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Sie haben das Ziel erreicht! Im Leben unterwegs
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Sie haben das Ziel erreicht! Im Leben unterwegs

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz

In diesem Sommer war ich oft und lange unterwegs, mit dem Flugzeug, mit dem Auto, aber tatsächlich auch zu Fuß. Und immer wieder war die Meldung: Sie haben Ihr Ziel erreicht. Mein Schrittzähler hat mir das gesagt, fast täglich. Zuerst bei einer Studienreise auf die Insel Malta – Ende Juni. Wir haben zwar bei weitem nicht alle 365 Kirchen Maltas gesehen, aber doch jede Kirche oder Kathedrale, die auf unserem Weg lag.

Nach der Studienreise hieß es: Wäsche waschen und wieder Koffer packen. Wenige Tage später sind wir dann als Familie nach Spanien aufgebrochen. Wir sind zum ersten Mal zusammen geflogen. Eine ganz neue Erfahrung: das Gepäck war überschaubar und wir alle waren viel schneller im Entspannungsmodus, als nach vielen Stunden Autofahrt. Und so hatten wir viel Energie für zwei tolle Städte in Andalusien. Wir haben uns Malaga und Granada praktisch erlaufen und das mit drei Kindern, von denen mindestens zwei im besten Pubertätsalter sind. Und auch hier hat mir mein Schrittzähler immer wieder gemeldet: Sie haben Ihr Ziel erreicht.

Wir waren dann noch zwei Wochen bei meinen spanischen Schwiegereltern, die ihr Haus in Sorbas haben, einem kleinen, arabisch anmutenden Dorf in der Nähe von Almeria.

Auch das war eine sehr intensive Zeit dort. Nicht auf Grund der Schritte, die wir getan hätten, sondern wegen eines ganz anderen Ziels, wie sich herausstellen sollte. Wir haben meine Schwiegermutter auf den letzten Schritten auf ihrem Lebensweg erlebt. Meine Schwiegermutter war krank. Sie hatte ein offenes Bein. Sie sollte sich so gut es geht bewegen. Aber sie wollte oder konnte es nicht. Keine Therapie hat gepasst. Eine Gehhilfe oder ein Rollstuhl kamen nicht in Frage. Einen Tag vor unserer Heimreise haben mein Mann und ich meine Schwiegereltern noch einmal nach Granada begleitet – ein anderer Arzt sollte sich das Bein anschauen, eine neue Therapie ausprobieren.

Ich spüre immer noch ihre Hand in meiner Hand, als wir nach der anstrengenden Untersuchung ganz langsam mit Trippelschritten zu einer kleinen Bar gelaufen sind. Und dann haben wir vier noch einmal Tapas miteinander gegessen – ein paar kleine spanische Köstlichkeiten. Eine Wegzehrung vor der Fahrt zurück nach Sorbas.

Am Tag darauf sind wir dann nach Hause geflogen, ohne zu ahnen, dass mein Mann seine Mutter, unsere Kinder ihre Oma nicht mehr wiedersehen würden.

Eine Woche später ist meine Schwiegermutter ganz plötzlich verstorben – das Herz hat einfach aufgehört zu schlagen. Sie hatte das Ziel ihres Lebens erreicht.

Wir waren schockiert, traurig, konnten es gar nicht glauben.

Und weil noch Schulferien waren, haben wir gleich wieder gepackt und einen Flug Richtung Süden gebucht, um sie zu verabschieden, sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten.

Der letzte Weg meiner Schwiegermutter war bei aller Trauer irgendwie auch beeindruckend. Wir konnten sie noch einmal sehen, das war gut. Es war aber auch gut, zu erleben, dass sich das ganze Dorf auf den Weg gemacht hat, um Trauerwache zu halten und um den Sarg mit ihr zur Kirche zu begleiten. Es war gut, dass wir als Familie noch einmal beisammen waren.

Jetzt sind wir seit vier Wochen wieder zu Hause, und ich merke: Nach einem so bewegten Sommer ist es gar nicht so einfach, wieder in den richtigen Tritt zu kommen.

Aber Schule und Arbeit helfen dabei, dass wieder der Alltag einkehrt.

Ich sitze wieder mehr am Schreibtisch und mein Schrittzähler meldet mir nicht mehr an jedem Tag: Sie haben Ihr Ziel erreicht!

