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Rent a Jew
Aleks Megen/Pixabay

Rent a Jew

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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In einer der Kindertagesstätten unserer Gemeinde arbeitet eine junge Frau mit jüdischen Wurzeln. Sie kommt aus der Ukraine, aber sie lebt schon lange in Deutschland. Sie sagt: „Ich sage den Menschen nicht mehr offen, dass ich jüdische Wurzeln habe. Der Sohn von Freunden von uns wurde einmal richtig verprügelt. Nur weil er ein Jude ist. Auch die Eltern der Kinder hier in der KiTa sollen meinen Hintergrund nicht kennen. Es ist zu gefährlich.“

Antisemitismus in Deutschland nimmt zu

Leider hat sie Recht: Antijüdische Witze und Gewalt gegenüber jüdischen Mitbürgern nehmen zu in Deutschland.

Einige Freunde berichten mir auch davon. Sie sind Lehrer. Immer wieder bekommen sie mit, dass Schüler „Du Jude“ als Schimpfwort benutzen, auch Nicht-Juden gegenüber. Einer meiner Freunde fragt die Jugendlichen: „Was meint ihr damit?“ Betretenes Schweigen. Ratlose Mienen. Keiner hat eine Ahnung vom historischen Hintergrund.

Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, sagt: „Ich würde Einzelpersonen davon abraten, sich offen mit einer Kippa in deutschen Großstädten zu zeigen.“ Mich erschrecken diese Berichte.

Nicht über sondern mit Juden sprechen

In Deutschland leben etwa zweihunderttausend Jüdinnen und Juden. Keinen von ihnen kenne ich persönlich. Aber es gibt eine Möglichkeit, das zu ändern. Seit zwei Jahren gibt es ein neues Projekt an der europäischen Janusz Korczak Akademie. Das Projekt soll helfen, nicht über Juden, sondern mit Juden zu sprechen. Das Projekt heißt: „Rent a jew – mieten Sie sich einen Juden.“ Rent a jew vermittelt jüdische Gesprächspartner für Besuche in Schulen oder Kirchengemeinden. Wichtig dabei: Die etwa 100 jüdischen Gesprächspartner sind sehr unterschiedlich. Manche sind sehr religiös, manche gar nicht besonders. Sie arbeiten ehrenamtlich und sind keine Experten für Religion oder Politik. Sie kommen einfach mit ihrer persönlichen Geschichte und ihrer persönlichen Meinung. Ihr Ziel: Hass durch Information bekämpfen und dummen Vorurteilen entgegentreten.

Nichtwissen und Vorurteile bekämpfen

Eine von diesen ehrenamtlichen jüdischen Gesprächspartnern heißt Lisa Scheremet aus Wuppertal. Wenn antisemitische Witze fallen, gibt sie sich als Jüdin zu erkennen. Die Reaktionen: „Sie? Jüdin? Sie haben ja gar keine Hakennase?“ Oder: „Dann sind Sie ja bestimmt reich.“

Die junge Frau ist sicher: Hinter solchen Sätzen stecken Nichtwissen und Vorurteile. Deshalb weicht sie keinem Gespräch mehr aus. In den Schulen sagt sie: „Alles ist erlaubt, jede Frage. Es gibt kein Tabu.“

Über seine religiöse Herkunft zu reden, ist mutig

Ich finde: Lisa ist sehr mutig. Ihre religiöse Herkunft ist eigentlich etwas Persönliches. Würde ich mich das trauen? Über meinen Glauben zu reden, in einem Umfeld, wo es viele Vorurteile gibt? Ich weiß es nicht.

Für unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden und für mich habe ich jetzt einen Termin mit „Rent a jew“ ausgemacht. Bald werden uns zwei jüdische Frauen besuchen.

Meine Hoffnung: Je mehr Menschen Jüdinnen und Juden live kennen, desto eher hören Vorurteile und Hass auf.

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