Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Kirchweih
Bild: pixabay

Kirchweih

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg
Beitrag anhören:

Große Feste in Amöneburg im Kreis Marburg-Biedenkopf   

In Amöneburg, mitten in Hessen, gibt es in diesem Jahr trotz Corona Anlass und Gelegenheit zu großen Feiern: 1300 Jahre ist es her, dass der heilige Winfried Bonifatius hierhergekommen ist. Hier hat er sein erstes Missionskloster gegründet. Lange vor allen anderen. Und heute steht noch eine Feierlichkeit an: Heute ist Kirchweihfest. 150 Jahre alt wird die Kirche auf dem „Berg“, wie man den Ort in der Umgebung wegen seiner prominenten Lage einfach nur nennt.
Dass diese Jubiläen zusammenfallen, ist kein Zufall. Immer schon hat man die Stadtjubiläen besonders betont und mit wichtigen Aktivitäten verknüpft. So auch mit dem Neubau der Kirche. Pünktlich 1871 war sie fertig gebaut und wurde geweiht.
Stolz überragt dieses Gotteshaus die kleine Bergstadt Amöneburg. Die ehrwürdige neugotische Basilika steht am höchsten Punkt des Berges und ist viele Kilometer weit zu sehen. Immerhin überragt der vulkanische Bergkegel der Amöneburg die umgebende Beckenlandschaft um fast 200 Meter.
Heute also Kirchweihfest. 150 Jahre Neubau der Stiftskirche. Genau genommen stimmt das nur halbwegs. Denn wirklich neugebaut wurde die Kirche nur zum Teil. Der mittelalterliche Turm steht unverändert da. Auch seine barocke Haube ist ihm geblieben. Aus Kostengründen, sicher.
Die Grundmauern der mittelalterlichen Stiftskirche sind wieder verwendet wurden. Auch ihr Grundriss. Ergänzt hat der Architekt aber ein Querhaus. Der Grundriss der Amöneburger Kirche bildet dadurch heute ein Kreuz. Viele Kirchen tun das. Das macht sinnenfällig deutlich, was Kirche sein will und soll. Christus soll in ihr gegenwärtig und erfahrbar sein.

Ein Lied, das wir heute in Amöneburg singen werden, beschreibt Kirche ehrfurchtsvoll so: "Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land, aus ewgem Stein erbauet von Gottes Meisterhand." Eine passende Beschreibung für die Amöneburger Bergkirche. Sicherheit, Beständigkeit, ein weithin sichtbares Bild. Manche Stirn legt sich bei solchen Aussagen in Verbindung mit Kirche in Falten. Ein gewaltiger Anspruch - auch ein großer Auftrag. Die Realität sieht oft anders aus. Ernüchternd und beschämend, manchmal auch peinlich - und mehr als das. Der kreuzförmige Grundriss: Jeder Getaufte - ein neuer, ein zweiter Christus?!

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine große Lücke. Beim Nachdenken über die beiden Jubiläen - 1300 Jahre Bonifatius und 150 Jahre Kirchweih - kommt mir allerdings in den Sinn: Ob das nicht immer schon so war?!  Menschen sind trotz aller ihrer Ansprüche nicht perfekt. Das kann entlasten. Und ich meine: Das darf es auch, solange es nicht im Sinne eines saloppen "nobody is perfect" - niemand ist perfekt - zu einer leichtfertigen Entschuldigung wird. Der Anspruch, besser zu werden, darf nie aufgegeben werden.

Anton Bruckner hat eine Chormotette zum Kirchweihfest komponiert: 1869 wurde sie zur Weihe des neugebauten Doms in Linz an der Donau in Oberösterreich uraufgeführt. "Locus iste a deo factus est." Dieser Ort ist von Gott geschaffen worden, beginnt ihr Text. Ein "sacramentum"- ein Geheimnis, ein besonderer Ort, "inaestimabile", von unschätzbarem Wert, fährt der Text fort. "Irreprehensibilis est." Das kann nicht mehr zurückgenommen werden.

