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Engel - Michaelistag
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Engel - Michaelistag

Michael Tönges-Braungart
Ein Beitrag von Michael Tönges-Braungart, Pfarrer
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Engel haben Konjunktur. Nicht nur in der Weihnachtszeit. Umfragen haben ergeben: Mehr Menschen glauben an Engel als an Gott. Dass es zwischen Himmel und Erde Wesen gibt, die das Leben der Menschen begleiten, ist für viele eine beruhigende und tröstliche Vorstellung.

So zum Beispiel die Idee vom Schutzengel, der jedem Menschen an die Seite gestellt ist. „Da hast du aber einen Schutzengel gehabt“, sagen viele, wenn jemand knapp einem Unglück entgangen ist. Und das sagen manchmal auch solche, die sich gar nicht als christlich oder als religiös bezeichnen würden.

Engel sind für manche ein Symbol dafür, dass es da mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als man berechnen und messen kann; dass wir als Menschen nicht allein und uns selber überlassen sind; sondern dass da eine Macht ist, die uns behütet und bewahrt – und dass man dieser Macht auch begegnen kann – eben in der Gestalt von Engeln.

In der Bibel wird immer wieder von Engeln erzählt - und das auf ganz verschiedene Weise. Am bekanntesten sind sicher die Engel in der Weihnachtsgeschichte, die den Hirten auf dem Feld die Geburt Jesu verkünden. Oder der Engel mit dem Flammenschwert, der den Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehrt. Oder die Engel, die am leeren Grab Jesu stehen und den Frauen, die das Grab am Ostermorgen besuchen wollen, die Botschaft von der Auferstehung Jesu ausrichten.  Eltern wünschen sich als Taufspruch für ihr Kind einen Vers aus dem 91. Psalm: „Denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie ich behüten auf all deinen Wegen“.

Manchmal wird in der Bibel das Aussehen von Engeln beschrieben. Daher kommt die Vorstellung von geflügelten Gestalten in weißen Gewändern. Manchmal erscheinen sie aber auch in ganz „normaler“ menschlicher Gestalt – und damit verwechselbar und erst auf den zweiten Blick oder im Nachhinein als Engel zu erkennen.

Das Bild der Engel ist in der Bibel vielfältig, genauso wie die Vorstellungen, die Menschen heute von Engeln haben. Übrigens nicht nur in der vom Christentum geprägten Kultur. Auch im Judentum und im Islam gibt es die Vorstellung von Engeln.

Immer sind sie Boten Gottes. Sie haben ihre Macht und ihren Auftrag nicht aus sich selber, sind keine eigenständigen Wesen, sondern handeln in Gottes Auftrag.

Heute ist der Michaelistag. In der evangelischen Kirche ist er vor allem dem Erzengel Michael gewidmet. Mein eigener Vorname geht auf ihn zurück. Deshalb möchte ich diesem Tag und seiner Bedeutung heute Morgen nachgehen.

Der Engel Michael ist sozusagen ein interreligiöser Engel. Es gibt ihn auch im jüdischen und im muslimischen Glauben. Im Christentum galt er seit jeher als Schutzpatron der Kirche Roms und des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Daher kommt die Rede vom „deutschen Michel“. Also: Was hat es mit dem Erzengel Michael auf sich?

Musik

In der Kunst wird der Erzengel Michael als geflügelter Kämpfer in einer Rüstung dargestellt, der mit einem Schwert oder einem Spieß einen Drachen besiegt und ihn niedertritt. Das geht auf eine biblische Geschichte zurück:

Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, sind Visionen aufgezeichnet, die von der Zukunft und vom Ende der Welt handeln. Ein Bild dabei ist immer wieder der Kampf des Guten gegen das Böse, der Kampf Gottes gegen den Satan, den Teufel. Und der erscheint in der Figur eines Drachens.

Michael, der Anführer der Engelsstreitmacht Gottes, besiegt diesen Drachen und wirft ihn aus dem Himmel. Das Böse ist besiegt, seine Macht ein für alle Mal gebrochen. (Offenbarung 12)

Das ist ein anderes Bild von einem Engel als das liebevoll-fürsorgliche Bild eines Schutzengels. Der Erzengel Michael hat nichts Sanftes an sich. Im Gegenteil. Er ist ein kämpferischer, ja militärischer und gewalttätiger Engel. Ein Drachentöter, der sich der Macht des Bösen entgegenstellt und sie besiegt. Ein Engel, der die Machtfrage stellt: Wer hat die Macht auf der Erde – das Gute oder das Böse; Gott oder der Teufel?

Die Vorstellung, es gebe tatsächlich einen Teufel, ist uralt. Sie ist der Versuch, eine einleuchtende Erklärung für das Böse in der Welt zu finden. Am besten eine Person. Jemanden, der daran schuld ist, dass Menschen so viel Schlimmes tun können. Einen Einflüsterer, einen Versucher, einen Verderber, eben ein Inbegriff des Bösen.

