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Kindern Zukunft schenken
Bild: Gerd Altmann/Pixabay

Kindern Zukunft schenken

Gabriele Heppe-Knoche
Ein Beitrag von Gabriele Heppe-Knoche, Pfarrerin, Leitung Evangelisches Forum Kassel
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Nun ist Weihnachten schon wieder vorbei. Anfang der Woche war noch so viel zu tun: die letzten Vorbereitungen auf die Festtage, einkaufen für ein richtig langes Wochenende, Geschenke verpacken. – Und dann ist alles schon wieder vorüber, so schnellDieses Jahr war alles etwas anders. Keine großen Besuche hin und her. Nur der engste Kreis der Familie ist zusammengekommen. Feiern in kleiner Runde. Vielleicht war das für manche sogar ganz schön. Keine langen Autofahrten mit den Kindern auf dem Rücksitz, kein strammes Besuchsprogramm. Stattdessen mehr Gespräche am Telefon, damit sich keiner vergessen und einsam fühlt in diesem besonderen Jahr.

Ich habe nicht wie seit vielen Jahren mit den Kindern der Kirchengemeinde ein Krippenspiel eingeübt. Schade! Der Gottesdienst am Heiligen Abend sollte eigentlich in der großen Reithalle am Ortsrand stattfinden. Schon ziemlich nah an einem Stall so wie damals in Bethlehem. Aber dann wurde kurzfristig abgesagt, so wie viele andere Gottesdienste in den Kirchen am Heiligen Abend. Stattdessen nur für ganz wenige Menschen zwei kurze Andachten in der Kirche.  Ich selbst bin erstmals in meinem Leben am Heiligabend zuhause geblieben. Wir haben die Weihnachtsgeschichte vorgelesen und gemeinsam gesungen. Aber ich habe mich doch nach der kleinen, wohligen Kirche gesehnt, in der wir sonst immer dicht gedrängt gesessen haben. Und nach dem Lied „Oh du fröhliche“. Damit singen wir alljährlich gemeinsam Weihnachten herbei, laut und mit voller Orgel.

Alles etwas anders in diesem Jahr. Nicht so wie gewohnt und alles etwas rauer. So als wären wir aus dem vertrauten Weihnachten herausgerissen worden.

Alles etwas rauer. Damit sind wir der Weihnachtsgeschichte sogar näher. Unwirtlich und rau. So war es auch damals bei Maria und Josef. Erschöpft und müde von der anstrengenden Reise nach Bethlehem landen sie am Ende in einem Stall. Nur auf unseren Weihnachtsbildern ist das eine Idylle. Aber eine Geburt im Stall unter solchen Umständen? Auf sich gestellt, ohne Hilfe? Das wünscht sich wohl keiner. Und doch wird alles gut. Das Kind lebt und ist gesund. Auch Maria erholt sich rasch. Und dann erleben sie den Ansturm der Besucher in der Heiligen Nacht. Hirten kommen samt Hunden und Schafen und bestaunen das Kind. Fremde Könige kommen und beschenken das Kind mit kostbaren Gaben. Ja, das ist schon eine anstrengende und aufregende Nacht. Eine Nacht, auf der ein besonderer Glanz und eine Verheißung liegt. „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, Christus, in der Stadt Davids.“Im Zentrum des Ganzen bis heute ein neugeborenes Kind. Seinetwegen machen sich alle auf den Weg. Seinetwegen feiern wir bis heute Weihnachten. Ein schutzbedürftiges, wehrloses Kind öffnet die Herzen der Menschen. Es lässt sie staunen über das große Wunder: Gott kommt zu uns in unsere Welt. Dieses Kind will auch uns die Herzen öffnen, uns staunen lassen über das Wunder jener Nacht.

Musik: J.S. Bach, O Jesulein zart, BWV 493 (bis 1'50'')

Jedes Jahr zu Weihnachten spüren wir dieser Geschichte nach. Sie wird als Krippenspiel aufgeführt. Wir hören sie in den vertrauten Worten, wir hören Geschichten und Erzählungen, die diese Geburt ausschmücken. Man kann sich dem Zauber dieser Geschichte nur schwer entziehen. Sie spricht in uns ganz elementare Erfahrungen an. Kaum etwas anderes in unserem Leben kann so tiefe Gefühle in uns hervorrufen und uns innerlich binden wie ein Kind. Gerade ein neugeborenes Kind hat eine enorme Ausstrahlung. Die kleinen Geräusche, dieser besondere Geruch, die winzigen Hände und Füße. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Tage mit meinen neugeborenen Kindern. Wenn ich in das Zimmer trat, in dem sie schliefen, hatte ich das Gefühl, dass ein tiefer Friede sich ausbreitet und alles erfasst. Vieles Unwichtige ist durch den Anblick meiner schlafenden Kinder von mir abgefallen. Und die Gedanken haben sich in meinem Kopf an diesen Kinderbetten neu geordnet. Es ist kein Zufall, dass Gott sich uns so offenbart, - als kleines, neugeborenes Kind. Es weckt in uns die besten Seiten. Der Wunsch zu beschützen, einfach nur gut zu sein. So wie bei den Hirten und Königen, die das Kind vor Herodes schützten und ihm mit ihren Gaben beim Start in sein Leben halfen. 

