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Wann kommt Gott vom Himmel runter?

Wann kommt Gott vom Himmel runter?

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Am zweiten Weihnachtstag kommen bei Stefan und seiner Familie traditionell die Eltern zu Besuch. Stefans Frau bereitet in der Küche schon ein leckeres Essen vor. Er räumt das Wohnzimmer auf. Zuerst schiebt er die Geschenke unter den Weihnachtsbaum. Dann wendet sich Stefan der Krippe zu. Sie steht auf einem kleinen Beistelltisch und sieht ziemlich ramponiert aus. Die beiden Kinder haben mit den Krippenfiguren gespielt – einen Kampf zwischen den Hirten und den Königen. Das Jesuskind hatten sie aus der Krippe genommen und wie Superman durch die Luft fliegen lassen. Stefan hatte es amüsiert beobachtet, auch wenn es ihm unpassend vorkam.

Nun legt er das Christuskind wieder in die Krippe, die Eltern Maria und Josef stellt er direkt daneben. Ochs und Esel nehmen wieder hinten im Stall Platz. Jetzt muss Stefan nur noch die Hirten und die Könige auseinandersortieren. Das fällt ihm schwer. Zu ähnlich sehen die Figuren aus – alle aus Olivenholz geschnitzt – von Palästinensern in Betlehem, dem Geburtsort Jesu. Die Krippenfiguren hatten Stefan und seine Frau auf einem Weihnachtsmarkt gekauft. Vor zehn Jahren, als sie ihre Familie gründeten. Stefan findet die Figuren schön. Sie gehören zu Weihnachten einfach dazu. Dann beschließt er, die Könige und die Hirten nicht zu trennen. Er stellt sie einfach durcheinander und damit ja auch miteinander rund um das Jesuskind. Schließlich ist Weihnachten.

Stefan steht mitten im Leben, Bauingenieur, mit seinen 43 Jahren ist er inzwischen ein erfahrener Mann, der weiß, was er tut. Im Beruf steht er seinen Mann, zuhause versucht er ein aufmerksamer Vater und liebevoller Ehemann zu sein. Alles zusammen ist anstrengend. Aber Stefan schafft das. Sein Wahlspruch lautet: „Wer will, der kann. Und wer kann, der schafft´s.“ Gerät Stefan an religiöse Fragen, zuckt er mit den Achseln. Nicht, dass er etwas dagegen hätte. Aber Stefan hält sich an das, was man sehen oder zumindest beweisen kann. Und Gott kann man nicht beweisen. Was soll´s also!? sagt sich Stefan. Und das fällt ihm leicht, denn bislang hatte er noch nicht das Gefühl, Gott wirklich zu brauchen. Sein Leben hat er auch ohne Gott ganz gut hingekriegt.

Mag sein, dass sich das einmal ändert und er dann merkt: Man kann zwar gottlos werden. Aber man kann Gott nicht loswerden. Weil Gott einen einfach nicht los- und nicht fallen lässt. Vielleicht ist Stefan darüber irgendwann sogar froh. Etwa, wenn ihm das Leben einen Schicksalsschlag verpasst. Oder das Elend anderer kommt aus dem Fernsehen gekrochen und berührt ihn persönlich und direkt. Zum Beispiel die Opfer des Anschlags in Berlin oder die zusammen gepferchten Menschen in Lagern, Zelten und Ställen, die nicht wissen, wohin. Auch nicht die Kinder, die mit ihren großen Augen aufmerksam schauen – voller Hoffnung und hungrig nach Leben. Sie haben aus eigener Kraft kaum eine Chance.

Ohnmächtig im Elend feststecken. Wie sich das anfühlt, wissen viele. Auch der Sänger und Songschreiber Johannes Oerding. Er hat darüber einen Song gemacht. Darin klagt er sein Leid. Und wem? Gott natürlich.

Musik: Johannes Oerding, Wenn es einen Gott gibt, Strophe 1

Wie lange wird es dauern, bis etwas geschieht. Komm endlich herrunter, sag mir, was es neues gibt. Ich will nicht länger warten, denn so langsam zählen Taten. Kann die Wolken nicht mehr sehen, die vor meiner Sonne schimmern, denn der graue Himmel macht alles nur noch schlimmer. Lass mich endlich ausreden, verschone mich mit Ausreden. Jetzt, sofort und hier, komm zu mir.

Dieser Song von Johannes Oerding, dem deutschen Popsänger und Songwriter, trägt den Titel „Wenn es einen Gott gibt“. Der Sänger lässt darin offen, was ihn schmerzt. Er beschreibt aber, wie hilflos und traurig er sich fühlt. In einem solchen Moment ist man sich selbst zu wenig. Man wünscht sein Leben eingebettet in einen großen Zusammenhang, der allem, auch dem Leiden, einen Sinn gibt. Hilfesuchend schaut sich Oerding um: Woher kommt mir Hilfe, gar Rettung? Wo ist jetzt Gott, der Himmel und Erde umspannt? An ihn wendet sich Oerding ganz direkt. Sein Song ist eine Mischung aus Selbstgespräch und Gebet über die Frage: Was kann ich von Gott erwarten? Dabei muss Oerding sich erst einmal mit den Zweifeln herumschlagen, die viele haben: Gibt es Gott überhaupt? Und wenn ja, kann er helfen? Und wenn ja, will er überhaupt helfen? Das möchte der Sänger jetzt, in der Not, gerne annehmen.

