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Gedenktag 27. Januar - „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung!“
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Gedenktag 27. Januar - „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung!“

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Guten Morgen!

Am heutigen 27sten Januar ist in Deutschland und weltweit der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Kein leichtes Thema. Aber mir ist der Tag inzwischen wirklich wichtig. Das war nicht immer so…

Ich weiß noch genau, wie Bundespräsident Roman Herzog diesen Tag 1996 ins Leben rief. So ein formelles, amtlich verordnetes Erinnerungsritual, das bringt doch nichts und das brauchen wir auch gar nicht! So habe ich damals gedacht. Ich lebte und arbeitete in Wiesbaden und war mit der seinerzeit sehr vitalen Erinnerungskultur recht zufrieden. Ich war für meine Kirche im Vorstand eines Vereins, der an der lokalen Gründung eines aktiven Museums für deutsch-jüdische Geschichte arbeitete. Dieser Verein hatte Anfang der neunziger Jahre einen beeindruckenden Mahngang organisiert, bei dem eine wirklich große Zahl Wiesbadenerinnen und Wiesbadener an die Deportation jüdischer Mitbürger vor 50 Jahren erinnerte.

Kurze Zeit später begann auch in Wiesbaden das Projekt mit den sogenannten „Stolpersteinen“ des ErinnerungsKünstlers Gunter Demning. Es sind Pflastersteine aus Messing mit eingravierten Namen, ins Trottoir eingelassen vor den Häusern, in denen vor ihrer Verfolgung und Vernichtung jüdische Mitbürger und –bürgerinnen wohnten. In Wiesbaden gibt es inzwischen fast 300 solcher Stolpersteine. Ein weiteres Mahnmal für jüdische Opfer des Naziregimes mit den Namen von über 1500 verfolgten und getöteten Wiesbadener Bürgerinnen und Bürgern würdigt heute den Platz der Synagoge, die dort in der Pogromnacht niedergebrannt wurde. Und auch für die Sinti und Roma gibt es einen Gedenkort. 1992 wurde er in der Bahnhofstraße eingeweiht.

Als Mitte der 90er Jahre Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ bei uns in die Kinos kam, hat unser Wiesbadener Verein - mit großzügiger Unterstützung der Kinobesitzer -  ca. 10.000 Wiesbadener Schülerinnen und Schülern diesen Film vorgeführt. Natürlich sind sie mit üblicher ChipsColaPopcornausstattung ins Kino eingezogen. Dann aber wurde es - für einen Raum voller junger Leute - sehr still. Ich bin oft vor dem Kino gewesen, als sie wieder herauskamen. Viele waren sehr berührt, äußerten sich betroffen und nachdenklich. Es gab wohl keinen einzigen despektierlichen Vorfall, keine rechtsnationalen Hetzparolen. Auch die muslimischen Schülerinnen und Schüler unserer Schulen waren so zahlreich wie selbstverständlich dabei.

Die Wiesbadener Stadtgesellschaft zeigte sich so aufgeklärt, dass auch das Aufkommen der rechtskonservativen „Republikaner“ damals nur als politische Episode erschien. Ein historischer „Vogelschiss“ möchte man sagen… Unser Motiv: „Nie wieder Krieg und Rassismus!“, es lag damals wie ein feiner Morgentau über der Stadt und machte Hoffnung auf friedlichere Zukunft. Das alles ist jetzt zwanzig, fünfundzwanzig Jahre her und die Zeiten haben sich geändert…

Damals in den 90er Jahren gab es eine ziemlich lebendige Erinnerungskultur – einen extra Gedenktag zum 27. Januar fand ich da ziemlich überflüssig. Das war ein bisschen naiv von mir und ich sehe das heute anders. Natürlich bleibt meine Skepsis gegenüber einem verordneten Gedenken. Wer mit unserer Geschichte und einer bleibenden Verantwortung der „Nachgeborenen“ nichts zu tun haben will, der zuckt auch am heutigen 27. Januar weiter ignorant die Schultern. Aber der staatliche Gedenktag macht für mich trotzdem Sinn. Vor allem macht er sichtbar: Erinnerungsarbeit ist eine politische Aufgabe des Staates! Die entsprechenden Veranstaltungen im deutschen Bundestag und in vielen Landtagen haben seither – jenseits von Parteiengezänk und Alltagspolitik – eindrucksvollen Reden Raum gegeben. Menschen konnten uns ihr Leid und ihre Erfahrung ins Gedächtnis schreiben. Letztes Jahr war es die deutsch-britische Musikerin Anita Lasker-Wallfisch. Sie verdankt ihr Überleben ihrem Cellospiel im Mädchenorchester von Auschwitz.

