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Glauben heißt Vertrauen

Glauben heißt Vertrauen

Guido Hepke
Ein Beitrag von Guido Hepke, Evangelischer Pfarrer, Weilburg

Glauben heißt: nicht wissen. Meinen viele. Wenn ich glaube, dass mein Fußballverein am letzten Wochenende gewonnen hat, dann glaub ich das halt nur. Ich muss nachschauen, damit ich es dann weiß. Glauben heißt „nicht wissen“ – in der Alltagssprache. In der Bibel meint „glauben“ allerdings etwas anderes. „Glauben“ heißt da: Vertrauen.

Vertrauen also. Worauf ich vertraue, das kann ich nicht wissen. Ich weiß nicht, ob mein Freund wirklich zu mir hält. Ich kann es nicht beweisen. Ich kann das nur fühlen. Und mir genau dabei sicher sein. Was Vertrauen heißt, zeigen oft Kinder am besten. Wie mein Patenkind Helena. Die stand beim Spazierengehen plötzlich oben auf einer Mauer. Die Kleine streckt mir die Arme entgegen und ruft: Fang mich! Und schon eine Sekunde später hüpft sie los. Ohne überhaupt nachzusehen: Stehe ich denn da, wo sie hin springt. Unglaublich, dieses Vertrauen. Erwachsenen fällt das so nicht leicht. Vielleicht, weil sie erfahren haben, fallen gelassen zu werden. Und vorsichtig geworden sind.

Trotzdem: Ohne Vertrauen geht kaum etwas. Auch wenn man erwachsen ist. Für einen Freund von mir hat das Klettern in den Bergen viel mit Vertrauen zu tun. Als begeisterter Alpinist steigt Hans fast senkrechte Steilwände am liebsten hoch. Wenn Hans in den Abgrund schaut, dann fühlt sich das an, als könnte er fliegen. Freude pur – und Angst vor dem Absturz. Deshalb klettert Hans nie alleine. Er ist immer in einer Seilschaft unterwegs. Er erklärt: „So können wir uns gegenseitig sichern. Wenn einer abrutscht am Berg, dann müssen die anderen ihn halten können. Nur so sind alle sicher.“ Klar, dass Hans am liebsten mit erfahrenen Bergsteigern klettert. Dann kann er leichter darauf vertrauen: wir kommen schon heil den Berg hoch und wieder herunter.

Was Hans beim Klettern erlebt, gilt wohl ganz allgemein. Vertrauen heißt: Ich werde gehalten. Wenn ich falle, dann ist jemand da. Erst so kann ich zur Ruhe kommen, Frieden finden – für meinen Alltag und für mein Leben. So ist das für mich auch mit Gott: Wenn ich an Gott glaube, dann vertraue ich darauf: Er ist da. Und hält mich, wenn ich falle – oder springen muss. In einem Psalm der Bibel sagt ein Mensch das so:

Gott ist mir ganz nahe, das ist mir immer bewusst. Er steht mir zu Seite, ich fühle mich ganz sicher. (Ps. 16,8)

Musik: Jan Dismas Zelenka, Credo aus Missa Ultimarum Sexta, gespielt von Kammerchor Stuttgart und Barockorchester Stuttgart unter Frieder Bernius.

Gott ist mir ganz nahe, er steht mir zur Seite. Dieses Vertrauen bezeugen viele Psalmen. Wo sind die Orte, wo ich selbst das erfahren kann? Viele Leute sagen: Meinem Schöpfer bin ich am nächsten, wenn ich draußen bin. An der frischen Luft, im Wald, in der Natur spüre ich: Gott ist bei mir.  Das verstehe ich. Wenn ich nach einem langen Arbeitstag mit vielen Gesprächen und Sitzungen nach Hause komme, dann will ich oft einfach nur raus. Für mich heißt das: Die Laufschuhe an und los. Ich lebe an der Lahn, und es ist wunderbar, wenn ich das Abendlicht mit seinen 1000 Farben zwischen Rot und Violett über dem Fluss genießen kann. Wenn ich das sanfte Plätschern des Flusses höre und den frischen Duft des Frühlings atme.

