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Päckchenwunder
Bild: M W/Pixabay

Päckchenwunder

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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Im Foyer der Hohen Landeschule in Hanau liegen gerade haufenweise Päckchen. Schuhkartons gefüllt mit Spielzeug, Hygieneartikeln und Schulsachen, Süßigkeiten sind auch dabei. Eingepackt in Geschenkpapier warten die Päckchen darauf, mit einem großen Konvoi in andere Länder gebracht zu werden. Länder, in denen viele Kinder sonst keine Geschenke bekommen. Über dreihundert Päckchen sind es in diesem Jahr, gepackt von unseren Schüler:innen und natürlich ihren Eltern. Jedes Jahr machen wir diese Aktion.

"Das glaubst Du nicht!" – ruft meine Kollegin Susanne und kommt mir auf dem Schulflur entgegen. Dann steht sie vor mir und erzählt: "Der Dujan aus meiner Klasse, der hat mir eben gesagt "Jetzt weiß ich, woher meine Weihnachtspäckchen gekommen sind!"

Susanne leitet unsere "Integrationsklasse". Die wird von Kindern besucht, die noch nicht lange in Deutschland sind. Sie sollen durch besondere Lernangebote einen Weg in unser Schulsystem finden. Dujan gehört zu dieser Klasse. Er lebte in Rumänien, bevor er nach Deutschland kam. Jetzt lernt er unsere Sprache, dann soll er in den regulären Unterricht wechseln.

Heute hat Dujan eine große Entdeckung gemacht. Das hat er Susanne gleich aufgeregt berichtet: "Die Päckchen in der Schule, das sind genau die, die wir in Rumänien zu Weihnachten bekommen haben! Das war unser Weihnachten! Das war toll. Und jetzt weiß ich, woher meine Weihnachtspäckchen gekommen sind!"

Zu schön, um wahr zu sein – das ist mein erster Gedanke, als ich das höre. Klingt wie eine Kalenderblattgeschichte, typisch rührselig, herzerweichend. Aber diese Geschichte ist nicht nur schön, sondern auch wahr. Sie ist genauso passiert.

Seitdem wissen wir, unsere Päckchen kommen an und sie sind wichtig. Für manche Kinder bedeuten sie Weihnachten. Und das bleibt in Erinnerung. Uns motiviert das, gerade im Corona-Jahr die Päckchen-Aktion durchzuführen. Es gibt uns ein gutes Gefühl: Wir lassen uns durch die schwierigen Umstände – gerade auch an der Schule – nicht davon abbringen, an andere zu denken und aktiv zu sein.

Es geht um Hilfe, die kommt, und Hilfe, die ankommt. Für mich ist es die richtige Geschichte zum 1. Advent. Es beginnt eine Zeit, in der es für mich auch darauf ankommt, was ich selbst machen kann, in und mit diesem Advent.
Und dazu gibt es ja auch noch diese Geschichte...
 

Es ist keine Geschichte aus dem Advent, aber für mich die richtige Geschichte zum Advent. Es ist eine der Wundergeschichten um Jesus, und sie geht so: (Joh 6)
Wieder mal hat Jesus von Gottes Reich erzählt. In Gottes Reich herrscht Frieden. Die Menschen sorgen füreinander und gehen liebevoll miteinander um. Zu schön, um wahr zu sein? Jesus sagt: Dieses Reich ist schon da. Wir können schon darin leben.
Das interessiert viele und sie sind gekommen, um das zu hören. Außerdem wollen sie besondere Taten von ihm sehen. Sie erwarten viel von Jesus selbst, und dem, was er tut. Man hat sich auf einem Berg versammelt, und es wird spät. Die Leute haben Hunger.
Da zeigt es sich, dass die Organisation des Ganzen wohl nicht so toll war. Es ist längst nicht genug Essen für alle da. Und als Jesus seine Leute fragt, müssen sie ihm gestehen, dass sie kein Geld haben, um Essen zu kaufen. Ganz abgesehen davon, ob man zu dieser Zeit in dieser Gegend überhaupt was bekommen würde.

Wie ist das jetzt mit dem Reich Gottes? Viele Worte und nichts dahinter?

Dann stellt Andreas, der Bruder von Petrus, Jesus ein Kind vor, das hat Brot und Fische dabei. Aber bestimmt nicht genug für alle, sagt Andreas gleich dazu.