Als staatspolitische Aufgabe zwingt die Erinnerungsarbeit auch die politischen Kräfte Position zu beziehen, die - wie z.B. die AFD - Erinnerungsarbeit als „dämliche Bewältigungspolitik“ abtun, mit der wir endlich aufhören sollten. In der ARD-Mediathek findet man ein – für mein Gefühl - entlarvendes Video aus der Sendung „Kontraste“ . Es zeigt, wie ablehnend einige AFD-Abgeordnete auf die Gedenkrede reagieren. Anita Lasker-Wallfisch hat uns Deutschen für humane Haltungen gegenüber Flüchtlingen hohe Anerkennung gezollt. Und sie hat uns ermuntert, auch in den nächsten Generationen ein Bewusstsein wach zu halten, das die Wiederholung der Nazi-Gräueltaten verhindert. Keiner muss die Meinungen der Rednerin teilen. Darum ist es natürlich jedem selbst überlassen, welcher Gesprächsszene man persönlich applaudieren mag. Einer solchen Repräsentantin der Opfer aber demonstrativ den Schlussapplaus zu verweigern, erscheint mir als unheimlicher Mangel an Respekt und Achtung. Die Menschenwürde der Opfer wird – jedenfalls in meiner Wahrnehmung – damit ein weiteres Mal zutiefst verletzt und mit Füßen getreten. Darüber kann ich mich nur empören!

So viel Hass und Verrohung wird seit einiger Zeit in unserem Land sichtbar. In Gedanken, Worten und Taten. Mit einer Brutalität, die ich in einer aufgeklärten, humanen und – selbst laut AFD-Jargon - christlichen Gesellschaft nicht mehr für möglich gehalten hätte. Und mit so viel Dummheit! Entschuldigung, ich meine die Neigung zu platten Parolen und simplifizierenden Lösungsvorschlägen. So einfach sind die Dinge aber nicht. Darum lädt der heutige Tag auch ein, ganz grundsätzlich nachzudenken, welche starke humanitäre Kraft in der Erinnerung stecken kann.

Eine alte jüdische Weisheit sagt: „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung!

Erlösung, das ist für mich einer der lebenswichtigsten Begriffe überhaupt. Für alle Momente menschlicher Sehnsucht, für unendlich viele Situationen von Schmerz, Not, Unrecht, aber auch für Schuld und jede Art von Leid ist Erlösung das Schlüsselwort! Es zielt auf geistig-seelische wie auch auf körperlich-materielle Befreiungsprozesse! Erlösung heißt, endlich freiwerden von meiner Not.

Ich glaube,
wer sich der Erinnerung verweigert,
wer sich der Verantwortung entzieht, Ursachen und Täter wahrheitsgetreu beim Namen zu nennen,
wer nicht bereit ist, Fehler einzugestehen
und der eigenen gegenwärtigen
oder historischen Schuldverflechtung auf die Spur zu kommen,
der hat keine Chance, Erlösung aus seiner Not zu finden.
Ich glaube, dem Erinnerungsverweigerer bleibt darum eben nur der Hass
und das Abschieben von Schuld und Not auf Sündenböcke;
ihm bleibt nur der Hang zur zu einfachen Lösung.
Im tiefsten ist der Hass nichts anderes als Angst vor dem Schmerz,
vor dem Schmerz meiner eigenen Not,
vor dem Schmerz meiner eigenen Schuld,
aber auch vor dem Schmerz, den ich empfinden werde,
wenn ich mich von der Not anderer Menschen berühren und bewegen lasse.


Erinnerungsarbeit zum Holocaustgedenktag am heutigen 27. Januar gedenkt der Opfer von damals, damit wir den Hass von heute überwinden. Nur so können wir lernen, den Schmerz zunächst auszuhalten, um ihn schließlich zu bewältigen.

Erinnerung ist der Schlüssel zur Erlösung.

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