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Weinen in Auschwitz
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Weinen in Auschwitz

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Vor viereinhalb Jahren, im Sommer 2016, war ich zum ersten Mal im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Ich werde das nie vergessen. Es war ein Erlebnis, das mich an Körper und Seele gepackt hat. Ich muss immer wieder daran denken. Heute natürlich besonders, am 27. Januar. Heute vor 76 Jahren ist das Vernichtungslager Auschwitz befreit worden.

Es hat meinen Körper und meine Seele gepackt

Schon als Jugendliche hab ich sie in Büchern und Filmen gesehen: die Bilder von den Menschen damals, die bis auf die Knochen abgemagert waren. Und ich hatte natürlich auch viel gelesen über die Rampe, an der Jüdinnen und Juden selektiert wurden: in diejenigen, die arbeiten sollten, und die anderen, die direkt ins Gas geschickt wurden. Aber als ich dann dort stand, auf dieser Rampe, und als ich Richtung Gaskammern schaute, als wir dann dorthin gegangen sind, zu den Resten der Krematorien: Da hat es mich gepackt. Ich bekam den Kloß im Hals gar nicht mehr los, und irgendwann konnte ich nur noch schluchzen und weinen.

Verbrannte Körper und frisch gemähtes Gras

All das Grauen war plötzlich so viel sichtbarer und erfahrbarer geworden. Es war, als ob der Boden, die Luft, das Gras dort in Auschwitz noch etwas von dieser Vergangenheit in sich trügen. Und davon Zeugnis ablegen würden, was hier geschehen ist, 1941 bis 1945. Auf der Rampe sind Familien auseinandergerissen worden. Sie haben sich das letzte Mal gesehen, ohne es zu wissen, oft noch mit einem verrückten Rest Hoffnung. Diese Menschen sind dann auf dem gleichen Boden wie wir die paar hundert Meter bis zu den Gaskammern gegangen. Auf den Feldern ringsum hat sich ihre Asche verteilt.

Bei meinem Besuch in Auschwitz im Sommer 2016, da war das Gras frisch gemäht. Es roch ganz wunderbar. Und das hat mich richtig verwirrt, denn in meinem Kopf schwirrte die Vorstellung: Wie furchtbar muss es gestunken haben, als hier tausende Menschen am Tag verbrannt wurden. Über Jahre.

Aufstehen gegen Antisemitismus, damit so etwas nie wieder passiert

Natürlich war für mich Auschwitz schon vor dem Besuch dort ein Begriff des Grauens. Aber die Erfahrungen an diesem Ort haben mich wirklich noch einmal verändert. Ich bin noch empfindlicher geworden gegenüber jeder Form von Antisemitismus. In mir ist der Wille weiter gewachsen: Ich muss aufstehen gegen Antisemitismus. Auch in diesen Zeiten jetzt, in denen die Klischees gegen Jüdinnen und Juden wieder Auftrieb bekommen, etwa bei den Corona-Leugnern. In Zeiten, in denen die Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden, die Shoah, verharmlost wird. 

Es war ein unfassbares Grauen, was damals passiert ist. Und ich werde alles tun, was mir möglich ist, damit so etwas wie Auschwitz nie wieder passiert.

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