Und weil so ein Böser natürlich auch böse aussehen muss, hat man ihm eine gehörnte Gestalt mit Klumpfuß und Huf angedichtet, einen Ziegenschwanz und beißenden Schwefelgeruch; ein Wesen, das tief unten in der Erde in einer Hölle regiert, aber immer wieder heraufsteigt und auf Erden sein Unwesen treibt.

Das wäre doch eine Erklärung. Da könnte man den Bösen beim Namen nennen, und die Menschen wären selber eigentlich gar nicht mehr schuld. Ich finde es gut, dass solche Vorstellungen von einem Teufel uns heute fremd geworden sind. Gott sei Dank! Aber die Erfahrung, dass das Böse eine unglaubliche Macht über Menschen gewinnen kann, ist damit noch nicht erledigt.

Ich kenne das von mir selbst. Da bin ich im Auto unterwegs und habe es eilig. Vor mir fährt einer, der es nicht so eilig hat und es langsam angehen lässt. Sehr langsam. Zu langsam aus meiner Sicht. Und ich fange an zu drängeln, zu dicht aufzufahren, den Blinker zu setzen, vielleicht auch die Lichthupe zu betätigen, damit der andere endlich Platz macht. Auch wenn ich weiß, wie wenig mir das bringt und wie gefährlich das ist. Meistens rege ich mich dann schnell wieder ab und frage mich: „Was ist da eigentlich in dich gefahren, dass du dich so aggressiv benimmst?“

Was ist da in dich gefahren, welche Macht hat dich da gepackt, dass du dich so verhältst, wie du es eigentlich doch gar nicht willst? Eine Erfahrung im Kleinen, die ohne böse Folgen bleibt. Andere sind ungleich schlimmer: sinnlose Gewalt gegen völlig unbeteiligte Menschen – auf der Straße, in Bahnhöfen, in Fußballstadien. Derart von Hass und Gewaltbereitschaft erfüllte Menschen, die andere Menschen schikanieren oder sogar umbringen – nur weil sie eine andere Hautfarbe haben oder eine andere Nationalität oder eine andere Religion.

Dass das Böse eine Macht sein kann, die Menschen beherrscht und zu schrecklichen Taten treibt, das begegnet uns jeden Tag – auch wenn wir uns von den alten Bildern vom Teufel schon lange verabschiedet haben.

Denn klar ist ja schon lange: Das Böse ist nicht irgendeine Person oder Macht von außerhalb, die eigentlich gute Menschen irgendwann überkommt und gegen die man sich nicht wehren kann. Nein: Das Böse und die Bereitschaft zum Bösen stecken tief drin in jedem Menschen selbst. Gut getarnt, aber jederzeit bereit, hervorzubrechen und gegen alle guten Vorsätze die Macht zu übernehmen.

Und auf diese Erfahrung antwortet das Bild des Erzengels Michael, des Drachentöters: Fürchtet euch nicht! Die Macht des Bösen ist besiegt.

Musik

Der Evangelist Lukas erzählt in seinem zehnten Kapitel eine merkwürdige Geschichte: Jesus hatte 72 Männer und Frauen ausgesandt, um in den Dörfern und Städten zu predigen, Kranke zu heilen und sich bösen Mächten entgegenzustellen. Immer zu zweit machten sie sich auf den Weg. Ohne Sicherheiten. Mit nichts mehr als dem, was sie auf dem Leib trugen. Sie wussten nicht, was sie erwarten würde, wie die Menschen auf sie reagieren würden. Keiner ging allein, sondern immer mit anderen an der Seite.

Nach einiger Zeit kamen sie ganz erfüllt zurück und erstatteten Bericht. Lukas schreibt:

„Die Zweiundsiebzig aber kamen zurück voll Freude und sprachen: Herr, auch die bösen Geister sind uns untertan in deinem Namen.Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden. Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ (Lukas 10,17-20)

Ich kann sie mir gut vorstellen, wie sie da zurückkamen. Voller Freude – und ein wenig auch mit stolzgeschwellter Brust: Wir haben etwas ausrichten können gegen böse Mächte! Wir haben Erfolg gehabt. Wir sind nicht ohnmächtig gewesen, sondern mächtig.

Und Jesus widerspricht ihnen nicht. Er bestätigt das, was sie erlebt haben. Ja, sagt er, die Macht des Bösen ist prinzipiell besiegt. Der Satan, der Teufel, ist aus dem Himmel heruntergestürzt. Seine letzte Macht hat er verloren.

