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Liebe gibt es nicht für Leistung
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Liebe gibt es nicht für Leistung

Ute Zöllner
Ein Beitrag von Ute Zöllner, Evangelische Pfarrerin i.R., Pastoralpsychologin, Kassel
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Wasserblaue Augen schauen mich an. Sie gehören zu Ulrike. Die junge Frau ist 30 Jahre alt und studiert Islamwissenschaften. Sie wirkt nachdenklich auf mich. Ihre brünetten Haare umspielen das ungeschminkte Gesicht. Der einzige Schmuck, den sie trägt, ist ein goldenes Nasenpiercing.

Genauso wichtig wie das Foto, ist das, was sie zu sagen hat. Es geht um ihre Antwort auf die Frage, was die wichtigste Erkenntnis in ihrem Leben ist. Sie meint: „Dass es nicht darauf ankommt, anderen etwas zu beweisen.“ Das zu begreifen, erzählt sie weiter war schwer für mich und entstand mitten in einem seelischen Schmerz. Ich habe es erst begriffen, als mein Vater mir eine lange Mail geschrieben hat.

Bis zu dieser Mail wollte ich ganz hoch hinaus. Ich wollte Diplomatin beim Auswärtigen Amt werden und studierte in England. Aber es ging mir nicht gut mit der ganzen Anstrengung und dem Druck. Ich konnte nicht mehr schlafen und grübelte nächtelang. „Du bist meine liebe Tochter, an dir habe ich Wohlgefallen“, auf so einen Satz meines Vaters habe ich eigentlich gewartet. Nur wusste ich das nicht – bis zu dieser Mail. Ich habe mich einfach geirrt und glaubte, dass ich meinen Vater beeindrucken muss. Ich dachte, nur so in den Spiegel schauen zu können.

Wie gut, dass der Vater ihren Irrtum verstanden hat. So konnte er Ulrike eine große Last nehmen und seiner Tochter zur wichtigsten Erkenntnis ihres Lebens verhelfen. Mit ihrem offenen Gesicht gibt sie diese Einsicht nun weiter: Durch Leistung lässt sich Liebe nicht erkämpfen. Der Versuch aber kann mir den Schlaf rauben.

Du bist meine liebe Tochter, an dir habe ich Wohlgefallen. Jetzt „muss ich nicht mehr so hoch hinaus“, sagt sie. „und endlich kann ich wieder schlafen.“

Quelle: Die Zeit, 07.04.2016

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