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Die Heilige mit dem Kochlöffel
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Die Heilige mit dem Kochlöffel

Stefan Wanske
Ein Beitrag von Stefan Wanske, katholischer Pfarrvikar im Pfarreienverbund Gießen

Eine Einladung zum Essen gehört für mich zu den wirklichen Höhepunkten im Alltag. Freunde treffen, gemeinsam essen und miteinander ins Erzählen kommen, so stell ich mir einen perfekten Abend vor.

Wenn ich zu mir eingeladen habe und selbst koche, dann erlebe ich schon die Vorbereitung ganz intensiv. In der Vorfreunde auf den Abend mit Freunden schwingt bei mir aber immer auch ein bisschen Anspannung mit: hoffentlich gelingt alles! Früher, als Studenten, da haben wir uns sogar manchmal schon zum gemeinsam Kochen verabredet. Das hat sich immer wieder als besonders kommunikativ herausgestellt.

Im katholischen Kirchenkalender, da steht für heute, für den 29. Juli, der Name einer Heiligen, die mir deswegen auch besonders sympathisch ist: die Heilige Marta von Bethanien. Sie wird nämlich in der Kunst oft mit einem Kochlöffel in der Hand dargestellt. Oft haben die Künstler ihr in die andere Hand ein Buch und einen Schlüsselbund gegeben und ihr ein Kopftuch aufgesetzt. Für mich sieht sie auf solchen Gemälden aus dem Hochmittelalter aus, als sei sie gerade mit ihrem Kochbuch unterm Arm vom Herd weggegangen, um aus der Speisekammer noch ein paar Zutaten zu holen.

Wenn ich so ein Bild sehe, dann freue ich mich jedes Mal. Eine Heilige, die nicht krampfhaft-verzückt mit verdrehten Augen in die Wolken starrt, sondern die handfest und konzentriert bei ihrer Arbeit ist und allem Anschein nach auch gerne kocht.

Die Heilige Marta ist mir aber auch deshalb sympathisch, weil sie zu den biblischen Heiligen gehört. Schon im Neuen Testament wird von ihr erzählt. Auch das zeigt ihre Bedeutung.

Heute will ich mich in dieser Morgenfeier auf die Spur der Heiligen Marta von Bethanien begeben. Denn so sympathisch mir auch ihre Kochkünste sind: ich finde, die „Heilige mit dem Kochlöffel“, die hat noch einiges mehr zu sagen.

Nicht alle Künstler haben quer durch die Jahrhunderte die Heilige Marta mit Kochlöffel und Kopftuch dargestellt. Ein Glasgemälde im Straßburger Münster, das aus dem 14. Jahrhundert stammt, zeigt sie stattdessen mit einer Krone. Ich kann mir gut vorstellen: Der Künstler hatte diese Idee, weil er davor warnen wollte, Marta auf ihr Können am Herd zu reduzieren. Sie ist nämlich schon in der Bibel eine ziemlich vielschichtige und bemerkenswerte Frau.

Lukas, der Evangelist, erzählt von ihr. Marta hat mit ihrer Schwester Maria und ihrem Bruder Lazarus in einem Dorf in der Nähe von Jerusalem gelebt, in Bethanien. Und nach dem Johannesevangelium waren die drei Geschwister offenbar mit Jesus eng befreundet. Jesus scheint öfter dort eingeladen gewesen zu sein.

Lukas jedenfalls beschreibt, dass Marta Jesus „gastlich aufgenommen“ hat (Lk 10, 38) und „ganz davon in Anspruch genommen war, für ihn zu sorgen.“ Deswegen haben Viele Marta später als eine Art „Patronin der Häuslichkeit“ angesehen. Aber diese Geschichte geht bei Lukas noch weiter.