Eigentlich eine hoffnungslose Geste – "Was können wir schon tun?"
Aber Jesus betet und ein Wunder geschieht. Das Essen wird verteilt. Am Ende werden alle satt, körbeweise bleibt sogar Essen übrig.
Eine rührselige Geschichte? Ein echtes Wunder?

Ich stelle mir das so vor: Normalerweise sorgt jeder für sich, gerade in Notzeiten. Aber dann fängt einer an. Denkt und handelt über die eigenen Grenzen hinaus. Vielleicht, weil er Vertrauen hat und Hoffnung – weil er lebt als Bürger des Reiches Gottes. Es wird geteilt – Vertrauen, Hoffnung, Brot und Fische.

Und dann wird es mehr. Andere lassen sich anstecken von Vertrauen und Hoffnung. Geben etwas von sich weiter – andere Menschen hatten bestimmt auch was zu essen dabei. Vielleicht getrocknete Feigen, ein Stück Fladenbrot, etwas Dörrfleisch, eine Wasserflasche – was man eben mitnahm, wenn man zu Jesu Zeiten aus dem Haus ging. Man teilt und auf einmal reicht es für alle: Vertrauen, Hoffnung, Brot und Fische. Es ist ein Stück Reich Gottes.
Diese Geschichte findet sich in allen Evangelien.
Aber nur der Evangelist Johannes berichtet von diesem Kind, das Jesus seine Vorräte für ein Wunder zur Verfügung stellt.

Vielleicht will Johannes damit erklären, wie dieses Wunder geschehen konnte. Oder er gibt mit dem Verhalten dieses Kindes für alle Zeiten ein Beispiel: So handeln Menschen im Sinne Jesu.

Für mich stimmt beides. Ein Wunder bleibt es. Damals und heute.
Das Johannes-Evangelium kommt ohne Advents- und Weihnachtsgeschichte aus. Advent und Weihnachten- das wird bei Johannes umgesetzt in das, was Jesus sagt und tut. Advent und Weihnachten - Reich Gottes - kann kommen und wirklich werden durch das, was ich selbst sagen und tun kann. Mich an Beispielen wie diesem Kind orientieren. Jesus nennt das "Nachfolge".
Advent und Weihnachten 2020 sind anders. Trotzdem kann es im wahrsten Sinn des Wortes ‚wunderbar‘ werden – vielleicht so:
 

In den nächsten Tagen werden die Päckchen aus unserer Schule abgeholt. Dann wird ein großer Konvoi zusammengestellt und auf die Reise geschickt. Und dann soll alles gut ankommen, und dafür sorgen, dass es Weihnachten wird, da, wo es gebraucht wird.
Vielleicht haben Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, noch die Gelegenheit, bei einer solchen Aktion mit zu machen. Sie könnten auch einen "Schuhkarton voll Weihnachten" bei einer Tafel in Ihrer Nähe abgeben. Oder vielleicht einfach die Nachbarschaft überraschen – das kommt in diesem Jahr bestimmt gut an. Karten und Briefe, Mails und WhatsApps können Worte sein, die zu "Lebensmitteln" werden. Im Zeitalter von Sprach- und Videonachrichten kommt auch selbst Gesungenes und Gespieltes ‚gut rüber‘, stelle ich mir vor.
In jedem Jahr beginnen mit dem ersten Advent die Aktionen "Brot für die Welt" und "Miserior". Die Kollekten am Heiligen Abend sind hierfür ganz wichtige Einnahmen. In diesem Jahr werden die Heilig-Abend-Gottesdienste anders sein. An vielen Orten sehr kreativ und besonders. Vielleicht ist es aufgrund der Hygienemaßnahmen schwierig, wie sonst die Kollekte einzusammeln. Deshalb ist es gerade in diesem Jahr eine gute Möglichkeit, Spenden zu überweisen. Viele Gemeinden halten auch Spendenumschläge bereit, um kontaktlos etwas zu geben.

"Jetzt weiß ich, woher meine Weihnachtspäckchen gekommen sind" – Es gibt viele Kinder wie Dujan. Auch wenn nicht alle erfahren, wie und woher ihr persönliches Weihnachtswunder gekommen ist, sie freuen sich über Päckchen – und das freut mich auch.

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