Aber Jesus versetzt der Freude und dem Stolz der Jünger wegen ihrer Erfolge auch einen Dämpfer. Er sagt: „Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

Die Macht des Bösen ist von Gott prinzipiell besiegt. Die Menschen sind ihr daher nicht hilflos ausgeliefert, auch wenn diese Macht immer noch wirksam ist. Menschen können sich dieser Macht entgegenstellen. Und sie sind dabei nicht ohnmächtig. Sondern sie erleben, wie die Macht Gottes, die Macht des Guten durch sie selbst wirksam wird. Aber immer noch ist es nicht ihre eigene Macht, sondern die Macht Gottes.

Musik

Jesus schickt Menschen in die Welt, damit sie sich der Macht des Bösen entgegenstellen. In der Geschichte, die der Evangelist Lukas dazu erzählt, sagt Jesus dann zu denen, die mit Erfolgen zurückkommen: Freut euch nicht über die Macht, die ich euch gegeben habe. Freut euch nicht, wenn ihr das Böse zurückgedrängt, ja niedergetreten habt.

Warum eigentlich nicht? Ist das nicht wirklich ein Grund zur Freude, wenn das Gute siegt und das Böse überwunden wird? Warum soll man sich nicht darüber freuen?

Vielleicht, weil Freude, die nach unten tritt, Schadenfreude ist. Das bleibt sie auch dann, wenn eigentlich das Gute gesiegt hat.

Jesus lebte in einer Zeit, in der das Bild von einem Satan, dem Inbegriff des Bösen, allgegenwärtig war. Er nahm dieses Bild auf und nutzte es für seine Botschaft, dass die Kraft Gottes dem Guten zum Sieg verhelfen kann. "Ich sah den Satan vom Himmel stürzen wie einen Blitz", sagte er. Und ich verstehe das so: Das Böse ist nichts Überirdisches mehr. Es ist auf der Erde angekommen.

Und jeder Sieg über das Böse, den Menschen immer wieder einmal erringen, ist zugleich auch immer wieder gefährdet. Weil der letzte, der endgültige Sieg über das Böse noch aussteht und nicht unsere Sache ist, sondern die Sache Gottes.

Die Macht von Menschen, sich dem Bösen entgegenzustellen und es zu besiegen, ist nicht die eigene Macht. Es ist keine Macht, über die Menschen einfach verfügen können. Keine, die man sich einfach aneignen kann. Es ist eine verliehene Macht, die Gott Menschen verleiht, wann und wie er es will.

Deshalb mahnt Jesus: Freut euch nicht an eurer Macht über das Böse. Berauscht euch nicht daran. Es ist nicht eure Macht! Ihr habt sie nicht. Nur Gott hat sie.

Auch der kämpferische und starke Erzengel Michael aus dem Buch der Offenbarung hat seine Macht, das Böse zu besiegen, nicht aus sich selbst. Das kommt sogar in seinem Namen zum Ausdruck. Der ist eine Frage auf Hebräisch und bedeutet: Wer ist wie Gott? Die Antwort ist klar: Niemand. Auch nicht Michael.

Niemand ist wie Gott, und niemand muss versuchen, es zu sein.

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Niemand ist wie Gott, und niemand muss versuchen, es zu sein. Auch dann nicht, wenn es darum geht, der Macht des Bösen etwas entgegenzusetzen; die Macht des Guten dagegen ins Feld zu führen. Für mich hat das etwas ungemein Entlastendes. Ich muss mir keinen Namen machen, sondern mein Name ist im Himmel geschrieben. Mein Name ist bei Gott unvergänglich. Das ist ein Grund zur Freude – dann, wenn ich etwas zustande bringe, wenn ich Erfolge aufzuweisen habe – und auch dann, wenn mir das versagt bleibt.

Ich kann mich von Jesus losschicken lassen, so wie er die 72 damals losgeschickt hat. Ich kann mich auf den Weg machen, dem Bösen Gutes entgegenzusetzen, der Macht des Bösen entgegen zu treten, wo sie mir begegnet. Ich kann das tun im Vertrauen darauf, dass Gottes Macht stärker ist. Dass Gottes Macht mich begleitet. Vielleicht auch durch Engel, die er mir an die Seite stellt – durch Boten und Botinnen seiner guten Macht.

Heute ist Michaelistag, der Tag des Erzengels Michael. Er erinnert daran: Gottes Macht ist stärker als alle Mächte des Bösen. Er selbst kann das Böse überwinden – das Böse in mir und in anderen.

Ich muss deshalb nicht sein wie Gott, wenn ich Bösem widerstehe oder Böses zu überwinden suche. Ich muss nicht sein wie Gott, aber ich kann mich von ihm losschicken lassen, das Gute zu stärken und dem Bösen zu widerstehen, das mir in meinem Alltag begegnet. Und ich werde wie so viele Christenmenschen erleben, dass es immer wieder gelingt. Und niemand muss Angst davor haben, dass er oder sie sich selbst dabei verlieren könnten. Denn unser aller Namen sind im Himmel geschrieben.

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