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Andersartig
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Andersartig

Andrea Wöllenstein
Ein Beitrag von Andrea Wöllenstein, Evangelische Pfarrerin, Marburg
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„Andersartig“ – so ist das Themenjahr überschrieben, das bei uns in Marburg gerade begonnen hat. „Andersartig. Hexen. Glaube. Verfolgung“. Immer mehr Städte und Kommunen haben dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte in den letzten 30 Jahren aufgearbeitet. Sie haben Menschen und ihre Schicksale sichtbar gemacht. Die unschuldig Verurteilten rehabilitiert und Denkmäler zur Erinnerung und zur Mahnung für uns heute aufgestellt.

Eine Stadtverordnete hatte den Antrag gestellt, auch in Marburg mit einer Gedenktafel ein solches Zeichen zu setzen. Die Opfer ehren und ihnen ihre Würde zurückgeben. Ein Zeichen gegen Vorurteile, Diskriminierung und Ausgrenzung. Als der Antrag im Magistrat diskutiert wird, kommen Fragen auf: Ist das ein Thema, mit dem wir uns heute noch beschäftigen müssen? Haben wir nicht dringendere Probleme, als diese alten Geschichten? Marburg war auch kein Zentrum der Hexenverfolgung. 120 Prozesse sind untersucht worden. 24 davon, so haben die Historiker festgestellt, führten zur Hinrichtung beziehungsweise zum Tod unter der Folter. 22 Frauen und 2 Männer. Das ist alles lange her. Der letzte Hexenprozess war vor 300 Jahren. Aber die Denkmuster, die sind immer noch lebendig. Menschen werden ausgegrenzt und verfolgt, weil sie anders sind. Darin liegt die bleibende Aktualität des alten Themas. So wurde aus der Bitte, eine Gedenktafel zu errichten, ein ganzes Themenjahr. Viele größere und kleinere Veranstaltungen beleuchten Aspekte rund um Hexenglauben und Verfolgung. Wissenschaftliche Tagungen, Konzerte, Gottesdienste, Führungen, Ausstellungen, Angebote für Kinder.

Viele denken: Die Hexenverfolgung war im finsteren Mittelalter. Stimmt aber nicht. Sie war in der frühen Neuzeit. Die der Hexerei Angeklagten waren auch nicht in erster Linie Hebammen und weise Frauen, sondern Menschen wie du und ich. Nachbarinnen, Familienmitglieder, alte Frauen. Das haben neuere Forschungen herausgestellt. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sucht man nach Sündenböcken. Lebensmittel-knappheit, soziale Unruhen, Krieg und Pest… Die Hexenprozesse haben der Obrigkeit eine willkommene Möglichkeit geboten, der Bevölkerung Schuldige zu präsentieren.

Wir leben heute in einer anderen Zeit. Aber immer noch führt die Ablehnung von Menschen, die anders sind, zu Aggression und Gewalt. Veränderung fängt bei jedem Einzelnen an. Nicht mitschwimmen im Strom der Hasswellen. Nicht unbeteiligt geschehen lassen. Hinschauen und uns einmischen, wenn wir sehen, dass Menschen ausgegrenzt werden, nur weil sie anders sind – dazu möchte ich uns Mut machen!

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