Genauso geht es ja vielen Menschen auch bei den eigenen Kindern und Enkeln. Sie freuen sich an und mit ihnen. Und sie leiden mit ihnen in den großen und kleinen Dingen des Alltags. Wie viel Mühe wenden viele Eltern auf, um ihren Kindern Wege zu ebnen und sie über schwierige Hürden und schwierige Phasen hinweg zu bringen. Sie möchten, dass sie ein gutes Leben haben. Jetzt und auch in Zukunft. Auf ihren Kindern liegt ihre Hoffnung.

Dafür müssen Eltern gar nicht wissen, was aus ihren Kindern einmal werden wird. Das können sie auch gar nicht. Auch wenn viele von uns, vielleicht auch als Paten oder Großeltern, Kinder mit viel Liebe und Sorgfalt ins Leben begleiten, wissen wir nicht, was ihnen einmal wichtig sein wird, mit wem sie sich anfreunden werden, wieviel ihnen die Familie eines Tages bedeutet. Wir wissen auch nicht, was sie im Leben einmal anpacken und voranbringen werden. Und wir wissen genauso wenig, -und das ist gut so-, was ihnen nicht gelingt und woran sie vielleicht auch scheitern. Wer Kinder hat oder mit ihnen eng verbunden ist, wünscht einfach das Beste für sie und ist bereit das Mögliche dafür zu tun.

Dieser Wunsch, den ein neugeborenes Kind in uns weckt, da zu sein und dieses Leben zu beschützen, macht den Zauber der Weihnachtsgeschichte aus. In dem Bild vom Kind in der Krippe werden auch die Bilder von Kindern in ganz verschiedenen Ländern der Erde lebendig. In ihren Gesichtern spiegelt sich das Antlitz des Krippenkindes, in dem Gott zu uns kam.

Musik:   J.S. Bach, Weihnachtsoratorium: Ich steh' an deiner Krippen hier (1'02'')

Das Kind in der Krippe. Von Engeln und Hirten, von Tieren und Königen begrüßt und verehrt. Und am Ende dann doch nur ein armes Flüchtlingskind. Gleich nach der Geburt müssen Maria und Josef fliehen. So erzählt es der Evangelist Matthäus. Josef wird zum Beschützer des Gotteskindes. „Nimm das Kind und seine Mutter und fliehe mit ihnen nach Ägypten“. So wird es Josef im Traum befohlen. Denn König Herodes trachtet dem Kind nach dem Leben. So schnell ist Weihnachten und damit aller Glanz dieser Nacht vorbei.

Herodes wollte dieses Kind töten lassen, um die eigene Macht nicht zu verlieren. An diesen grausamen Versuch erinnert uns der Tag der unschuldigen Kinder am 28. Dezember. Zwar kann Herodes dieses eine Kind nicht ergreifen, aber unzählige Jungen in Bethlehem werden nach seinem grausigen Plan getötet. Unschuldige Kinder. Auch heute noch fallen unzählige Kinder der Grausamkeit von Kriegen und Verfolgung zum Opfer. Auch heute fliehen Millionen Menschen auf der ganzen Welt vor Kriegen, Verfolgung und Hunger. Aus Angst vor Verfolgung und Tod  haben auch Maria und Josef sich auf den Weg nach Ägypten gemacht und dort Zuflucht und Asyl gesucht. Was für ein Glück, dass sie dort Aufnahme gefunden haben. Erst viele Jahre später können sie in ihre Heimat zurückkehren. Herodes ist gestorben und für ihr Kind besteht keine Gefahr mehr.

Erst durch die große Flüchtlingskrise in Europa in 2015 ist mir so richtig nahegerückt ist, dass eine der zentralen Geschichten der christlichen Überlieferung von Flüchtlingen erzählt. Das hat mich erschreckt. Maria, Josef und das Kind sind politisch Verfolgte. So würden wir es heute sagen. Herodes sieht seine Macht bedroht - durch das Kind und die Verheißung, die auf ihm liegt. Darum soll Jesus sterben. Darum müssen sie fliehen. So wie auch heute überall auf der Welt immer wieder Menschen fliehen müssen. Weil sie zu einer ungeliebten, verachteten Minderheit gehören. Weil ein Bürgerkrieg im Land tobt und ein normales Leben unmöglich macht. Weil religiöse Fanatiker oder Diktatoren jegliches freiheitliche Denken unterdrücken und die Menschen knechten. Aber nicht nur Kriege und Verfolgung treiben Menschen in die Flucht.  Oft ist es einfach die bittere Armut und Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat. Beides bringt sie dazu, sich auf den riskanten Weg mit ungewissem Ausgang zu machen.