Auf meinem Lauf durch die Natur nehme ich oft einen Gedanken mit. An die Dame aus der Frauenhilfe, die ich zum Geburtstag besucht habe. An den Gottesdienst, den ich nach dem Joggen weiter vorbereiten will. Oder was mein Sohn im Studium gerade macht. Meditieren im Gleichmaß der Laufschritte – das ist für mich wie beten. Wenn ich die Schönheit der Natur genieße, dann fühle ich mich eins mit der Schöpfung. Und ich empfinde mich dem Schöpfer so nahe, dass ich denke: Ich kann alles mit ihm teilen. Nach dem Laufen geht es mir gut.

Ich habe neue Ideen für meinen Gottesdienst. Und das, was mich beschäftigt, hat sich neu sortiert. Manchmal bin ich so erfüllt von meinen Eindrücken, dass ich sie mit anderen teilen will. Außerdem interessiert mich, wie andere das erleben. Ich will anderen begegnen, mit ihnen singen und beten, nachdenken und reden über die Geschichten der Bibel. Deshalb ist mir der Gottesdienst so wertvoll. Denn da bleibe ich nicht allein wie bei meinen Läufen durch die Natur. Im Gottesdienst werde ich Teil einer Gemeinschaft. In der Kirche begegne ich Menschen, denen ich sonst wahrscheinlich nie begegnen würde. Und wenn wir miteinander beten und singen, fühle mich mit ihnen verbunden.

Das macht mein Leben reich. Ich habe Anteil an einer langen Traditionskette. Und die verbindet mich mit Menschen aus allen Ländern und Völkern. Sie reicht zurück bis in die Zeit der ersten christlichen Gemeinden. Im Gottesdienst begreife ich: Gott ist nicht nur der Schöpfer allen Lebens. Er ist zugleich Stifter einer Gemeinschaft. „Gemeinschaft der Heiligen“ – so nennen Christen sie seit dem Beginn der Kirche. Heilig ist, wer auf Gott vertraut. Und wer sich einladen lässt in diese Gemeinschaft, die mit Jesus Christus begonnen hat.

Musik: Josef Gabriel Rheinberger, Credo aus Missa in A, op. 126, gespielt vom Vokalensemble Rastatt unter Holger Speck

Die Pfingstgeschichte der Bibel erzählt, wie die Gemeinschaft der Christen entstanden ist. Die Apostelgeschichte berichtet: 50 Tage nach Ostern versammeln sich die Jünger von Jesus in einem Haus. Mitten in Jerusalem. Sie wollen gemeinsam essen. Plötzlich kommt ein Sturmwind auf. Türen und Fenster knallen. Petrus unterbricht sein Tischgebet. Der Sturmwind fühlt sich an, als wäre Gott selbst darin gegenwärtig. Die Herzen der Jünger werden leicht und hell. Als würden sie von innen her leuchten. Als hätten sie einen Glorienschein um sich. Später sagen die Menschen: Feuerzungen hätten sich auf ihre Köpfe gesetzt. Die Apostel fühlen: Gott ist da – in diesem Moment. Als würde ihr Geist mit dem Geist Gottes reden können. Die Freundinnen und Freunde von Jesus fassen Vertrauen. So wie ein Adler seine Flügel ausbreitet, wenn ein Windstoß kommt und ihn emporträgt, so beflügelt sind sie. Begeistert – im wahrsten Sinne des Wortes. Und endlich haben sie den Mut, von alledem zu erzählen, was sie mit Jesus Christus erlebt und erfahren hatten. (Apostelgeschichte 2)

Soweit die Apostelgeschichte der Bibel. Später hat man sich vorgestellt, wie die Geschichte weitergegangen sein könnte: Schon wollen die Apostel aus dem Haus stürzen, hinausrennen auf die Marktplätze der Stadt. Doch Petrus hält seine Freunde zurück: „Lasst uns erst einmal überlegen, was wir den Leuten sagen wollen. Was ist euch wichtig? Wie habt ihr mit Jesus erfahren, was Glauben bedeutet? Worauf vertraut ihr?“ Johannes, einer der anderen Apostel, antwortet: „Mir ist wichtig, dass diese Welt kein Zufallsprodukt ist. In der Natur entdecke ich die schöpferische Kraft Gottes. Kreativ und liebevoll. Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“. Jakobus ergänzt: „Mir ist wichtig, dass Jesus von Anfang an mit Gott ganz eng verbunden war – also empfangen wurde durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.“

