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Sündenböcke
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Sündenböcke

Dr. Joachim Schmidt
Ein Beitrag von Dr. Joachim Schmidt, Evangelischer Pfarrer, Darmstadt

Am Jom Kippur, einem der höchsten Feiertage des Jahres, wurden zwei Ziegenböcke in den Tempel geführt, direkt vor den Hohepriester. Der eine wurde dem Gott Israels geopfert. Dem anderen legte der Hohepriester beide Hände auf den Kopf und übertrug ihm mit lauter Stimme alle Sünden des Volkes. Dann wurde der Bock hinaus in die Wüste gejagt, wo er elend zugrunde ging. Das Volk aber durfte sich frei von Sünden fühlen bis zum nächsten Jahr.

Ein uraltes Ritual des Volkes Israel, genau beschrieben im Alten Testament. Prakti- ziert wird es schon lange nicht mehr, aber die Sündenböcke gibt es bis heute. Das sind die, die unbedingt schuld sein sollen, denen man etwas auflädt, auch wenn sie gar nichts dafür können. Sündenböcke sollen einfach leiden, damit andere sich gut fühlen können.

Wenn etwas schief gegangen ist, sind Sündenböcke schnell gefunden. Selten sind es die wirklich Verantwortlichen. Dafür haben Sündenböcke immer eines gemein- sam: Sie sind anders als die, die mit dem Finger auf sie zeigen. Das macht sie ver- dächtig. Im Mittelalter, zu Zeiten der Pest, beschuldigte man die Juden, Brunnen zu vergiften. Seit einiger Zeit sind es zum Beispiel die vielen Flüchtlinge, von denen es heißt, alle seien doch irgendwie mit schuld, wenn einige Verbrechen begehen.

Wer Sündenböcke sucht, der braucht keine großen Argumente. Denn Sündenböcke können sich selten wehren, sie sind eine bequeme Lösung, und das macht sie verführerisch. Wer Sündenböcke sucht oder solches Gerede einfach nachplappert, der ist zu faul oder zu dumm zum eigenen Nachdenken. Und dabei wäre in schwierigen Zeiten nichts dringender nötig als das.

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