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Lieblingsmensch
Carinja Fichter/Pixabay

Lieblingsmensch

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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„Manchmal meint es der Himmel gut mit uns und schickt uns einen Lieblingsmenschen.“ Steht auf einer Postkarte, die ich vor kurzem bekommen habe.

Ich denke nach: Wer sind meine Lieblingsmenschen? Und mir fallen nach und nach unglaublich viele ein. Manche haben mich nur kurz begleitet, manche machen mein Leben aus.

Ein ganz besonderer Mensch

Ein Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild eines ganz besonderen Lieblingsmenschen. Es ist meine frühere Mal-Lehrerin aus Kiel. Da habe ich als Kind gelebt. Ich nenne sie hier mal Frau Bertram. Als Kind ging ich jeden Montag mit etwa 8 anderen Kindern zu ihr. Sie hatte eine Art Mal-Küche. Wir haben an großen Tischen gesessen und jedes Mal eine neue Aufgabe bekommen. Große Papierformate oder kleine, Tonfiguren, Batik oder Tusche, Wasserfarben oder Pastellkreide, jede Technik war mal dran. Und auch die Motive waren vielfältig. Phantasiereich hat Frau Bertram uns in den ersten Minuten erklärt, was dieses Mal dran war: sich selbst als Zwerg malen, der durch einen Pilzwald geht, einen Licht-Träger im dunklen Winter, einen Bücherstapel, auf dem ich ganz oben sitze, oder wie ich selbst mit Gott telefoniere. Frau Bertram malte mit den Worten. Und schon während der Beschreibung bekam ich Lust, loszulegen.

In der Regel reichten die zweieinhalb Stunden montags aus: Das Bild wurde fertig. Und dann bekamen wir Kinder beim nächsten Mal das fertige Werk mit einem schönen Passepartout mit nach Hause und fühlten uns wie echte Künstler.

Briefe gehen hin und her

Als ich aus Kiel weggezogen bin, war ich fast 12 Jahre alt. Und trotzdem haben wir Kontakt gehalten. Wir haben uns Briefe geschrieben, ganz altmodisch. Bis heute. Ich sieze sie immer noch. Sie duzt mich immer noch. Dreimal habe ich sie besucht. Aus meinen Briefen erfährt sie, wie sich meine Eltern getrennt haben. Sie weiß, welchen Beruf ich wählte, auch welchen dramatischen Liebeskummer ich hatte. Sie weiß, dass ich später heiratete und Kinder bekam. In meinen größten Krisen Zeiten hat Frau Bertram die Hoffnung hochgehalten. Sie hat mir die Sicherheit vermittelt: „Du wirst deinen Weg finden und gehen.“

Ja, Gott hat mir da wirklich ein ganz besonders Exemplar „Lieblings-Mensch“ geschenkt. Wenn ich die Briefe von ihr lese, bin ich immer ganz gerührt.

Briefe erzählen das Leben

Im letzten Sommer habe ich Frau Bertram besucht. Natürlich ist sie alt geworden. Ihr ganzes Haus hängt voll von den Bildern ihrer Mal-Kinder. Auch eines von mir ist dabei. In ihren Briefen spricht sie immer öfter davon, wie beschwerlich das Leben jetzt ist. Sie kann nicht mehr gut gehen, ist wacklig auf den Beinen. Ihre Augen sind schlecht. Die Zähne schmerzen. Auch wenn die Tochter sie oft besucht, ist sie manchmal einsam. Die Abende sind lang.

Ob meine Briefe sie etwas aufmuntern?

Ich habe jedenfalls beschlossen, Frau Bertram zu schreiben, wie wichtig sie in meinem Leben war und ist und wie ihre Briefe mich durch schwere Zeiten getragen haben.

Lieblingsmenschen sollten auch erfahren, dass sie Lieblingsmenschen sind.

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