Andreas bekennt: „Ob Maria nun eine Jungfrau war oder eine junge Frau, das ist mir nicht so wichtig. Entscheidend ist für mich, dass Jesus so viel Schlimmes ausgehalten hat. Er hat so viel Leid auf sich genommen. Damit wir spüren: Er ist bei uns. Jesus weiß, wie es uns geht, wenn es uns schlecht geht. Er ist uns nahe, wenn wir alleine sind. Das ist mir wichtig. Also: Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben“. So tragen die Freunde von Jesus ihre Gedanken zusammen. Die Apostel teilen miteinander, was ihnen wichtig ist am christlichen Glauben, was für sie Gottvertrauen heißt. Petrus sammelt ihre Gedanken und schreibt sie auf. Und bevor sie auf den Marktplatz gehen, liest er seinen Freunden das Ergebnis vor:

Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.
Amen.


Musik: Helmut Brand, Wir glauben Gott im höchsten Thron

Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen. – So beginnt das Apostolische Glaubensbekenntnis. – Historiker sagen: Es ist unwahrscheinlich, dass schon Petrus und seine Freunde diesen Text geschrieben haben. Aber die Geschichte, wie es entstanden sein könnte, hat einen wahren Kern. Das Glaubensbekenntnis ist tatsächlich sehr alt: Schon im ersten Jahrhundert wurden Täuflinge im Gottesdienst gefragt: „Vertraust du auf Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde? – Und vertraust du auf Jesus Christus? – Vertraust du darauf, dass Gott in seinem Geist gegenwärtig ist? Die Menschen, die damals getauft werden wollten, antworteten mit „Ja“. Dann wurden sie getauft.

Ab dem vierten Jahrhundert wurde aus den Fragen und Antworten ein Gebet. Damit haben sich die Christen damals in jedem Gottesdienst daran erinnert: Darauf bist du getauft. Das Bekenntnis ist wie die Taufe für Christen ein Zeichen: Du gehörst dazu. Zu dieser besonderen Gemeinschaft, die mit Jesus Christus begonnen hat. Seit dem 5. Jahrhundert ist das Apostolische Glaubensbekenntnis auch schriftlich überliefert. Aus dieser Zeit sind die ältesten Handschriften erhalten, in der Fassung, die auch heute noch verwendet wird.

Ich finde das erstaunlich: Diese uralten Worte werden auch heute noch gesprochen. In fast jedem Gottesdienst. In sehr vielen Kirchen und Konfessionen. Überall auf der Welt. Wenn ich das Bekenntnis im Gottesdienst höre und mitbete, dann fühle ich mich verbunden mit der weltweiten Christenheit. Auch wenn manche Teile diese Textes nur mühsam zu verstehen sind, ich spüre: Diese alten Worte des Vertrauens nehmen mich hinein in eine große Gemeinschaft – und zugleich verknüpfen sie Vergangenheit und Gegenwart. Die alten Worte verbinden mich mit Petrus und Johannes, mit den Menschen in den ersten christlichen Gemeinden. Von ihnen lerne ich: Gottvertrauen im christlichen Sinne ist nicht gleichförmig – auch wenn wir die gleichen alten Worte sprechen. Ich frage mich, wenn ich das Glaubensbekenntnis spreche: Worauf gründe ich mein Gottvertrauen? Welche Sätze helfen mir weiter?

Jeder Mensch hat seinen eigenen Blickwinkel. Für mich heißt das: Ich brauche mich nicht aufreiben an den Satzteilen, die mir unverständlich sind oder fremd. Ich gehe vielmehr auf Entdeckungsreise. Für mich ist das Glaubensbekenntnis wie ein wunderschönes altes Haus mit vielen Räumen. Manche sind hell und warm. Hier fühle ich mich sofort wohl. Andere sind winzig klein – und eng. Es gibt Kellerräume, in denen es modrig riecht, und solche, die angenehm kühl sind. Im Speicher hängen die Spinnweben. Aber das Sonnenlicht strahlt durch die Dachluken hinein. In meinen Gedanken wandere ich durch dieses Haus des Gottvertrauens. Wandern Sie mit? In welchem Raum möchten Sie verweilen?

