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Das kommt nicht in die Tüte
Bildquelle: Stefano Ferrario/Pixabay

Das kommt nicht in die Tüte

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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Vorige Woche im Einkaufsmarkt meiner Wahl. Ich bin vorbereitet. Und dann das: die Bioware, die ich in mein mitgebrachtes Öko-Netz einsacken will, ist in Plastik eingeschweißt. An der Käsetheke schickt man mich erst mal zurück zum Eingang: Mein Behälter hat keinen Aufkleber, der ihn als mitgebracht ausweist. Mit Aufkleber versehen beginnt eine seltsame Prozedur: Die Verkäuferin darf mir die Ware nur über die hohe Theke reichen, damit ich sie selbst einpacke – dafür müssen wir beide auf die Zehenspitzen gehen, sieht bestimmt lustig aus, aber in der Schlange hinter mir werden manche schon ungeduldig …

So kann’s ja wohl nicht gehen, denke ich mir. Das muss doch besser. Deshalb treffe ich mich mit Mara und Stina, zwei ehemaligen Schülerinnen, im Kirchenbistro Ellis in der alten Johanneskirche in Hanau.

Mara und Stina studieren inzwischen – die eine Philosophie, die andere Architektur: erst Nachdenken und dann Gestalten, das ist eine gute Kombination. Ein Vortrag an der Uni über ‚Besser leben ohne Plastik‘ hat sie inspiriert. ‚Das hat uns befeuert‘, sagt Mara. Und Stina:‚ Und dann war die Idee da: Ein Unverpackt-Laden auch bei uns hier wär‘ doch genau das Richtige.‘ Davon träumen sie und überlegen, wie das wirklich werden könnte.

Natürlich will ich wissen, was es da zu kaufen gibt und wie ich aus meinem Tüten-Dilemma rauskomme. Meine erste Frage ist aber: ‚Gibt’s da auch Süßigkeiten?‘ ‚Gummibärchen ganz bestimmt‘ antwortet Stina und Mara will unbedingt Schokolade anbieten: Zartbitter mit Orange ist ihr Favorit. Die Waren füllen sie dann in mein mitgebrachtes Glas oder eine Dose. Behälter kann man auch über ein Pfandsystem im Laden bekommen.

Besonders haltbare Produkte eignen sich für einen Unverpackt-Verkauf, erzählen die beiden, und nicht nur Nahrungsmittel, wie Reis und Nudeln. Man kann Waschpulver und Kosmetika gut abfüllen – von Zahnpasta in Tablettenform ist Stina überzeugt, Mara noch nicht so ganz – das ist dann wohl ‚Geschmackssache‘, sage ich.

Eine Müsli-Abfüll-Anlage ist unverzichtbar. Und hell soll der Laden werden, mit viel Holz. Und vielen Plakaten für Kulturveranstaltungen, und vielleicht eine Cafe-Theke, eine Sitzecke und ein Bücher-Regal. Menschen sollen sich gern im Laden aufhalten, Leute treffen und sich austauschen. Und wer es eilig hat, kann morgens einen gut lesbaren Einkaufszettel abgeben und bekommt die Sachen geliefert – mit dem Lastenfahrrad.

Was für ein Traum, denke ich, und mir kommt der alte Dorfladen in den Sinn, in dem ich als Kind einkaufen durfte. Hinter der Theke stand der Kaufmann und es gab für mich immer ein Karamellbonbon aus dem großen Glas. Mara und Stina sind aber keine Nostalgikerinnen. Ihre Laden-Idee will eine neue Perspektive eröffnen. Zukunftsweisend sein.

Es geht den beiden um mehr als einen weiteren Laden. Es geht darum, Bewusstsein zu fördern für ein besseres Leben. Ein Leben mit der Welt um uns und nicht gegen sie.

Dazu gibt es eine starke Ansage.

So lautet die starke Ansage:

‚Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, was auf Erden kriecht.‘

Das sagt Gott zu den Menschen im ersten Kapitel der Bibel. Der Text ist sehr bekannt. Man kann ihn so verstehen: Die Erde gehört dem Menschen. Er kann mit ihr machen, was er will. Der Mensch soll sich die Schöpfung sogar unterwerfen – da gibt es keine Grenze. Der Planet wird zum Plündern frei gegeben.

Aber das wäre ein furchtbares Missverständnis. Als der Text vor über 2.000 Jahren entstanden ist, kam es den Menschen gar nicht in den ‚Sinn, die Natur beherrschen zu können. Im Gegenteil: die Natur war dem Menschen völlig überlegen. Wie sollte jemand, der nicht fliegen kann, über Vögel herrschen? Und wie über die Fische im Wasser, wenn man sich mit seinen Schiffen nicht aufs offene Meer traute?