Der Text stammt aus dem ersten Buch der Hl. Schrift, dem Buch Genesis: Auf der Flucht verbringt Jakob eine Nacht in der Wüste. Den Kopf auf einen Stein gebettet, voll schwerer Gedanken: Was hat er seiner Familie gerade angetan, wo soll er nur hingehen? Da erfährt er mitten im Dunkeln, wie sich der Himmel öffnet, eine Leiter sichtbar wird, die Himmel und Erde verbindet. "Dominus est in loco isto" - "Gott ist an diesem Ort", erkennt er, "und ich wusste es nicht."

Musik: Anton Bruckner - Locus iste - Motette (Grduale) für 4-stimmigen gemischen Chor a cappella

Kirche - ein Schiff auf dem Meer der Zeit?

Im vergangenen Jahr 2020 sind in Deutschland mehr als 400.000 Menschen jeweils etwa zur Hälfte aus der katholischen und der evangelischen Kirche ausgetreten. Kirchengebäude sind in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland nur auf katholischer Seite über 600 entwidmet, "profaniert" worden; sie dienen nicht länger als Kirchen. Sie wurden abgerissen oder verkauft, anderen Verwendungen zugeführt. Eine seltsame Angelegenheit auch für aufgeklärte Menschen: Ein Ort, der bisher ein ganz besonderer war, ist es künftig nicht mehr.

Das Bild von der Kirche als "Haus voll Glorie", zeitlos und ewig, hat tiefe Risse. In meiner Jugend war ein ganz anderes Bild von Kirche angesagt. In Schüler- und Jugendgottesdiensten haben wir oft das passende Lied dazu geschmettert: "Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit. Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit. Und immer wieder fragt man sich: Wird denn das Schiff bestehn? Erreicht es wohl das große Ziel? Wird es nicht untergehn?"

Ein ausgeprägter Rhythmus, eine kräftige Dynamik, die Moll-Harmonik: All das hat den melancholischen Charakter eines irischen Shanty’s. Aufbruchstimmung. Passend für die 60er und 70er Jahre, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil der katholischen Kirche, inspiriert sicher auch von den 68er Protesten.

Heute ist dieses Lied für mich schal geworden. Das Schiff der Kirche gleicht in der Wahrnehmung vieler mehr einem Ozeandampfer als einem Fischerboot auf dem See Genezareth oder einem Hausboot. Beim Bild vom Schiff scheint sich mancher Verantwortungsträger nur zu gern in der Rolle des Kapitäns zu sehen. Autoritär will er den Kurs bestimmen und bemerkt gar nicht, dass sein Team ihm schon lange die Gefolgschaft versagt. Der Primat der Naturwissenschaft, den das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat, ist bei etlichen Prälaten nicht angekommen: Munter behaupten sie Positionen entgegen allem wissenschaftlichen Fortschritt. Als hätte man seit dem Fall Galileo und Hexenprozessen nichts dazu gelernt. Die Fähigkeit Kurskorrekturen vorzunehmen wird vermisst. Das Bild der Titanic drängt sich auf: Der Luxusliner, der sehenden Auges volle Kraft voraus in das Unheil der Katastrophe steuert.

Nein. Beide Bilder, das vom Haus und das vom Schiff bleiben unbefriedigend. Das glanzvolle Haus bedarf umfassender Reparaturen und Renovierungen. Im Schiff sind Absprachen über das Miteinander überfällig. Der synodale Weg, die aktuelle Reformbewegung der Katholiken in Deutschland markiert tiefgreifende Verwerfungen nicht nur zwischen Laien und Amtsträgern. Unterschiedliche Kräfte scheinen weit entfernt von der Einsicht, zum gemeinsamen Haus oder zum Team des Schiffes zu gehören.