Marta tritt schon in dieser ersten biblischen Szene ziemlich couragiert auf und beschwert sich bei Jesus deutlich darüber, dass ihre Schwester Maria ihr nicht im Haushalt hilft (Lk 10, 40). Stattdessen sitzt Maria bei der Festgesellschaft und hört zu. Jesus sagt daraufhin: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.“ (Lk 10,42)

Das klingt erst mal nach einer schroffen Zurückweisung dieser Marta. – Die Bibelwissenschaft meint heute: Lukas erzählt diese Geschichte wahrscheinlich, weil es in seiner Gemeinde, für die er sein Evangelium aufschreibt, aktuell ähnliche Typen gegeben haben wird. Manche, die ganz in den Aktivitäten aufgehen und alles Mögliche für die Gemeinde oder für Hilfsbedürftige machen, und andere, die eher zurückhaltend sind, meditativere Typen. „Nur eines ist notwendig“, das heißt dann: In einer Gemeinschaft muss nicht jeder andauernd alles machen. Das eine, das jetzt im Moment wichtig und gefordert ist, das gilt es in den Blick zu nehmen.

Ich finde diesen Gedanken auch für uns Heutige wichtig. Beides gehört zusammen, nicht nur in der christlichen Gemeinde, sondern überall da, wo Menschen miteinander unterwegs sind - im Freundeskreis, im Verein, unter den Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz: die Aktivität und der persönliche Einsatz auf der einen Seite, und auf der anderen Seite das Innehalten, das Hinhören und Sortieren, das Nachdenken, was jetzt Priorität hat. Niemand sollte ständig rotieren, aber genauso wenig immer zurückstehen, wenn gemeinsames Anpacken nötig ist.

Diesen Gedanken aus der Geschichte über die heilige Marta bringt für mich auch die folgende Musik auf den Punkt: der zeitgenössische Komponist Georg Christoph Biller, der bis vor ein paar Jahren Thomaskantor in Leipzig war, hat in seiner „Sankt-Thomas-Ostermusik“ eine bekannte Dichtung aus dem Mittelalter als Chorkomposition vertont. Im Text heißt es:

„Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun.“

Und später:

„Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest. Wir sind Gottes Botschaft. In Taten UND Worten geschrieben. Halleluja!“

Marta, die engagierte Gastgeberin: das Lukasevangelium zeigt sie gegenüber ihren Geschwistern als die Aktive und Redegewandte. Zugleich macht es deutlich: Auch die unter uns, die weniger „tough“ sind und eher zu den „Stillen im Lande“ gehören, sind wichtig.

Auch im Johannesevangelium gibt es eine Geschichte von Marta. Da ist sie allerdings in einer absoluten Grenzsituation: Jesus hatte die Nachricht bekommen, dass der Bruder von Marta und Maria, Lazarus, schwer erkrankt war. Er und seine Freunde brauchen dann aber einige Zeit, um zu den dreien nach Bethanien zu gelangen.

Dort angekommen, finden sie eine große Trauergemeinde vor. Denn Lazarus ist inzwischen gestorben und sogar schon seit vier Tagen beigesetzt (Joh 11,17ff.)

Wieder ist es Marta, die die Initiative ergreift. Sie geht Jesus entgegen, und sie zeigt sich gegen jede Konvention auch dabei wieder als die kluge, handelnde und mitunter auch unbequeme Frau. Sie beginnt mit Jesus in dieser Situation der Trauer und der Ohnmacht ein leidenschaftliches Glaubensgespräch. „Herr“, so sagt sie zu Jesus, „wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.“ Sie erspart Jesus den Vorwurf nicht, dass sie sich von ihm in der Krise ziemlich alleingelassen gefühlt hat, weil er nicht da war. Zugleich traut sie Jesus einiges zu und hofft sogar auf irgendein Wunder: „Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.“ So fordert sie ihn heraus, irgendetwas zu tun. (Joh 11, 20-22)

Damit bringt sie ein starkes Thema in das Gespräch hinein. Die Möglichkeit der Auferstehung, den Sieg über den Tod. Marta diskutiert sachkundig. Und ganz „auf Augenhöhe“ mit Jesus. Johannes schreibt:

„Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am jüngsten Tag. Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“ (Joh 11, 23-27)

Der Dirigent und Komponist Siegfried Strohbach hat diese Begegnung und dieses Gespräch Martas mit Jesus auf ergreifende Weise musikalisch gestaltet. Hören wir seine Motette „Jesus, die Auferstehung und das Leben.“

„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, wenn er auch gestorben ist.“ – In der Geschichte bei Johannes setzt Jesus zu diesem großen Wort noch eine sehr persönliche Frage an Marta hinzu. „Glaubst du das?“ fragt er sie. Auf diese Frage hin spricht Marta ein Glaubensbekenntnis aus: „Ja, Herr. Ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ (Joh 11,27)

Ein so großes Glaubensbekenntnis gibt es im Neuen Testament ansonsten nur noch im Matthäusevangelium. Dort ist es Petrus, der es ausspricht, und Petrus bekommt daraufhin eine besondere und große Verantwortung für die Kirche übertragen. Marta braucht also den Vergleich mit Petrus, dem „Apostelfürsten“, nicht zu scheuen.

Auf das Messiasbekenntnis der Marta hin erweckt Jesus jedenfalls Lazarus wieder zum Leben. Johannes gestaltet dies als große Szene aus. Während er darauf besteht, dass Jesus „die Auferstehung und das Leben“ ist, liegt ihm daran, den Tod und das Sterben dadurch nicht zu verharmlosen. Jesus ist vom Weinen der Trauergäste erschüttert und weint mit, als er selbst am Felsengrab seines Freundes steht. Dann folgt eine klare Anweisung Jesu: „Nehmt den Stein weg!“

Und wieder ist es Marta, die keine Scheu hat, sehr berechtigte Einwände zu bringen. Von den vielen Umstehenden kriegt sonst keiner den Mund auf: „Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag.“ – Dass sie weiß, wer Jesus ist und was ihm alles möglich ist, das schmälert ihren Blick für die Wirklichkeit nicht. Aber gerade das macht ihr vorheriges Glaubensbekenntnis umso bemerkenswerter.

Manches an der Geschichte von der Auferweckung des Lazarus erinnert schon im Voraus an die biblischen Ostergeschichten, die später von Jesu Auferstehung erzählen. Das Felsengrab, die drei Tage der Grabesruhe, der Stein, der weggewälzt wird: das alles nimmt in gewisser Weise schon die Osterbotschaft mit ihren Bildern in den Blick.

Ich finde es gut, wie Johannes, der Schreiber des Evangeliums, sich dabei in seine Leser und Hörer hineinversetzt. Ihm ist sehr klar: der Glaube an ein Leben nach dem Tod steht an jedem frisch geschlossenen Grab auf dem Prüfstand. Marta ist dafür in ihrer direkten, offenen und selbstbewussten Art eine wichtige Identifikationsfigur. Sie ist gläubig, theologisch versiert, nicht auf den Mund gefallen, und dabei immer ehrlich und pragmatisch. Sie lässt sich auch nicht mit ein paar tröstlich gemeinten Floskeln abspeisen. Aber sie ist von Anfang an bereit, sich von Jesus überraschen zu lassen.

Das Staunen über die Auferstehung, von dem die Marta-Geschichte erzählt, das hat Paul Gerhard gemeinsam mit Johann Crüger im Jahr 1647, im Dreißigjährigen Krieg, in ein Lied gefasst:

„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden

nimm wahr, was heut geschicht,

wie kommt nach großem Leiden

nun ein so großes Licht:“

Marta im Johannesevangelium. – Sie ist mit ihrem Glaubensbekenntnis ebenso wichtig, wie Petrus, der Apostelfürst, im Matthäusevangelium. „Ja, Herr. Ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“

In der Überlieferung der frühen Kirche blieb dieses Bild der Marta noch lange Zeit lebendig. Die biblische Marta-Geschichte macht beeindruckend deutlich, wie sehr die Kirche immer auf solche faszinierenden, durchsetzungsstarken und klugen Frauen mit einem großen Glauben angewiesen war und ist.

