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Perfekt und allein oder bedürftig und kontaktfreudig
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Perfekt und allein oder bedürftig und kontaktfreudig

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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Pamela Reif ist ein Fitnessmodel. Nach einer Zeitungsmeldung hat sie auf Instagram 3,1 Millionen Fans. Tendenz: ansteigend. Sie ist der Idealtyp einer jungen Frau, die eine neue Form von Weiblichkeit verkörpert. Hinter ihrem tollen Körper steht ein ganzer Lebensentwurf, zu dem Disziplin, Ehrgeiz, Gesundheit und Fitness gehören.  Sie gilt als Vorbild und ist bereits für viele junge Frauen zum Maßstab dafür geworden, was man heute aus sich machen kann. „Achte auf deine Körperhaltung!“ und „Versuche, insgesamt mehr zu lächeln“, rät und beherzigt sie. Der Körper braucht acht Stunden Schlaf, mindestens jeden zweiten Tag eine Stunde Krafttraining, keinen Zucker. Die Psyche soll unbedingt positiv denken, negative Menschen im Umfeld meiden, die Konzentration stets auf die eigenen Stärken lenken.
Fitnessmodels werden von vielen Menschen bewundert, weil sie das Beste aus sich machen, eine tolle Ausstrahlung haben, immer perfekt wirken, sprachfähig sind und bei all dem auch noch lächeln. Ihr Leben scheint frei von Unglück, Krankheit, Schmerz und Krisen. Auch Gefühlsausbrüche scheint es nicht zu geben. Ihr Leben ist reduziert auf Fitnesstraining, gute Pflegeartikel und gesunde Nahrung.
Eins ist augenfällig: Auf den Bildern ist Pamela immer allein, stark und autark. Ich habe den Eindruck, dass sie niemand an ihrer Seite braucht. So jedenfalls wirkt ihr Image auf mich.
Ganz anders Rocky, 14 Jahre alt. Er wurde mit offenem Rücken geboren und sitzt im Rollstuhl. 9 Operationen hat er schon hinter sich. Drei folgen noch in diesem Sommer. Er hat mein Herz bewegt. Im Urlaub habe ich ihn kennengelernt. Das Kind der Vermieter unserer Ferienwohnung, die sich intensiv um ihn kümmern. Ein toller Junge. Er bringt unglaublich viel Energie auf, um in Kontakt zu anderen Menschen zu treten. Plötzlich schaut er zur Terrassentür herein und erkundigte sich bei meinem Mann nach Sportergebnissen. So hat es angefangen. Später besucht er uns regelmäßig zum Quizduell spielen. Seinen Rolli musste er jedes Mal vor der Stufe zu unserer Haustür stehen lassen. Dann kam  er auf Knien blitzschnell in die Wohnung reingekrabbelt, bis er auf dem Sofa sitzt.  Für ihn selbstverständlich, für uns nicht.
Wir waren auch zusammen schwimmen. Mit dem Rolli zum Steg, dann über den Steg krabbeln von dort ins Wasser. Ganz selbstverständlich reicht er mir seine Hand, weil er im Wasser stehen will, aber es allein nicht kann. Das trifft wieder mein Herz. Unglaublich, welche Muskeln er hat, um sich aus dem Wasser wieder auf den Steg zu ziehen.
Rocky hat viele Freunde, auch unter Erwachsenen. Es ist einfach schön, in seiner Nähe zu sein, weil er immer gut für ein interessantes Gespräch ist. Ich habe ihn nie wegen seines Körpers hadern hören. Aber Angst hat er vor dem Krankenhaus und vor dem Alleinsein in der Intensivstation. Davon spricht er. Rocky interessiert allerdings sehr vielmehr als nur sein Körper und wie er auf andere wirkt. Für ihn sind Beziehungen wichtig.

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