Die Apokalypse, die Offenbarung des Johannes liefert ein weiteres, ganz anderes Bild von Kirche: "Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen. … Eine laute Stimme hörte ich rufen: "Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein. … Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel.“

Manches Gotteshaus ist gestaltet als eine solche himmlische Stadt: Zahlreiche Türme und Kuppeln erheben sich über ihm, Dächer ragen neben und übereinander auf. Etliche Fenster und Türen, lange Gänge und Emporen, Balkone und Galerien.

Musik: Dietrich Buxtehude - "Herr, wenn ich nur dich hab" BuxWV 38 - Solokantate

Kirche - die himmlische Stadt, das neue Jerusalem

Eine große Stadt ersteht, / die vom Himmel niedergeht / in die Erdenzeit. / Mond und Sonne braucht sie nicht; / Jesus Christus ist ihr Licht, / ihre Herrlichkeit.

Das ist die erste Strophe eines Gedichtes von Silja Walter. Silja Walter, eine begnadete Dichterin, Benediktinerin im Kloster Fahr in der Schweiz, vermittelt mit starker Sprache und klaren Gedanken in diesem Gedicht ein Bild von Kirche, das mich sehr anspricht und das seines gleichen sucht.

"Lass uns durch dein Tor herein / und in dir geboren sein, / dass uns Gott erkennt. / Lass herein, die draußen sind, / Gott heißt Tochter, Sohn und Kind, / der dich Mutter nennt."

Eine Absage an alle Exklusivität von Kirche: Hereinlassen, die draußen sind! Kirche als Stadt Gottes ist offen für alle, die sich nach Schutz sehnen, nach Geborgenheit, Heimat, nach Angenommensein, Sicherheit, Gesundheit. Wenn Jesus Christus das Licht dieser Stadt ist, dann wird Kirche ganz selbstverständlich auf alle zugehen, die am Rande sind, genauso wie Jesus es vorgelebt und praktiziert hat.

An die Praxis des Kirchenasyls erinnert diese Strophe: Kirche als himmlische Stadt der offenen Tore für Verfolgte, als Ort der Sicherheit für Menschen, die sich bedroht wissen. Viele Menschen in Lateinamerika haben Kirche als Verbündete im Kampf gegen Großgrundbesitzer, gegen Ausbeutung und Entrechtung erlebt. Die Theologie der Befreiung hat hier ihre Verortung. Nicht erst seit der Rehabilitierung des brasilianischen Theologen Leonardo Boff ist sie in der Mitte der Kirche angekommen.

Wie schrecklich, wenn Menschen scharenweise aus dieser Kirche fliehen, wo sie doch Zufluchtsort sein kann und soll! Welcher Geist hat sich da breit gemacht, der so gar nichts einladendes mehr zu haben scheint?!

"Ob Sie uns denn kirchlich trauen würden?", fragt mich ängstlich ein junges Paar. Irgendjemand hatte sie an mich verwiesen. Der zuständige Pfarrer jedenfalls habe es nicht gewollt; er kenne sie ja kaum, hatte er abgewunken. "Wie könnte ich denn ablehnen, wenn Sie um ein Sakrament oder einen Segen bitten!? Das ist ihr gutes Recht!" Ich wusste gar nichts anderes zu erwidern. "Wer dich Mutter nennt", wer sich in diese Stadt hineinbegibt, der ist in ihr "geboren" formuliert Silja Walter. Der ist ein Kind dieser Stadt, Kind Gottes! Darüber hat niemand zu urteilen, das ist in das Ermessen von niemandem gestellt, das hat per se Gültigkeit! Was für ein Anspruch – und was für eine gewaltige Größe!

Der Gedanke erinnert an die Verkündigung Jesu, eine zugegeben oft unbequeme Botschaft: Dass die Kleinen die Großen, letzte erste sind und der Tod nicht das letzte Wort hat in dieser Stadt.

