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Magische Momente
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Magische Momente

Christoph Schäfer
Ein Beitrag von Christoph Schäfer, Katholischer Religionslehrer, Rüsselsheim
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Jetzt im Sommer hab ich seit langem wieder London besucht. Mit dabei: mein zwölfjähriger Sohn. Seine Begeisterung als London-Neuling hat mich angesteckt: Mich hat die Stadt oft richtig in Bann gezogen. Wie bei meiner ersten Londonfahrt als Kind.

Den „magischsten  Moment“ meines jetzigen Londonbesuchs habe ich im Bahnhof King´s Cross erlebt: Wir haben „Gleis Neundreiviertel“ besucht. Die Romane über den Zauberschüler Harry Potter erzählen: Von diesem Gleis startet der Zug zur Zauberschule „Hogwarts“. Für Normalmenschen ist es unsichtbar. Doch Magier steuern hier mit Gepäckwagen einen Pfeiler zwischen Gleis 9 und Gleis 10 an. Dann versinken sie in der Mauer, gelangen in eine Parallelwelt. Dort steht der Zug bereit.

Im echten Londoner Bahnhof geht das natürlich nicht. Aber ich hab festgestellt: Man kann sich den magischen Effekt hier recht gut vorstellen. Da hängt im Gewirr normaler Info-Tafeln ein Schild: „Gleis neundreiviertel“. Unter ihm ist das hintere Stück eines Gepäckwagens an die Wand montiert. So dass es aussieht, als ob er verschwindet. Das hat mir einen Kopfkino-Moment beschert: Ich hab mich durch die Mauer durchgeträumt und mich an tolle Lese-Stunden mit Harry Potter erinnert.

In King´s Cross hab ich gespürt: Mit dem Gleis neundreiviertel hat die Autorin J.K. Rowling eine geniale literarische Fluchtphantasie geschaffen. Hier kann ich erleben, wie befreiend Literatur wirkt, wenn sie einen aus dem Alltag entführt. Und wie sie mich in meiner Überzeugung bestärken kann, dass es im Leben nicht nur auf das unmittelbar Sichtbare ankommt. Sondern auch auf Träume, auf Phantasie. Und nicht zuletzt auch auf religiöse Wahrnehmungen. Diese „Antenne für Religion“ ist mir wichtig. Deshalb kann mich Harry Potter auch in dieser Beziehung inspirieren, auch wenn diese Romane natürlich keine religiösen Texte in einem strengen Sinne sind.

Die Voraussetzung für diese Inspiration ist allerdings: Ich lasse ich mit einer Mischung aus bewusster Naivität und Ironie auf das Spiel ein. Das heißt: Ich rege mich in London nicht über Touristenrummel auf. Und grüble nicht nach, ob und wie der echte Bahnhof mit den Romanen übereinstimmt. Bei mir hat das gut funktioniert. Und daher hab ich von dem Besuch im Bahnhof King´s Cross wirklich etwas mitgenommen:  die Motivation, mir wieder häufiger Zeit für magische Lese-Momente zu nehmen.

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