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Palmsonntag: Krisen und Wendepunkte
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Palmsonntag: Krisen und Wendepunkte

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz
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Das hätte ich wirklich nicht gedacht, damals vor einem Jahr – in den ersten Wochen der Pandemie. Ich hatte die Hoffnung: Im Sommer haben wir diese Krise geschafft, und wir können dann wieder zum Normalzustand zurückkehren, den Urlaub genießen, unbeschwert einander treffen. Stattdessen sind wir nun schon mehr als ein Jahr dabei, immer wieder neu unser Leben an Regeln auszurichten – an ganz besonderen Regeln, die uns dabei helfen sollen, uns selber und vor allem die Schwachen in unserer Gesellschaft zu schützen.

An den Kar- und Ostertagen fehlen sie besonders

Und auch in der Kirche müssen wir diese Regeln immer wieder auf unsere Gottesdienste übertragen, auf die Jugendarbeit, die Seelsorge an den Menschen, das Miteinander in Büro und Gemeinde – gerade jetzt ist das wieder der Fall.

Bei aller Akzeptanz für die Maßnahmen – es kostet auch Kraft. Zu erleben, dass keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden können, das ist schon ziemlich einschneidend – das habe ich im letzten Jahr so erlebt. Vor allem an den Kar- und Ostertagen fehlen sie ganz besonders. Heute mit dem Palmsonntag beginnen die Kar- und Ostertage wieder – eine ganz wichtige Zeit ist das für mich – die Heilige Woche oder die Semana Santa, wie sie in Spanien heißt.

Diese Prozessionen gehören einfach dazu

Ich habe einen besonderen Bezug dazu, weil ich in eine spanische Familie eingeheiratet habe. Meine Schwägerin und ihre Familie leben in einem kleinen Dorf in Andalusien. Und in der Semana Santa schicken sie uns immer ganz viele Fotos von dort. Am Palmsonntag beginnen in Spanien normalerweise die großen Prozessionen. Das ganze Dorf ist dann auf den Beinen und begleitet festlich gekleidet und dicht gedrängt die lebensgroßen Figuren von Jesus und einem Esel durch die Straßen. Lebensgroße Figuren, die eine biblische Geschichte erzählen. Heute, am Palmsonntag ist es die Geschichte, wie Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzieht. Noch bejubeln ihn die Menschen mit Palmwedeln in den Händen, aber es mischen sich schon kritische Stimmen darunter, die immer lauter werden. Stimmen, die Jesu Tod fordern. Diese Geschichte vom Palmsonntag wird über die Prozession mitten hineingetragen ins Dorf. Meine Schwägerin und ihre Familie sind jetzt nicht besonders kirchlich aktiv – aber diese Prozessionen, die gehören einfach dazu. Ohne sie ist Ostern nicht vorstellbar. Aber auch hier gilt: Schon zum zweiten Mal muss diese wichtige Tradition ausfallen.

Könnten Traditionen ganz verschwinden?

Und viele fragen sich jetzt natürlich auch: Werden diese Traditionen wiederkommen? Oder werden sich die Menschen daran gewöhnen, dass es auch ohne geht. Ich fände das schade: Für mich sind solche Traditionen und Prozessionen Zeichen, die Hoffnung geben. Zeichen, die über das Leben hier hinausweisen.

Ich mache mir schon auch Sorgen, dass Traditionen, die die Gesellschaft für mich auch zusammenhalten, ganz verschwinden könnten. Ich würde da manches sehr vermissen. Und diese Fragen stellen sich ja nicht nur im Bereich von Religion. Wir erleben es: Ohne Kultur wird’s still. Was werden wir wieder aktivieren können? Was wird sich verändert haben? Diese Fragen beschäftigen mich.

Meinen Glauben mit jemanden zu teilen...

Was ist mir wichtig, woraus lebe ich, worauf kann ich auf keinen Fall verzichten? Darüber habe ich in dieser Zeit der Pandemie nachgedacht. Und ich merke: Mein Glaube ist mir in diesen Tagen besonders wichtig. Auch: dass ich ihn mit jemanden teilen kann.

Im letzten Jahr habe ich es als Glück erlebt, mich an die Traditionen erinnern zu können, die mich all die Jahre geprägt haben. Lange Zeit habe ich die Kindergottesdienste zu den Kar- und Ostertagen in unserer Gemeinde gestaltet. Heute sind meine Kinder groß, und ich bin dankbar, dass diese Gottesdienste jetzt andere gestalten.

Aber ich bin auch dankbar, dass ich durch diese Erfahrung auf ganz einfache, eingängige und berührende Rituale zurückgreifen kann, die uns aus der Zeit der Kindergottesdienste vertraut sind: ein vertrautes Lied oder die selbstgebastelte Dornenkrone aus einem Rosenzweig. Im letzten Jahr wurde es so bei allen Einschnitten doch ein wunderbares und sehr intensives Erlebnis, die Heilige Woche mit meiner Familie und nur mit ihr zu feiern.

