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Beten mit Zitronen
JulijaDimitrijeva/GettyImages

Beten mit Zitronen

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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Ich habe einen kleinen Notizblock mit himmelblauen Blättern, auf denen gelbe Zitronen durch die Luft fliegen. Manche Zitronen lächeln, andere verziehen das Gesicht. Auf der Außenseite des Blocks steht der Satz „Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade draus“. Ich notiere mir auf dem Block Namen: den des Kollegen mit der Lungenschwäche. Den der alten Nachbarin im Pflegeheim. Den der Freundin, die sich für geflüchtete Menschen einsetzt und dafür über die sozialen Medien übel gehetzt wird.

Beten ist ein solidarischer Akt

Abends nehme ich mir den Zitronen-Zettel vor und bete für diese Menschen. Denke an sie, wünsche ihnen Kraft, Gelassenheit und Mut in einer schweren Zeit. Für mich ist Beten ein solidarischer Akt. Das Beten sagt: „Ich denk an dich“. Und „Du bist nicht allein“. Im Gebet setze ich darauf, dass aus Zitronen Limonade werden kann. Dass Dinge sich wandeln und liebe Menschen aus sauren Zeiten wieder herauskommen. Dass Gottes wundersam sprudelnder Geist wirkt.  

Wie funktioniert Gott-Kontakt eigentlich?

„Gott-Kontakt“, heißt die Post, die viele evangelische Kirchenmitglieder rund um Ostern  in ihrem Postkasten fanden, und es geht ums Beten in diesen Zeiten. Wie der Gottkontakt genau funktioniert, habe ich mich schon als Kind gefragt. Hat Gott tausend Ohren? Versteht er alle Sprachen? Als Erwachsene beschleicht mich ab und an der Gedanke, ich rede beim Beten eher therapeutisch vor mich hin. Aber unterm Strich ist mir das Sender-Empfänger-Problem nicht so wichtig. Beten ist dringend und drängend. Was mich bewegt, muss ich rauslassen. Jesus gibt dazu das Beispiel, was dringlich ist: Wenn ein Kind Hunger hat, dann bittet es seine Eltern um ein Stück Brot. Welche Mutter, welcher Vater würde ihm stattdessen einen Stein reichen? Niemand. So ist es mit dem Beten, sagt Jesus. Gott hört. „Bittet, so wird euch gegeben. Sucht, so werdet ihr finden. Klopft an, so wird euch aufgetan.“

Eine Geschichte vom Beten

Meine Lieblingsgeschichte zum Beten ist eine jüdische Legende (in: Der Andere Advent 2013/14, 2):
Ein Rabbiner durchquerte ein Dorf, ging in den Wald und dort, am Fuß eines Baumes, betete er. Und Gott hörte ihn.
Auch sein Sohn durchquerte dieses Dorf. Er wusste nicht mehr, wo der Baum war und betete also an irgendeinem Baum. Und Gott hörte ihn.
Der Enkel des Rabbiners wusste weder, wo der Baum war, noch wo der ganze Wald war. Er ging zum Beten in das Dorf. Und Gott hörte ihn.
Der Urenkel wusste weder, wo der Baum war noch der Wald noch das Dorf. Aber er kannte noch das alte Gebet. So betete er zuhause. Und Gott hörte ihn.
Der Ururenkel kannte weder den Baum noch den Wald noch das Dorf noch das Gebet. Er kannte aber noch die Geschichte und erzählte sie seinen Kindern. Und Gott hörte ihn.

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