Wie wäre die Heilige Familie heute unterwegs? Auch in einem überfüllten Boot auf dem Mittelmeer? Versteckt in einem Lastwagen von kriminellen Schleuserbanden? Oder hätten Maria und Josef ihren Sohn alleine auf die Reise geschickt wie so manche verzweifelten Eltern? In der Hoffnung, dass sich irgendwer auf dieser Welt seiner annehmen würde? In der Hoffnung, dass sich dort im fernen Europa, hier bei uns in Deutschland, für ihr Kind eine Zukunft eröffnet?

Der Tag der unschuldigen Kinder, der 28. Dezember. Kinder leiden an so vielen Orten unter den Ungerechtigkeiten und Konflikten dieser Welt. Ich sehe in ihren Gesichtern das Gesicht des Krippenkindes, das wir an Weihnachten feiern und verehren.

Musik: Heinrich Schütz, Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehöret SWV 396 ab 3'17'' (1'45'')

Kindern Zukunft schenken – das ist in diesem Jahr das Motto der Aktion Brot für die Welt. Am 1. Advent wurde die 62. Aktion eröffnet. Dieses Motto erinnert uns daran, wie wichtig es ist, dass Kinder auf eine gute Zukunft hoffen können. Das gilt hier bei uns in Deutschland, in Europa genauso wie in den Ländern des Südens, in Afrika, in Asien und Südamerika. Kinder brauchen ein sicheres Zuhause, in dem sie aufwachsen und sich entfalten können. Sie brauchen eine gute Bildung, um später ihr Leben eigenständig in die Hand nehmen zu können. Wie wichtig das ist, spüren wir jetzt in Zeiten der Pandemie ganz besonders. Derzeit findet bei uns Schulunterricht nicht kontinuierlich statt.  Das, was uns bisher selbstverständlich erschien, gewinnt noch einmal eine ganz neue Wertschätzung und Bedeutung: offene Schulen und engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die für unsere Kinder und Jugendlichen auch unter schwierigen Bedingungen da sind. Wieviel mehr gilt das für Familien, die nicht unter solch gesicherten Rahmenbedingungen leben wie wir.

Vor einigen Wochen habe ich mit einer Frau gesprochen, die seit drei Jahren einen jungen Mann begleitet. Er ist als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen. Inzwischen hat er sich gut eingelebt. Er hat Deutsch gelernt, auch mit ihrer Hilfe. Hat einen Schulabschluss gemacht. Im Herbst hat er eine Ausbildung begonnen. Sie ist sehr stolz auf „ihren“ Karim. „Man kann doch so einen Jungen nicht einfach alleine lassen“, sagt sie. „Ich habe ihn dort in der Flüchtlingsunterkunft gesehen, ganz allein, und da habe ich sofort gewusst: das ist meine Aufgabe. Meine Kinder sind jetzt erwachsen, die brauchen mich nicht mehr. Aber dieser Junge, - den kann man doch nicht alleine lassen.“

Musik:     Johann Crüger, Wie soll ich dich empfangen (2'17'')

Wie sollen wir dieses Kind in der Krippe in unseren Herzen empfangen? Wie soll ich dieses Kind empfangen, das Weihnachten zu uns kommt? Welchen Platz gebe ich ihm in meinem Leben? Diese Fragen sind nach Weihnachten nicht erledigt. Sie begleiten uns über die Weihnachtstage hinaus in das neue Jahr. Sie sprechen uns aus allen Gesichtern an, in denen sich das Kind in der Krippe spiegelt.  Ganz gleich, wo sie uns begegnen. Auf der Straße oder in der Schule, im Supermarkt an der Kasse oder auf dem Bildschirm, wenn die Nachrichten aus aller Welt gezeigt werden. Ihnen, den Kindern, gilt ganz besonders die Verheißung der Weihnacht: Gott geht mit bis in die dunkelsten Orte der Welt.Kindern eine Zukunft schenken. Das können wir auch heute tun.  Den eigenen Kindern und den fremden. Alle brauchen sie unsere Hilfe, damit sie gut ins Leben gehen können. Da sein, zuhören, sich Zeit nehmen. Geben, was wir geben können. Weitergeben, was uns wichtig ist für unser Leben, Liebe zu den Menschen und Hoffnung für diese heillose Welt. Ja, und auch den Glauben, dass alles gut werden kann. Denn darauf vertraue ich: Gott lässt sein Lebenslicht auch in den dunklen Winkeln dieser Welt scheinen. Unbeirrt. So wie in der Krippe in Bethlehem, wo wir jedes Jahr neu unser Heil finden können. 

Musik:    Heinrich Schütz, Dank sagen wir alle Gott (2'15'')

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