"Krise bedeutet auch Wendepunkt"

Diese Erfahrung trägt mich durch die Krise, auch wenn sie sich jetzt ein weiteres Mal verschärft. Wie viele Wellen kommen noch? Was macht das mit unseren Kindern? Wann kann ich endlich wieder meine Eltern, meine Geschwister und Freunde unbefangen sehen? Ich merke die Ungeduld in mir und erlebe Depression, schlechte Laune und Resignation um mich herum. Und dann spüre ich doch auch Scham. Scham, weil es uns in dieser Krise noch so viel bessergeht als den Menschen in vielen anderen Teilen dieser Welt. Also bleib geduldig, ermutige ich mich dann. Denn: Krise bedeutet auch Wendepunkt. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem es wieder aufwärtsgeht. Vielleicht auch dadurch, dass die Krise selbst eine Gesellschaft dazu bringt, sich zu wenden, eine neue Richtung einzuschlagen? Bei aller Schwere – mir macht das Hoffnung: Der Wendepunkt wird kommen, und dann wird es wieder besser werden.

Der Wendepunkt im Leben Jesus

Um Krisen und Wendepunkte geht es auch in der Geschichte vom Palmsonntag: Jesus reitet auf einem Esel in die Stadt Jerusalem ein. Er wird wie ein König begrüßt. Die Menschen legen ihm ihre Kleider zu Füßen und rufen ihm zu: Hosianna – Gott, rette uns!

Die Menschen seiner Zeit setzen all ihre Hoffnung auf ihn. Sie hören von den Wundern, die er vollbracht haben soll, sie hören, dass er in seinen Reden ganz neue Maßstäbe setzt: Das, was nach menschlichen Maßstäben klein ist, ist vor Gott groß. Jesus ist auf dem Höhepunkt seines Lebens und Wirkens. Und doch ist diese Geschichte der Anfang der größten Krise seines Lebens. Sie ist der Anlauf bis zum eigentlichen Wendepunkt im Leben Jesu: dem Tod am Kreuz.

Und trotz dieses schrecklichen Endes gibt mir die Geschichte Hoffnung.

Hoffnung und Glaube in mir wach zu halten

Hoffnung, die habe ich, weil ich weiß: Auf den Karfreitag folgt Ostern. Weil ich glaube: Jesus ist nicht im Tod geblieben, sondern er ist auferstanden. Deswegen hoffe ich und bleibe nicht in Ungeduld und Resignation gefangen. Ich versuche, diese Hoffnung und den Glauben in mir wach zu halten.

Das kann ich auch an manch anderer Stelle gut gebrauchen. Ich erlebe zurzeit nicht nur die Corona-Pandemie als eine Krise. Meine katholische Kirche, in der ich groß geworden bin, die mir die Werte vermittelt hat, aus denen ich heute lebe, die mir eine Gemeinschaft ermöglicht, die mich trägt, diese Kirche macht mir manchmal ganz schön zu schaffen.

Wie lange halte ich das noch aus?

Sie sorgt besonders in der letzten Zeit für so manche Krise, bei der ich mich frage: Wie lange halte ich das noch aus?

Menschen, die in sensiblen oder schwachen Situationen in ihrem Leben, als Kinder oder als Erwachsene Missbrauch durch Menschen der Kirche erlebt haben. Wann werden wir hier endlich an den Wendepunkt kommen, an dem die Vergangenheit aufgearbeitet und eingeordnet ist und dazu führt, dass Missbrauch nie wieder passiert?

Mit mir nicht!

Und manche Krise kommt direkt aus Rom: Kein Segen für gleichgeschlechtliche Paare. Das war ein Schlag ins Gesicht von vielen Menschen, die zur katholischen Kirche gehören, die in ihr glauben und die einen Menschen gleichen Geschlechts lieben und die sich danach sehnen, dass ihre Liebe vor Gott und den Menschen gutgeheißen wird – gesegnet wird. Welche Hybris, zu glauben, dass wir Gott vorschreiben könnten, wen oder was er segnet. Denn letztlich ist es Gott, der segnet, wenn wir einen Segen über andere sprechen. Ich befürchte, diese Krise wird auch noch eine Weile andauern, so wie ich meine Katholische Kirche kenne. Aber hier habe ich mehr Hoffnung als Resignation. Hoffnung machen mir die vielen Kollegen und Kolleginnen, die sich klar positionieren, in Profilbildern und Statements, die Regenbogenfahnen hissen, die zeigen: Mit mir nicht.

Gott wendet die Situation zum Guten

Hoffnung, die habe ich, weil nach dem Karfreitag Ostern kommt. Heute am Palmsonntag schaue ich auf die Krisen und die Wendepunkte und ich glaube fest daran: Gott hilft uns durch diese Krisen hindurch, Krisen in der Welt und in der Kirche und auch meine ganz persönlichen. Und er wendet die Situation zum Guten. Am Ende dieser Woche steht Ostern, das ist für mich ein großes Hoffnungszeichen.

 

 

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