Nach dem Zweifel kommt das Durcheinander der Gefühle. Da ist zum einen das Gefühl der Ohnmacht. Oerding singt wie jemand, der hilflos den Notruf wählt und jammert: Lieber Gott, komm bitte ganz schnell! Aber es klingt auch wie ein genervter Firmenchef, dessen Betriebsfeuerwehr nicht so schnell ist, wie das sich der Chef vorgestellt hat. Und noch krasser: Wie ein 16jähriger, der von Superman träumt, der im richtigen Moment um die Ecke geflogen kommt und alles aufräumt!

Oerding ringt mit der Frage: Was kann ich von Gott erwarten? Dabei ist er im Moment der Not offenbar bereit, all seine menschliche Freiheit und sein Selbstbewusstsein beiseite zu werfen. Plötzlich ist für ihn der Gedanke attraktiv, er selbst sei nur eine Figur auf der Bühne eines großen Marionettentheaters. Der Chef dieses Theaters sei Gott und der habe alle Strippen in der Hand. Alle Verantwortung liege also bei Gott. Hauptsache, alles wird schnell wieder gut! Und das möglichst von alleine.

Doch dann kommt die Enttäuschung: Gott tut es einfach nicht. Die Sehnsucht nach dem alles lenkenden Gott geht ins Leere. So geht Glauben einfach nicht: Man kann nicht im Alltag, wenn es einem gut geht, Gott-vergessen vor sich leben. Und dann, in der Not, zitiert man auf Knopfdruck Gott herbei. Aber der allmächtige Gott ist kein dienstbarer Geist, sondern unverfügbar. Das wird Johannes Oerding sicher wissen. Schließlich gehört er einem christlichen Pfadfinderstamm an. Schon dadurch hat er sicher eine Idee vom christlichen Glauben mitbekommen. Ihn beschäftigt in dem Song die Frage, die alle Gottessucher stellen: Was kann ich von Gott erwarten?

Musik: Johannes Oerding, Wenn es einen Gott gibt, Refrain

Wenn es einen Gott gibt, der macht, dass alles wieder gut wird. Wenn es einen Gott gibt, warum kommt er nicht dann einfach runter und macht, dass alles gut wird, dass alles wieder gut wird. Das ist die Frage aller Fragen: Warum Gott, kommst Du nicht einfach herunter und machst, dass alles wieder gut wird? Darauf gibt es aus christlicher Sicht eine Antwort: Er ist gekommen! Das ist es, was wir gerade feiern – jetzt an den Weihnachtstagen: Gott ist herunter gekommen auf die Erde.

Davon erzählen die Weihnachtskrippen, die jetzt bei vielen zuhause im Wohnzimmer stehen. Allerdings sind nicht alle damit zufrieden, wie das geschah. Denn Gott kam nicht als Superheld, sondern als Kind. Als kleiner Jesus, geboren in einem Stall bei Bethlehem. In ihm, dem Säugling in der Krippe, zeigt sich Gott auf Erden – klein und schwach, menschlich, verletzlich und geduldig. Auch später, als erwachsener Mann, drückt Jesus nicht den großen Reset-Knopf, der alles auf Anfang stellt. Er verkündet auch kein Game Over, kein Ende gut, alles gut. Jesus lässt allen ihre Freiheit. Sie können sich weiterhin entscheiden zwischen Liebe und Hass, zwischen Frieden und Gewalt, zwischen Egoismus und Gerechtigkeit. Aber Gott lässt sie damit nicht allein. In Jesus, dem Menschensohn, zeigt Gott, wie sich ein Leben anfühlt das wieder gut ist.

In diesem Leben werden die Traurigen getröstet und die Schwachen beachtet. Die Armen haben genug zum Leben und die Sterbenden sehen den Himmel offen. In diesem guten Leben stehen an der Krippe Jesu die Hirten und die Könige gemeinsam beieinander. Wo das geschieht, ist Gott mitten unter ihnen. Wer also Sehnsucht nach Gott hat, schaut sich am besten auf der Erde um. Gott ist unter den Menschen zu finden. Und wer wissen will, wohin es mit der Menschheit gehen soll, der schaut sich ab, wie Jesus sich um sie gekümmert hat.

Gott nimmt also niemandem das Leben ab. Aber er gibt ein Ziel und damit eine Hoffnung. Das hat der Sänger Johannes Oerding verstanden. Am Ende seines Songs verändert er den Refrain so: „Wenn es einen Gott gibt, warum kommt er nicht dann einfach runter. Und dann setzen wir beide alles dran, dass alles wieder gut wird.“ So geht Glauben, gerade auch mit dem Fragezeichen. Denn wer Fragen stellt, der resigniert nicht. Wer klagt und aufbegehrt, der hat schon angefangen aktiv zu werden und etwas zu unternehmen, dass alles wieder gut wird.

Musik: Johannes Oerding, Wenn es einen Gott gibt, Refrain

Wenn es einen Gott gibt, warum kommt er nicht dann einfach runter und dann setzen wir beide alles dran, dass alles wieder gut wird, dass alles wieder gut wird. Wenn es einen Gott gibt.

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