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Osterspaziergänge

Osterspaziergänge

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Osterspaziergänge sind für mich schon lange etwas Besonderes. Die Sonne scheint und wärmt wieder, den dicken Wintermantel kann ich in den Schrank hängen. Auf den Wiesen sind helle bunte Blüten in das Gras getupft. Im Wald duftet es wieder frisch, und die Bäume leuchten in den verschiedensten Grüns. Als Kind kam für mich noch etwas Besonderes hinzu: Beim Osterspaziergang ist mein Vater immer eine kleine Strecke vorweg gegangen. Wir Geschwister sind ihm respektvoll und mit Abstand gefolgt. Und es war sein besonderes Vergnügen, ab und zu ein paar Ostereier hinter einem Grasbüschel zu verstecken. Manchmal bückte er sich auch nur zum Schein, oder er ließ ein Osterei einfach so ins Gras fallen. Das war sein besonderer Trick, denn so konnten wir aus seinem Bücken nicht schließen, wo die Ostereier lagen.

Osterspaziergänge haben eine lange Geschichte. Eine der ersten, die es an Ostern nicht mehr im Haus gehalten hat, war Maria Magdalena. Künstler haben ihre Begegnung mit Jesus oft in einem Frühlingsgarten gemalt. Allerdings war Maria Magdalena nicht draußen vom Frühling angezogen, sondern sie hielt es drinnen in ihrer Trauer nicht mehr aus. Sie kann nicht begreifen, dass Jesus, ihr Meister und Heiland gestorben ist. Ihr Kummer ist Liebeskummer. „Sie suchte den, den ihre Seele liebt“, so heißt es im Hohelied der Liebe über eine liebende Frau, und das stimmt auch für Maria Magdalena. Der Liebeskummer hat ihr Beine gemacht. Schon früh im Morgengrauen verlässt sie ihr Haus und die Tore der Stadt, und geht zum Garten, in dem das Grab Jesu war. Sie muss raus an die frische Luft und in das Grüne. Und dort im Grünen findet Maria Magdalena das neue Leben wieder.

Besonders gefallen mir auch Goethes Zeilen zum Osterspaziergang im Faust. Auch den müden Gelehrten Faust hält es an Ostern nicht in seiner dunklen Studierstube, wo er sonst dicke. verstaubte Bücher wälzt. Er zieht mit seinem Famulus Wagner ins Freie. Schon die erste Zeile ist toll: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche.“ Da fällt mir heute zwar auch der Klimawandel ein, aber anderseits: Wie viel winterliches Eis in menschlichen Beziehungen würde etwas warme Frühlingsluft vertragen. Bei ihrem Spaziergang treffen Faust und Wagner auch Christen – und Faust erklärt: „Sie feiern die Auferstehung des Herrn, denn sie sind selber auferstanden, aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, (…) aus dem Druck von Giebeln und Dächern, aus der Straßen quetschender Enge, aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht, sind sie alle ans Licht gebracht.“ Aufstehen und Rausgehen und im Frühling Ans Licht-Gebracht-Sein, das ist Ostern auch für mich. Ostersonntag ist nun schon fast eine Woche her, aber die Kirche feiert Ostern fünfzig Tage lang, bis zum Pfingstfest und dann an jedem Sonntag im Kirchenjahr. Viel Zeit für Osterspaziergänge. Viel Zeit, Frühlingsluft in meine Gedanken zu lassen, und der Erfahrung des Glaubens Raum zu geben: Nach Winter, Leid und Tod – das Leben blüht wieder.

 

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