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Stille ist kein Garant für Ruhe
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Stille ist kein Garant für Ruhe

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
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Seit den Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie lese ich abends viel. Ein Buch hat es mir besonders angetan. Es ist von Tim Parks und heißt „Stille“. Die Geschichte, die das Buch erzählt, geht so:
Harold Cleaver ist ein beliebter, erfolgreicher Fernsehjournalist. Aber über ihn reden die Leute gerade mehr, als ihm lieb ist. Sein Sohn hat nämlich ein Buch über ihn geschrieben. Darin rechnet er mit seinem Vater ab. Der Sohn verbreitet, Harold Cleaver mag ja ein toller Fernsehjournalist sein. Aber als Vater habe er versagt.

Harold Cleaver trifft das Buch seines Sohnes hart. Aber er hat keine Lust, öffentlich dazu Stellung dazu zu nehmen. Er will nur seine Ruhe. Er will mit niemandem reden, schon gar nicht mit seinem Sohn. Er fährt weg und zieht sich in die Berge zurück – in eine entlegene Hütte – ohne Handy-Empfang, ohne Internet.

Weglaufen ist auch keine Lösung

Ich kann das verstehen. Manchmal treffen einen die Vorwürfe eines anderen so hart, dass man abtauchen möchte. Erstmal weg von allem, was einen belastet. Die Ruhe suchen, das kann helfen, um zu verarbeiten.
Harold Cleaver tut die Einsamkeit zunächst gut. Aber nach tagelangem Alleinsein erkennt er: Stille allein ist kein Garant für Ruhe.

Äußerlich ist in seiner Bergeinsamkeit zwar alles still. Aber die Stimmen in seinem Kopf hören nicht auf. Weglaufen und verdrängen sind auf Dauer keine Lösung. Die ungelösten Konflikte holen einen ein. Cleaver spürt das auch. Wenn er wirklich innere Ruhe finden will, muss er sich den Vorwürfen seines Sohnes stellen.

Erst einmal die eigenen Gedanken ordnen

Mir hilft in solchen Situationen: die eigenen Gedanken erstmal vor Gott und mir ordnen. Versuchen, mit mir ins Reine zu kommen, überdenken, was ich gesagt und getan habe. Mir hilft dabei ein Psalmvers aus der Bibel: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne, wie ich‘s meine, und sieh, ob ich auf bösem Weg bin, und leite mich auf ewigen Weg.“ (Psalm 139, 23f)

Eigene Fehler entdecken

Dieses „mich selbst Erforschen“, das ist für mich der erste Schritt zur Besserung. So bleibe ich nicht dabeistehen, dass die Vorwürfe des anderen mich ärgern oder verletzen. Dann entdecke ich meine eigenen Fehler. So ist das auch bei Harold Cleaver, der Hauptperson in dem Buch „Stille“: Er prüft sich und die Vorwürfe seines Sohnes kritisch. Manches sieht er anders. Aber er erkennt: Für einiges muss ich meinen Sohn um Vergebung bitten.

Abstand gewinnen und zur Ruhe kommen - so kann Versöhnung gehen

Allmählich hören die lauten Stimmen in seinem Kopf auf. Er verlässt seine Hütte in den Bergen. Vater und Sohn treffen sich. Auch der Sohn hat die Zeit genutzt. Er hat nachgedacht und gemerkt: Ich habe mit meinem Vater zu hart abgerechnet. Mein Vater ist nicht an allem schuld. Einiges habe ich schon auch selbst vermasselt.
Abstand gewinnen, äußerlich und innerlich zur Ruhe kommen, mich kritisch prüfen und dann erneut das Gespräch suchen: So kann Versöhnung gehen.

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Stille ist kein Garant für Ruhe

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
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Seit den Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie lese ich abends viel. Ein Buch hat es mir besonders angetan. Es ist von Tim Parks und heißt "Stille". Die Geschichte, die das Buch erzählt, geht so:

Harold Cleaver ist ein beliebter, erfolgreicher Fernsehjournalist. Aber über ihn reden die Leute gerade mehr, als ihm lieb ist. Sein Sohn hat nämlich ein Buch über ihn geschrieben. Darin rechnet er mit seinem Vater ab. Der Sohn verbreitet, Harold Cleaver mag ja ein toller Fernsehjournalist sein. Aber als Vater habe er versagt.

Harold Cleaver trifft das Buch seines Sohnes hart. Aber er hat keine Lust, öffentlich dazu Stellung dazu zu nehmen. Er will nur seine Ruhe. Er will mit niemandem reden, schon gar nicht mit seinem Sohn. Er fährt weg und zieht sich in die Berge zurück – in eine entlegene Hütte – ohne Handy-Empfang, ohne Internet.

Erstmal weg von allem

Ich kann das verstehen. Manchmal treffen einen die Vorwürfe eines anderen so hart, dass man abtauchen möchte. Erstmal weg von allem, was einen belastet. Die Ruhe suchen, das kann helfen, um zu verarbeiten.

Harold Cleaver tut die Einsamkeit zunächst gut. Aber nach tagelangem Alleinsein erkennt er: Stille allein ist kein Garant für Ruhe.

Äußerlich ist in seiner Bergeinsamkeit zwar alles still. Aber die Stimmen in seinem Kopf hören nicht auf. Weglaufen und verdrängen sind auf Dauer keine Lösung. Die ungelösten Konflikte holen einen ein. Cleaver spürt das auch. Wenn er wirklich innere Ruhe finden will, muss er sich den Vorwürfen seines Sohnes stellen.

Mit mir ins Reine kommen

Mir hilft in solchen Situationen: die eigenen Gedanken erstmal vor Gott und mir ordnen. Versuchen, mit mir ins Reine zu kommen, überdenken, was ich gesagt und getan habe.

Mir hilft dabei ein Psalmvers aus der Bibel: "Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne, wie ich‘s meine, und sieh, ob ich auf bösem Weg bin, und leite mich auf ewigen Weg." (Psalm 139, 23f)

Der erste Schritt zur Besserung

Dieses "mich selbst Erforschen", das ist für mich der erste Schritt zur Besserung. So bleibe ich nicht dabeistehen, dass die Vorwürfe des anderen mich ärgern oder verletzen. Dann entdecke ich meine eigenen Fehler.

So ist das auch bei Harold Cleaver, der Hauptperson in dem Buch "Stille": Er prüft sich und die Vorwürfe seines Sohnes kritisch. Manches sieht er anders. Aber er erkennt: Für einiges muss ich meinen Sohn um Vergebung bitten.

Allmählich hören die lauten Stimmen in seinem Kopf auf. Er verlässt seine Hütte in den Bergen. Vater und Sohn treffen sich.

So kann Versöhnung gehen

Auch der Sohn hat die Zeit genutzt. Er hat nachgedacht und gemerkt: Ich habe mit meinem Vater zu hart abgerechnet. Mein Vater ist nicht an allem schuld. Einiges habe ich schon auch selbst vermasselt.

Abstand gewinnen, äußerlich und innerlich zur Ruhe kommen, mich kritisch prüfen und dann erneut das Gespräch suchen: So kann Versöhnung gehen.
 

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