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Ostern - und dann? Die Rolle des Simon Petrus

Ostern - und dann? Die Rolle des Simon Petrus

Simone Gerlitzki
Ein Beitrag von Simone Gerlitzki, Katholische Pastoralreferentin, Frankfurt
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Zwei Wochen nach Ostern würde ich gerne wieder in meinen gewohnten Alltag zurückkehren. Aber das lässt die Situation wegen der Corona-Krise nicht zu. Wie gerne hätte ich auch in dieser Osternacht die Gefühle gehabt, die ich beim feierlichen Osterruf sonst empfinde, wenn es heißt: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden!“ Aber der Ruf war in diesem Jahr für mich und viele andere nicht wie gewohnt in der Gemeinschaft zu hören. Und dennoch: die Osterbotschaft ist da! Wie ergreifend ist es, gerade in diesen Tagen in der Bibel zu lesen: Der Tod hat nicht das letzte Wort! Jedoch verstehe ich auch die Zweifel, die alltägliche und eigentlich un­-österliche Angst und Sorge um das eigene Leben: Ob genug da sein wird zum Leben, ob mir die Gesundheit erhalten bleibt, ob ich meine Arbeit wiederbekommen werde? Es ist fast so, als wenn das offene Grab des Auferstandenen mit aller Macht wieder zugeschaufelt würde mit meinen Themen und den Themen dieser Welt.

Abbröckelnde Begeisterung

Alle, die das erste christliche Ostern miterlebt hatten und dann auch noch die Jahre danach, konnten sich gut erinnern: Ihr Leben hatte sich radikal verändert durch die Nachricht vom leeren Grab und die Botschaft des Engels: „Der Herr ist auferstanden!“ Da war eine richtige Lawine losgetreten worden. Jeden Tag hatten sich mehr Menschen zu dieser Botschaft bekannt. Innerhalb weniger Wochen waren es schon fünftausend. Aber dreißig, vierzig oder gar sechzig Jahre später sah vieles ganz anders aus. Große Ernüchterung war eingetreten. Im Trott des Alltags bröckelte die Begeisterung ab, vor allem aber wegen der vielfältigen Verfolgungen, denen die Jesusgemeinde ausgesetzt war.

Ernüchterung macht sich breit

Dabei fällt mir auf: Keines der vier Evangelien endet mit dem Osterereignis. Alle berichten wenigstens kurz auch davon, wie es dann weiterging. In der Gemeinde erzählte man sich immer wieder neu: Jesus ist jetzt bei Gott - in der himmlischen Herrlichkeit. Nur die Gläubigen waren eben immer noch hier in dieser Welt. Sie hatten gehofft: Mit der Auferstehung Christi sei alles anders. Aber davon merken sie nichts. Der Alltag ist noch genauso anstrengend, die Kinder sind noch genauso nervig, und auch Krankheiten bleiben nicht aus. Die Mühen, Menschen für die Kirche zu begeistern, sind recht erfolglos. Diese Enttäuschung saß tief. Selbst die Jünger Jesu erlebten diese Enttäuschung. Im Evangelium, welches heute in der katholischen Liturgie verkündet wird, heißt es: „Simon Petrus sagte zu den Jüngern: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts.“ (Johannes-Evangelium 21,3) Diese Situation muss für die Jünger besonders schmerzlich gewesen sein – vor allem, wenn man von der Osterbotschaft her ahnt, was möglich ist, was da alles anders sein könnte. Das fällt mir ein, wenn der Evangelist Johannes von den leeren Netzen nach einer dunklen Nacht erzählt.

Musik 1: Arcangelo Corelli, “Concerto No. 4 in D-Major, Allegro-Allegro

Simon Petrus, einer der Jünger Jesu, er beeindruckt mich besonders in der nachösterlichen Erzählung vom Fischfang und den leeren Netzen. Er sagt einfach: „Ich gehe fischen.“ Bevor Petrus Jesus kennenlernte, war das sein täglicher Brotverdienst und dieser kleine Satz das selbstverständlichste von der Welt für ihn. Ein Fischer bricht auf, um zu fischen und den Unterhalt für seine Familie zu verdienen.

