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Familienbande - was ist Familie heute?
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Familienbande - was ist Familie heute?

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Beim Gruppentraining macht der junge Fitnessleiter eine Übung vor. Dabei rutscht der Ärmel seines Sporthemds nach oben. Auf seinem Oberarm wird ein Schriftzug sichtbar. „Familie“ steht da zwischen großflächigen Tätowierungen. Einfach „Familie“! Der Schriftzug wirkt zart auf den harten Muskeln. Und dennoch springt das Wort ins Auge. Die anderen Teilnehmerinnen der Trainingsgruppe haben es offensichtlich auch entdeckt. Meine Nachbarin wagt den ersten Aufschlag: „Da steht ja „Familie“, sagt sie. Der Trainer sagt: „Ja, klar!“ Weiter sagt er nichts, deshalb setzt jemand anderes nach: „Haben Sie selbst schon eine eigene Familie?“ Der Trainer antwortet„ Nein! Meine Familie, das sind meine Eltern und Geschwister. Das ist einfach das Beste – der Zusammenhalt! Da ist niemand allein. Und meine Eltern sind schon fünfunddreißig Jahre verheiratet. Das stimmt einfach. Das passt!“, meint der junge Mann.

So ähnlich wie dieser Trainer schreiben mir das auch meine Kinder. Das geht mir plötzlich durch den Kopf: Auf unsere Familie, da lasse ich nichts kommen! Ich freue mich so, wenn ich wieder zuhause bin! – Vielleicht wird dieser sichere Ort „Familie“ in einer mobilen und unruhigen Zeit immer wichtiger, denke ich. Trotzdem überraschen mich die spontanen Worte des Trainers. Ich wollte in seinem Alter unbedingt die Familie verlassen und freute mich aufs Studium in einer anderen Stadt. Den meisten meinen Mitschülerinnen ging es damals genauso. Nicht mehr an die Familie gebunden sein, sondern endlich aufbrechen! Wir rieben uns an einem festen Bild einer harmonischen Familie. – Wir fühlten uns eingeengt in der sogenannten Kleinfamilie: Vater – Mutter – Kind.

Heute hat sich viel geändert: Es gibt nicht mehr das Idealbild einer Familie, auch nicht der christlichen Familie. Menschen leben in offeneren Gemeinschaften zusammen: Viele Kinder leben bei einem Elternteil oder haben in sogenannten „Patchworkfamilien“ Stiefgeschwister. Es gibt gleichgeschlechtliche Partnerschaften und bei manchen Arbeitsmigranten findet Familienleben eigentlich nur über das Internet und das Telefon statt. Auch in der Bibel gibt es übrigens schon ganz unterschiedliche Familienformen.

Ja, heute ist das Bild von Familien offener und bunter. Menschen können sich freier entscheiden, wie sich zusammenleben. Das ist auch gut so! Vielleicht öffnet das den Blick dafür, was Familie eigentlich sein soll: eine Verbindung, in der sich Menschen auf einander verlassen können. Ein Ort, an dem sich Menschen wechselseitig unterstützen und Kraft geben, in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit und in unterschiedlichen Rollen: Wo ich als Tochter noch einmal Kind sein kann und gleichzeitig Mutter bin für meine Kinder. – Natürlich gibt es auch schwierige Familienbeziehungen und manche Familien scheitern. Auch ich kenne schwierige Zeiten in unserer Familie.

„Und Gott wendete alles zum Guten!“ – Dieses Fazit steht am Ende einer verworrenen Familiengeschichte im 1. Buch der Bibel. Ich sage ihn manchmal in Gedanken, wenn ich in unserer Familie gerade kein Land sehe. Oft weiß ich dann noch gar nicht, wie das gute Ende aussehen kann, aber dieser Satz ermutigt mich dazu, noch etwas durchzuhalten. Plötzlich zog der Trainer wieder den Ärmel über den Schriftzug. „Schluss jetzt! Wir machen weiter mit dem Training.“

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