, was ich alles nicht weiß. Diese alten Herren, könnte sie denken. Nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ich weiß. Und denke an Tante Ida. Und wie ich mich wunderte und im Stillen lachte über ihr Quietsch, das Quiz heißt.

Auch meine Nichte wird mal alt. In vielen Jahren. Sie wird manche Worte dann auch nicht mehr verstehen. Und sich wundern, was so geredet wird auf der Höhe ihrer  Zeit. Wie ich heute. Und Tante Ida damals. Die Zeit bleibt nicht stehen. Auf keiner Höhe. Irgendjemand fällt immer aus der Zeit. Mal die Alten, mal die Jungen. Kein Mensch ist Herr der Zeit. Schlimm ist das nicht. Solange man sich nicht verachtet. Die Zeit geht über alle hinweg.

Nur über eins nicht: dass man auch Unwissende achtet. Und sie lieb behält. Möglichst. Besonders die, deren Sinne verlöschen.

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