Beeindruckt und überzeugt

In der Situation, die der Evangelist Johannes im heutigen Evangelium erzählt, bekommt der Satz eine ganz andere Bedeutung. Was war vorausgegangen? Vor gut drei Jahren war Petrus‘ Bruder Andreas Jesus begegnet. Johannes der Täufer hatte ihm gesagt: „Das ist der, auf den die Menschen warten. Dem müsst ihr jetzt nachfolgen.“ Andreas war Jesus gefolgt und war so beeindruckt von ihm, dass er zu seinem Bruder Petrus ging und ihm sagte: „Du, ich hab den Messias getroffen, den musst du unbedingt kennenlernen.“ Und Petrus ließ sich von Andreas zu Jesus führen.

Diese Begegnung hatte sein ganzes Leben verändert. Spontan hatte er sich entschlossen, sein Fischerhandwerk aufzugeben und mit Jesus mitzugehen. Er war fasziniert von dem, was er mit Jesus erlebte. Das erste Mal beeindruckt hatte ihn Jesus in Kana in Galiläa. Zu einer Hochzeit waren sie eingeladen – Jesus und die anderen, die mit Petrus sich Jesus angeschlossen hatten – später hießen sie „seine Jünger“. Als das Brautpaar in die peinliche Situation kam, dass der Wein ausging, wandelte Jesus das Wasser in Wein. Da wurde ihm deutlich: Jesus ist einer, der von Gott her kommt! Nur wer von Gott kommt, hat die Macht zu einem solchen Wunder. Jetzt stand für ihn fest: Dieser Jesus ist ab jetzt mein Meister, ihm will ich nachfolgen, mit ihm will ich für Gott und die Menschen wirken.

Ein Satz, der alles aussagt

In dieser Nachfolge hatte Petrus Unglaubliches erlebt: Er hatte mehrere Wunder mitgemacht, die er sich nur so erklären konnte: In Jesus ist Gott selbst am Werk. Als Jesus zum Beispiel den kranken Sohn eines römischen Hauptmannes heilte. Und er war beeindruckt von den Predigten Jesu, in denen er vom Vater im Himmel sprach und sich einsetzte für die Einhaltung von Gottes Gesetz. Imponiert hatte ihm, wie Jesus in einer Predigt das ganze komplizierte Gesetz auf einen kurzen Punkt zusammengefasst hatte: „Liebe Gott, und liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Für diesen Jesus und seine Botschaft hatte Petrus also sein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf gestellt – und der hatte ihm dann auch noch gesagt: Dich will ich zum Menschenfischer machen.

Musik 2: Händel für Oboe & Orchestra, Albrecht Mayer, New Seasons, Ombra mai fu (from Opera „Serse“, HMV 40)

Zuerst hatte Petrus also große Begeisterung für Jesus, und dann kam alles anders. Manche stießen sich an Jesu Botschaft, vor allem an seinen Predigten. Es brachte Petrus nicht nur Ehre und Bewunderung ein, wenn er Jesus folgte, sondern auch böse Bemerkungen und offene Anfeindung. Und schließlich wurden sie handgreiflich.

Nach dem Abendmahl ging Jesus mit seinen Jüngern in einen Garten, um dort vor dem Pessachfest zu beten. Dorthin kamen die Soldaten bis an die Zähne bewaffnet, und nahmen ihn fest. Petrus schien der einzige zu sein, der das nicht hinnehmen wollte. Kurz entschlossen zog er sein Schwert und schlug auf Malchus ein, einen Knecht des Hohepriesters. Der verlor dabei sein Ohr. Und Jesus? Der heilte das Ohr des Malchus wieder und Petrus bekam einen Rüffel: „Hast du es noch immer nicht begriffen? Ich will keine Gewalt!“