Musik: Arnold Mendelssohn, Der christliche Glaube aus Deutsche Messe, gesungen vom SWR Vokalensemble unter Frieder Bernius’

Wer im Haus des Glaubens auf Entdeckungsreise geht, wird nicht in jedem Raum gleich lang bleiben. Aber in jeden vielleicht einmal reinschauen – und möglicherweise sogar einen Lieblingsraum entdecken. So etwas haben wir im Gottesdienst ausprobiert, in meiner Gemeinde in Weilburg an der Lahn. Eine Momentaufnahme: Die Kerzen auf dem Sandsteinboden der Weilburger Schlosskirche leuchten warm und friedlich. In honigfarbenen Schalen stehen sie vor Pappschildern, auf denen Sätze oder Wörter aus dem Glaubensbekenntnis stehen. Die Gottesdienstbesucher schreiten das Apostolische Glaubensbekenntnis ab. Sie gehen von einem Schild zum anderen. Und stellen ihre Kerze zu dem Satzteil, der ihnen am wichtigsten ist.

Manchmal stehen die Kerzen dicht beieinander, manchmal vereinzelt. An manchen Pappschildern stehen 5 oder 6, an anderen mehr als 20. Aber nirgendwo steht keine Kerze. „Aufgefahren in den Himmel“ steht auf einer Tafel, „Vergebung der Sünden“ auf einer anderen. Viele Kerzen stehen vor den Worten „Auferstehung von den Toten“. Die leuchtenden Kerzen machen sichtbar, wo sich die Gottesdienstbesucher festgemacht haben. Sie sehen: was ist mir wichtig? – Und sie nehmen wahr: an welchen Worten machen die anderen ihr Vertrauen fest?

Auf das Zusammenspiel kommt es an: Dem eigenen Nachspüren – und zugleich offen sein für die Glaubenserfahrungen anderer. Nach dem Gottesdienst beim Kirchencafé unterhalten sich Kinder und Eltern, Freunde, Nachbarn munter: Sag mal, warum hast du deine Kerze dahin gestellt? Was ist dir an diesem Satz wichtig? Was heißt für dich Gottvertrauen? Eine Konfirmandin hat das so gesagt:

Als meine Oma gestorben ist, da war ich sehr traurig. Ich habe sie jeden Tag nach der Schule besucht – und das geht nicht mehr. Ich fühle mich allein ohne sie. Aber ich glaube, dass ich sie eines Tages wiedersehe. Ich denke: Nach dem Tod gibt es noch etwas. Denn meiner Meinung nach kann das Leben nicht einfach so aufhören. Deshalb ist mir der Satz „Auferstanden von den Toten“ wichtig.

Eine Dame ist schon weit über 80. Sie hat das erzählt:

„Früher, als Kind, da durften wir unseren Glauben nicht zeigen. Das war im Kasachstan. Die Sowjetrussen haben uns verschleppt, als der Krieg begann. Wir durften kein Deutsch reden. Und wir durften nicht mehr in der Gemeinde zusammen kommen. Also haben wir heimlich Gottesdienst gefeiert. Aber wir wurden erwischt und kamen nach Sibirien. Im Arbeitslager hatten wir keine Bibel mehr. Ich habe in der Zeit viel gebetet. Das hat mir Kraft gegeben. Jeden Sonntag um 10 Uhr habe ich das Glaubensbekenntnis gesprochen. Für mich allein. Aber ich wusste: ich bin nicht allein. Jetzt wird mit diesen Worten überall auf der Welt gebetet. Das hat mir gut getan. Ich habe mich nie besonders heilig gefühlt, besonders fromm oder so. Aber an diesen Sonntagen im Lager habe ich gewusst: Ich gehöre zur Gemeinschaft der Heiligen. Deshalb habe ich meine Kerze zu diesen Worten hingestellt.“

Mir haben diese Geschichten das Apostolische Glaubensbekenntnis neu erschlossen. Die alten Worte sind wertvoll – auch heute. Sie nehmen mich hinein in eine Traditionskette, die bis zu Petrus und den Aposteln zurückreicht. Und verbinden mich mit Menschen in meiner Gemeinde und überall auf der Welt. Vor allem merke ich: Die Glaubenserfahrungen anderer Menschen lassen mein eigenes Vertrauen wachsen. Es ist spannend, im Haus des Glaubens immer wieder einmal auf Entdeckungsreise zu gehen. Und am liebsten mache ich das zusammen mit anderen.

Musik: Johann Sebastian Bach, Credo on unum Deo aus der h-moll Messe, gespielt vom Bach Collegium Japan unter Mastaki Suzuki

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