Dank dem Vater, der uns zieht / durch den Geist, der in dir glüht; / Dank sei Jesus Christ,/ der durch seines Kreuzes Kraft / uns zum Gottesvolk erschafft, / das unsterblich ist.

Von weither sind die Türme der christlichen Kathedralen und Kirchen zu sehen. Sie sind Fingerzeig zum Himmel und mit dem weit zu hörenden Klang ihrer Glocken auch akustische Einladung an alle, die sie hören und sehen. Nein, wer sie als Drohgebärde und Machtzeichen verstehen will, missversteht, ja missbraucht sie gründlich.

Musik: Max Reger - "Jerusalem du hochgebaute Stadt" - 30 kleine Choralvorspiele

Eine ganze Stadt - und ein repräsentatives Stadttor

Über dem Portal der Amöneburger Kirche ist in den vergangen 12 Wochen ein Kunstwerk entstanden. Aus dem bis dahin unbehandelten Sandstein im Giebeldreieck über der Tür hat ein Bildhauer ein beeindruckendes Relief gestaltet. Dass es nur wenige Zentimeter Tiefe hat, bleibt dem Betrachter verborgen.

Es zeigt Maria als thronende Gottesmutter flankiert von zwei Engeln mit Weihrauchfässern. Auf ihrem Schoß das Jesuskind. Die Mariendarstellung schließlich geht zurück auf die Bauskizze des Architekten. Nach 150 Jahren ist sein Bau damit quasi vollendet worden.

Maria auf einem Thron? In den Evangelien findet sich ein solches Motiv nicht. Wohl aber in der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes. In einer prophetischen Schau sieht deren Verfasser sie: "Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt."

Christliche Tradition verbindet diese Frauengestalt, diese weibliche Majestät mit Maria. Sie wird hier gleichsam zum Urbild, zur Personifikation von Kirche. Wer künftig die Amöneburger Kirche betritt, stellt sich unter dieses Bild: Er betritt den Raum der mütterlichen Kirche. Deren Haus ist offen für alle. Freundlich bietet die Frau, die der Künstler in Amöneburg gestaltet hat, jedem und jeder, die kommt, Christus an. Eine schöne Symbolik finde ich.

Dass bei einem Gotteshaus Jahrzehnte und Jahrhunderte zwischen Baubeginn und Vollendung liegen, ist nicht ungewöhnlich. Stets wurden dabei Pläne und Ideen diskutiert und hinterfragt; oft auch verändert, der jeweiligen Zeit angepasst. Das Feiern von Jubiläen ist ein guter Anlass, eigene Positionen zu bestimmen, das eigene Denken zu klären. Das macht sie wertvoll.

Die Zukunft der Kirche? Die Apokalypse kennt sie bereits. "Die Frau aber floh in die Wüste", erläutert der Seher. Historisch beschreibt er die Verfolgungssituation der frühen Kirche. Heute kann dies der dringende Rat an Kirche sein, auf Wohlstand, Macht und Stellung zu verzichten. Wüste ist Bescheidenheit, Ort der Bewährung, Besinnung auf das Wesentliche. Kirchweihfest im Jahr 2021: Sich in die Wüste schicken lassen, im besten Sinne.

Silja Walter hat diesen Gedanken in einem weiteren Gedicht aufgegriffen, im "Gebet des Klosters am Rande der Stadt". Es schließt mit diesem Gedanken.

"Und jemand muss singen, Herr, wenn Du kommst! Das ist unser Dienst: Dich kommen sehen und singen. Weil du Gott bist. Weil du die großen Werke tust, die keiner wirkt als du. Und weil du herrlich bist und wunderbar wie keiner. Komm, Herr! Hinter unsern Mauern unten am Fluss wartet die Stadt auf dich. Amen."

Musik: Johann Sebastian Bach – Eröffnungssatz aus dem Magnificat in D BMV 243

 

Musikauswahl: Schul- und Kirchenmusiker Dr. Paul Lang, Amöneburg

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren