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Verwundbar sein hat zwei Seiten
GettyImages/FedevPhoto

Verwundbar sein hat zwei Seiten

Ein Beitrag von Dr. Christine Lungershausen, Evangelische Pfarrerin, Eschborn
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Seit einigen Monaten fühle ich mich verwundbar. Ein Virus kann mich verletzen, ein Aerosol meine Immunabwehr überwinden und mich zum Husten bringen. Einatmen, und schon wäre alles anders. Ein Virus bewirkt, wie ich mich fühle: Verwundbar.

In der Pandemie sind die Menschen verwundbar

Verwundbar, so sehe ich auch manche Menschen, die ich liebe: Sie sind gefährdet. Wenn ich an meine Eltern denke oder an eine etwas angeschlagene Freundin. Das Erste, was ich jetzt sehe: Sie sind bedroht. Verwundbar. Also gehe ich nur noch hin, wenn es unbedingt nötig ist. Ich habe Angst, sie möglicherweise anzustecken.

Verwundbar sein, macht aber auch sensibel und aufmerksam

Eigentlich will ich dieses verwundbare Gefühl nicht. Auf der anderen Seite macht mich genau das auch sensibel, empfänglich und aufmerksam. Das merke ich, wenn ich an warmen Tagen mein Gesicht in die Sonne halte. Die warme Sonne kribbelt und macht mich glücklich. Das Leben fühlt sich leicht an. Meine Haut trinkt regelrecht das Licht.

Ich blinzle. Direkt auf der Brüstung meines Balkons hat sich ein kleiner Vogel niedergelassen, eine Kohlmeise. Sie linst einmal zu mir rüber, dann pickt sie hingebungsvoll an einem Meisenknödel. Zwischendrin schaut sie zu mir, dann gen Sonne. Danach futtert sie weiter. Es ist, als genieße sie das fette Futter und dabei die Wärme der Sonne. So wie ich sie genieße.

Trotz Verwundbarkeit kann ich mich an der Natur erfreuen

Offenbar gehört das zusammen, verwundbar sein und intensiv wahrnehmen. Weil wir verwundbar sind, kann ein Virus uns gefährden. Und weil ich verwundbar und sensibel bin, freue ich mich über Wärme und Sonne. Wie angenehm sich ein Windhauch auf der Haut anfühlen kann. Sonne, Wärme und Lebendigkeit, die gleichen etwas aus in mir.

Menschen sind keine Steine

Ich glaube, dass es zu uns Menschen gehört, verwundbar zu sein. Wir sind ja keine Steine. Und zugleich sind wir wunderbar gemacht. Wie intensiv wir wahrnehmen können. Wunderbar, wie klug meine Organe, Nieren und Bronchien, Nase und Haut zusammenspielen: verwundbar und wunderbar gemacht.

Mut und Zuversicht werden zurückkommen

Bald soll es wieder so sein, das hoffe ich: Kälte und Angst fließen aus meinem Körper heraus. Tropfen für Tropfen, Sorge für Sorge. Gleichzeitig rinnt etwas Neues nach. Jede Pore meiner Haut trinkt die Wärme. Und dabei strömen mit der Sonne auch Mut und Zuversicht in mich hinein.

Das Virus macht verletzlich, aber hoffentlich auch sensibel für das, was stärkt

Dann werden andere Bilder wach – wie wir bei großen Hochzeiten miteinander tanzen werden, lauthals singen und uns in den Armen liegen. Wie wir nah beieinanderstehen, lachen und einfach mal auf einen Sprung bei Freunden vorbeigehen. Ich werde zu meinen Eltern fahren, mit ihnen zusammen kochen und essen und ohne Sorge direkt neben ihnen sitzen. Ohne Angst im Gepäck.

Es macht uns alle verletzlicher, dieses Virus. Ich hoffe: es macht uns auch sensibler für das, was uns verbindet und stärkt.

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Verwundbar sein hat zwei Seiten
GettyImages/FedevPhoto

Verwundbar sein hat zwei Seiten

Ein Beitrag von Dr. Christine Lungershausen, Evangelische Pfarrerin, Eschborn

Seit einigen Monaten fühle ich mich verwundbar. Ein Virus kann mich verletzen, ein Aerosol meine Immunabwehr überwinden und mich zum Husten bringen. Einatmen, und schon wäre alles anders. Ein Virus bewirkt, wie ich mich fühle: Verwundbar.

Menschen sind verwundbar und gefährdet

Verwundbar, so sehe ich auch manche Menschen, die ich liebe: Sie sind gefährdet. Wenn ich an meine Eltern denke oder an eine etwas angeschlagene Freundin. Das Erste, was ich jetzt sehe: Sie sind bedroht. Verwundbar. Also gehe ich nur noch hin, wenn es unbedingt nötig ist. Ich habe Angst, sie möglicherweise anzustecken.

Verwundbar sein macht sensibel

Eigentlich will ich dieses verwundbare Gefühl nicht. Auf der anderen Seite macht mich genau das auch sensibel, empfänglich und aufmerksam. Das merke ich, wenn ich an warmen Tagen mein Gesicht in die Sonne halte. Die warme Sonne kribbelt und macht mich glücklich. Das Leben fühlt sich leicht an. Meine Haut trinkt regelrecht das Licht.

Ich blinzle. Direkt auf der Brüstung meines Balkons hat sich ein kleiner Vogel niedergelassen, eine Kohlmeise. Sie linst einmal zu mir rüber, dann pickt sie hingebungsvoll an einem Meisenknödel. Zwischendrin schaut sie zu mir, dann gen Sonne. Danach futtert sie weiter. Es ist, als genieße sie das fette Futter und dabei die Wärme der Sonne. So wie ich sie genieße.

"Weil ich verwundbar und sensibel bin, freue ich mich über Wärme und Sonne"

Offenbar gehört das zusammen, verwundbar sein und intensiv wahrnehmen. Weil wir verwundbar sind, kann ein Virus uns gefährden. Und weil ich verwundbar und sensibel bin, freue ich mich über Wärme und Sonne. Wie angenehm sich ein Windhauch auf der Haut anfühlen kann. Sonne, Wärme und Lebendigkeit, die gleichen etwas aus in mir.

Ich glaube, dass es zu uns Menschen gehört, verwundbar zu sein. Wir sind ja keine Steine. Und zugleich sind wir wunderbar gemacht. Wie intensiv wir wahrnehmen können. Wunderbar, wie klug meine Organe, Nieren und Bronchien, Nase und Haut zusammenspielen: verwundbar und wunderbar gemacht.

Mut und Zuversicht werden zurückkehren

Bald soll es wieder so sein, das hoffe ich: Kälte und Angst fließen aus meinem Körper heraus. Tropfen für Tropfen, Sorge für Sorge. Gleichzeitig rinnt etwas Neues nach. Jede Pore meiner Haut trinkt die Wärme. Und dabei strömen mit der Sonne auch Mut und Zuversicht in mich hinein.

Dann werden andere Bilder wach – wie wir bei großen Hochzeiten miteinander tanzen werden, lauthals singen und uns in den Armen liegen. Wie wir nah beieinanderstehen, lachen und einfach mal auf einen Sprung bei Freunden vorbeigehen. Ich werde zu meinen Eltern fahren, mit ihnen zusammen kochen und essen und ohne Sorge direkt neben ihnen sitzen. Ohne Angst im Gepäck.

Es macht uns alle verletzlicher, dieses Virus. Ich hoffe: es macht uns auch sensibler für das, was uns verbindet und stärkt.

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