Ich muss dabei nach diesem besonderen Sommer aber nicht nur an meine Fitness denken. Ich komme auch darüber ins Nachdenken: Was heißt das für mich eigentlich: Sie haben Ihr Ziel erreicht – wann ist das bei mir der Fall? Also nicht mein Tagesziel, sondern das Ziel meines Lebens?

Noch habe ich es nicht erreicht, würde ich mal meinen, auch wenn ich das nicht wissen kann. Aber es fühlt sich so an, als ob ich noch lange unterwegs sein darf.

Und da frage ich mich: wie bin ich eigentlich unterwegs? Wie will ich mein Leben gestalten, welche Ziele, welche Wünsche und Träume möchte ich in meinem Leben umsetzen, damit ich nicht total überrascht bin, wenn es am Ende heißt: Sie haben Ihr Ziel erreicht.

Sie haben ihr Ziel erreicht. Das endgültige, am Ende des Lebens. Wann das bei uns der Fall ist, kann zum Glück niemand vorhersagen, und man kann sich auch nur bedingt auf diesen Moment vorbereiten. Aber vielleicht hilft es, dafür hin und wieder die Ziele im eigenen Leben zu überprüfen.

Ich habe erlebt: Es ist gut, wenn ich dabei immer wieder einmal auf die Weggefährten höre und achte, die mich begleiten. Meist sind das ja Menschen, die zu mir gehören und mir freundschaftlich verbunden sind.

Mir ist diesen Sommer darüber hinaus auch noch der heilige Rochus zum Wegbegleiter geworden, auch wenn der schon seit ein paar Jahrhunderten tot ist.

Der heilige Rochus war auch eine lange Zeit seines kurzen Lebens unterwegs – damals im 13. Jahrhundert. Unterwegs von seiner Heimatstadt Montpellier nach Rom und zurück, um auf seinem Weg zahlreiche Pestkranke zu pflegen und zu heilen, wie es die Legenden erzählen. Er hat das gelebt, was er von der Botschaft Jesu verstanden hat.

Letzte Woche wurde bei uns, wie in einigen anderen Gemeinden auch, das Rochusfest gefeiert. Im 17. Jahrhundert hatte die Pest in vielen Städten am Rhein noch einmal richtig zugeschlagen. Die Gemeinde von Mainz-Kastel wählte den heiligen Rochus zum Schutzpatron, und weil sie daran glaubten, dass sie auf seine Fürsprache hin von der Pest befreit wurden, haben die Kasteler Bürger ein Gelübde abgelegt: Eben jedes Jahr im August veranstalten sie ein Rochusfest. Bis heute tragen starke Männer eine hunderte Kilo schwere Rochusfigur durch die Straßen und eine Kerze, die der Tradition nach fünfzehn Pfund hat.

Aber das ganze Fest genügt sich nicht in der Pflege von Traditionen und Prozessionen. Jahr für Jahr sucht sich die Gemeinde ein Projekt, das sie mit Spenden unterstützt. Diese Projekte lenken die Gedanken auf das Heute. Was ist heute wichtig? Wer oder was wird vielleicht auch übersehen? Wer oder was braucht unsere Hilfe? Ganz wie der heilige Rochus damals, möchte sich die Gemeinde denen zuwenden, die heute in Not sind. In diesem Jahr war das der Verein Aufwind, der sich um Kinder krebskranker Eltern kümmert.

Tatsächlich hat das Rochusfest auch letzte Woche in Sorbas stattgefunden, in dem Ort, in dem meine Schwiegermutter begraben ist, eine ganze Woche lang wurde dort sogar gefeiert. Auch dort hat die Gemeinde den Heiligen zum Schutzpatron gewählt.

Eine Verbindung zwischen hier und dort, die mir in diesem Sommer ganz besonders wichtig ist.

Das Rochusfest erinnert mich daran, immer wieder einmal die eigenen Ziele, Wünsche und Träume im Leben zu überprüfen. Was ist mir wichtig? Was habe ich von der Botschaft Jesu verstanden, für was soll mein Name stehen, wenn es am Ende heißt: Sie haben Ihr Ziel erreicht? Fragen sind das, die für ein ganzes Leben reichen.

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