Deswegen haben die Gläubigen in früheren Zeiten auch die biblische Marta-Geschichte noch in frommen Legenden fortgesetzt. Von den zwölf Aposteln sind viele Überlieferungen bekannt, wie sie nach dem Tod und der Auferstehung Jesu losgezogen sind, um den Glauben zu verkündigen. Konsequenterweise wird deshalb auch von Marta erzählt: Sie zieht später auch hinaus in die Welt. Zusammen mit ihren Geschwistern, so sagt die Legende, verlässt sie Bethanien, fährt mit dem Schiff nach Südfrankreich und kommt in Marseille an. Kunstgeschichtlich sind besonders aus der Zeit zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert einige Gemälde bekannt, die dieses Motiv der „Meerfahrt der Heiligen Marta“ zeigen.

In der Nähe der Küstenstadt, so wird erzählt, hat sie ein Kloster errichtet und dreißig Jahre lang mit gleichgesinnten Frauen ein asketisches Leben geführt. – Man merkt schon: bei dieser Wendung der Geschichte hat dann doch eher das Hochmittelalter mit seinen Heiligkeits-Idealen Pate gestanden, als die geschichtliche Lebenswirklichkeit im ersten nachchristlichen Jahrhundert.

Trotzdem ist die Legende bemerkenswert. Sie führt immerhin die Anfänge des Christentums in der Provence auf Marta aus Bethanien und ihr Kloster zurück. Man mag das aus geschichtlicher Sicht zurückweisen. Wahr ist daran freilich: Die Ausbreitung des Glaubens wäre ohne die Frauen aus Galiläa in Jesu Freundeskreis nicht denkbar.

Den Aufbruch der Apostel in die Welt mit der Osterbotschaft im Gepäck hat der italienische Renaissance-Komponist Giovanni Croce musikalisch zu beschreiben versucht. Hier ist seine Chorkomposition mit dem Titel „Virtute magna“, zu deutsch:

„Mit großer Tapferkeit verbreiteten die Apostel das Zeugnis von der Auferstehung Jesu Christi, unseres Herrn. Halleluja.“

Seit vielen Jahrhunderten wird Marta von Bethanien besonders in Südfrankreich verehrt. Seit dem 12. Jahrhundert gibt es dort in der Stadt Tarascon die alte Kirche „Sainte-Marthe“. Denn eine weitere Legende erzählt: Als Marta nach ihrer Meerfahrt schon ihr Kloster bei Marseille gegründet hatte, da hat sie die Stadt Tarascon von einem bösen Drachen befreit. Aber anders als in vielen Märchen oder auch in der Sage vom Heiligen Georg, wird in dieser Erzählung der Drache nicht mit dem Schwert getötet, sondern Marta führt ihn an einem Halsband mit sich weg. – Ein schönes Bild dafür, dass österlicher Glaube stärker ist als alle Ängste und Bedrohungen.

Heute hat Marta ihren Gedenktag. Mir gefällt ihre bodenständige und nüchterne Art des Glaubens. Und sie ist mir ein Vorbild: mit ihrer Kochkunst und ihrer Gastfreundschaft, mit ihrer zupackenden Art, aber auch mit ihrer Hoffnung, dass mit dem Tod noch längst nicht alles aus ist. Daran hat sie als eine der ersten geglaubt.

Ihre Geschichte will sagen: Auch in Krisenzeiten müssen Glaube und Vertrauen nicht verloren gehen. Nicht die Ängste und Dunkelheiten im Leben haben das letzte Wort, sondern Liebe und Hoffnung.

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