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Das Ich, das nicht altern will – Wie mich mein Älterwerden jagt und wo ich Zuflucht finde
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Das Ich, das nicht altern will – Wie mich mein Älterwerden jagt und wo ich Zuflucht finde

Anne-Katrin Helms
Ein Beitrag von Anne-Katrin Helms, Evangelische Pfarrerin, Erlösergemeinde Frankfurt-Oberrad

Zu Beginn des Jahres war ich schwer erkrankt. Nach einem Krankenhausaufenthalt musste ich noch ein paar Mal zur Kontrolle zu meinem Hausarzt. Ich lag zum Blutabnehmen auf der Liege in der Praxis. Mein Arzt zieht die Spritze auf und ich habe währenddessen Zeit zum Jammern: „Dass mir mit 47 Jahren so etwas passiert und ich so krank werde, das ist schon ungerecht, oder? Ich mache Sport, ich ernähre mich gesund, ich bin nicht dick, ich rauche nicht … und was habe ich nun davon? Nichts.“ Mein Arzt hört mir aufmerksam zu. Er hält inne, bevor er mit einem Tupfer meine Armbeuge sterilisiert, und sagt: „Wissen Sie, zu mir kommen 75-jährige Menschen, die sich wundern, dass sie krank werden. Immer waren sie fit und gesund. Auf einmal trifft es sie. Sie ärgern sich, weil sie sich doch eigentlich noch sehr jung fühlen.“ Und mein Arzt sagt weiter: „Unser Problem ist: Unser Ich altert nicht. Immerzu denken wir, wir wären noch so jung wie früher. Aber das ist nicht so. Unser Körper altert. Unsere Lebensaufgabe ist es, das zu akzeptieren.“ Dann schaut er mich keck an: „Na, und Sie, Frau Helms, haben schon mit 47 die Chance, das zu tun!“
„Amen!“, denke ich. Recht hat er. Jetzt hat mir mein Arzt eine Predigt gehalten. Ich muss lächeln.
Mir hat seine Predigt geholfen. Natürlich: Es macht mir zu schaffen, dass ich krank geworden bin. Ich finde es ungerecht. Aber dagegen aufbegehren bringt mir auf Dauer nichts. Ich muss mich damit auseinandersetzen, dass ich nicht unsterblich bin, dass ich älter werde. Mein Körper, über den ich bisher nie nachgedacht habe, macht jetzt nicht mehr alles einfach so, wie ich es mir vorstelle. Ich muss damit umgehen.

Ein Psalm in der Bibel fängt so an: „Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.“ (Psalm 90,1) Wörtlich übersetzt steht da: „Gott, du bist unser Unterschlupf, wenn wir gejagt werden.“ Manchmal habe ich das Gefühl, meine Krankheit verfolgt mich. Dann fühle ich mich gejagt vom Älterwerden, von der Angst, dass mein Körper mich jederzeit wieder im Stich lassen kann. Dann sehne ich mich nach einem Unterschlupf, nach einem Ort, an dem ich sicher bin vor Krankheit und Schwächer-Werden.
Aber es ist so: Dem Älterwerden entkomme ich nicht. Auch nicht, wenn ich regelmäßig Sport mache und mich gesund ernähre. Das macht mir Spaß und hilft bestimmt. Aber den Prozess des Alterns hält es nicht auf. Egal, ob ich mich heute jung fühle oder nicht: Ich werde jeden Tag älter, und mein Körper wird anfälliger und gebrechlicher.
Mein Arzt würde mir jetzt predigen: „Ja, das ist so, Frau Helms. Die Lebensaufgabe haben wir alle. Und Sie haben die Chance, sie jetzt anzugehen.“ Und der Psalm in der Bibel sagt mir: „Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.“
Ich finde das realistisch und tröstlich. Das erkennt an: Ja, manchmal fühlst du dich wie gejagt von Krankheit, davon, dass du nicht mehr so kannst wie früher. Aber es gibt eine Zuflucht. Bei Gott kann ich unterschlüpfen. Gott ist ewig. Jenseits von Altern und Schwächer werden. Bei Gott bin ich für immer gut aufgehoben, egal ob sich mein Ich sich gerade unendlich alt fühlt oder für total jung hält."

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