Erst in der Neuzeit ist dieses Missverständnis überhaupt aufgekommen. Seit der Mensch sich selbst als Schöpfer und nicht mehr als Geschöpf sieht. Genau so wird er aber von Gott angesprochen – als Geschöpf, das mag manchen heute sogar kränken.

Gott formuliert seinen Auftrag für den Menschen in der Schöpfung als Segen: ‚Und Gott segnete sie … so beginnt seine Rede. Das inspiriert mich: Ich soll nach Gottes willen ein Segen für die Schöpfung sein. Noch mehr wird deutlich, was die Bibel meint, wenn das Herrscherbild des Alten Orients mit bedacht wird: seine Untertanen sind ihm zur Fürsorge anvertraut, er trägt Verantwortung vor sie, vor der Gottheit. So stellen es alte Texte und Bilder dar. Daran erinnern die Propheten der Bibel die Herrscher.

Die Bibel demokratisiert dieses Herrscherverständnis. Jeder Mensch soll so ein Segen für die Schöpfung sein – Verantwortung übernehmen, Fürsorge tragen.

Was wir genau tun sollen, steht nicht im ersten Buch der Bibel. Aber wie wir es tun sollen schon: in Verantwortung und Fürsorge. Für mich greift Jesus diese Gedanken in seiner Verkündigung des Reiches Gottes auf, wenn er von der Liebe zu Gott, zu meinem Nächsten und zu mir selber spricht.

Dazu inspiriert die Bibel: mich als Geschöpf Gottes, als Teil seiner Schöpfung erkennen, und meinen Platz darin finden. Mit der Schöpfung leben, nicht gegen sie. Das zweite Kapitel der Bibel beschreibt, was es bedeutet, im Auftrag des Herrn unterwegs zu sein: ‚Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaute und bewahrte.‘ Gärtner sollen wir sein, nicht Plünderer.

Das stellt mich vor die Aufgabe, heute zu fragen, was dran ist. So wie Mara und Stina. Zusammen überlegen – zum Beispiel bei einem fair gehandelten Kaffee. Es muss nicht immer gleich alles perfekt sein, Die beiden tragen keine Heiligenscheine und werden die auch nicht in ihrem Laden verteilen. Sie haben eine Botschaft, die mir sehr sympathisch ist: ‚Jede und jeder kann was aus seinen Möglichkeiten machen - da, wo sie oder er lebt. Man kann ja mal mit Nudeln anfangen, die man im Unverpackt-Laden kauft.‘ ist ihr Tipp.

Die beiden sind Träumerinnen und Realistinnen zugleich. Das entspricht für mich genau dem, was die Bibel sagt. Natürlich frage ich auch: ‚wie wollt ihr das überhaupt umsetzen?‘

‚Es geht, wenn die Rahmenbedingungen stimmen,‘ das ist ihre konkrete Perspektive. Es wird nicht nur einen Laden, sondern vor allem ein Lager ist nötig. Denn die Waren werden in  Säcken und großen Pfandbehältern angeliefert. Es braucht mehr als nur Zwei, um die Arbeit zu stemmen, und klar: es braucht Geld. Darum wollen sie einen Verein gründen, damit viele sich beteiligen können und die Lasten für so ein Projekt verteilt werden. ‚Sie können ja auch mitmachen,‘ sagen sie – und damit bin wohl nicht nur ich gemeint.

‚Früher war der Fisch in der Verpackung, heute ist die Verpackung im Fisch.‘ – Den Spruch von einem Fridays for Future-Plakat finden Mara und Stina gut, und ich auch. Das macht nachdenklich und gibt Anstöße, besser ohne Plastik zu leben – eben unverpackt.

Es wird Zeit, sich wieder inspirieren zu lassen von Gott. Seinen Auftrag an den Menschen, die Schöpfung zu bebauen und zu bewahren als Segen begreifen. Da, wo ich bin und so, wie ich kann fürsorglich sein und Verantwortung in die Tat umsetzen. Und mich das auch was kosten lassen, sei es Geld oder eben auch Bequemlichkeit.

Klar braucht es Zeit, sein Essen aus guten Sachen selbst zuzubereiten und nicht zu den Fertigpackungen zu greifen. Das muss man auch lernen. Am besten gemeinsam, dann macht’s sogar Spaß. Und bringt Gewinn: an Geschmack, an Lebensqualität und dem guten Gefühl, das Richtige zu tun.

Stina backt Müsli-Riegel, von denen sie behauptet, dass sie nicht nur gut schmecken, sondern auch in Prüfungen die richtige Energie liefern. Ich lass‘ mir das Rezept mal geben, vielleicht verkauft sie demnächst auch welche im Kirchenbistro, natürlich unverpackt, denn alles andere kommt nicht in die Tüte.

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