Und doch wieder Zweifel

Das konnte Petrus nur sehr schwer verstehen. Wenn Jesus doch von Gott kam, ja wenn er Gottes Sohn war, warum wehrte er sich nicht? Warum ließ er das alles mit sich machen? Erste Zweifel meldeten sich bei Petrus. War er einem Hochstapler und Betrüger aufgesessen? Diese Zweifel waren begleitet von einer nagenden Enttäuschung: Da war so viel Hoffnung durch Jesus in sein Leben gekommen – und das sollte nun alles sang- und klanglos vorbei sein? Und dann kam auch noch die Szene im Hof des Hohepriesters. „Du gehörst doch auch zu Jesus“ – entlarvte ihn eine Magd. Und gleich dreimal leugnete Petrus: „Ich kenne ihn nicht!“ Und mit diesem Leugnen hatte er sogar recht: Er kannte ihn wirklich noch nicht, er hatte ihn noch gar nicht wirklich begriffen. Jesus hatte das sogar früher durchschaut und ihn sogar einen Satan genannt. Nachdem Petrus zum dritten Mal gesagt hatte „Ich kenne ihn nicht“, ging er hinaus und weinte bitterlich.

Ich kenne diesen Menschen nicht

Früher hatte ich immer gedacht – wie so viele: Petrus weinte, weil er Jesus verraten hatte. Inzwischen glaube ich: Er weinte über das Zusammenbrechen seiner Hoffnung. Drei Jahre war er mit Jesus zusammen gewesen und musste sich nun eingestehen: „Ich kenne diesen Menschen nicht!“ Das ist bitter! Und als Jesus schließlich grausam gefoltert und zum Tod verurteilt wurde, sein Kreuz nach Golgota hinaufschleppte und dort gekreuzigt wurde, da konnte Petrus nur noch abseits stehen: ein Abbild von Enttäuschung und Ratlosigkeit. Und dann stirbt Jesus. Kein göttlicher Eingriff wie in Kana, keine faszinierende Predigt mehr wie am See Genezareth, keine „Hosanna“-Rufe der Menschen mehr, sondern: Tod, Ende, Aus!

Weitermachen wie bisher?

Das war’s dann wohl, Simon, wird er sich gesagt haben. Pack deine Sachen und geh wieder zum See. Der Traum war zu schön, um wahr zu sein. Und tief in seiner Seele diese Enttäuschung - denn das, was Jesus gepredigt und gelebt hatte, das hatte ihn nicht nur begeistert und fasziniert. Das hatte ganz tief in ihm eine Sehnsucht berührt, die seitdem nicht mehr zur Ruhe kam. Dieser tief enttäuschte Petrus steht nun am Ufer des Sees - wie vor seiner ersten Begegnung mit Jesus. Der Alltag hat ihn wieder: „Ich geh fischen“, sagt er. Aber auch das will jetzt nicht richtig gelingen. Die ganze Nacht sind er und seine Mitstreiter am Werk, aber das Ergebnis ist gleich null. Wie in seinen letzten drei Jahren. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt, er hatte sich stark gemacht für Jesus, doch das Ergebnis jetzt war bittere Enttäuschung.

Musik 3: Joseph Fiala, Konzert für Englischhorn und Orchester in C-Dur, Albrecht Mayer, Adagio cantabile

Petrus mochte Jesus und hatte für ihn vieles getan. Aber letzten Endes war er von seinem Freund, von seinem Vorbild doch sehr enttäuscht. Und dann, so erzählt es der Evangelist Johannes im heutigen Evangelium, steht da dieser Fremde am Ufer. Und der sagt: „Fahrt hinaus zum Fischen!“ „Aber das haben wir doch die ganze Nacht gemacht, vergeblich, unsere Netze sind leer“, antworten die Fischerleute. Und wieder kann ich Petrus gut verstehen. Er denkt wahrscheinlich: „Aber ich bin Jesus doch drei Jahre gefolgt, habe mein Leben mit ihm geteilt. Doch Jesus ist sinnlos ermordet worden, und ich stehe mit leeren Netzen, mit leeren Händen da, und jetzt kommt auch noch dieser Fremde daher.“ Der aber sagt: „Fahrt trotzdem noch einmal hinaus, werft das Netz aus – und zwar an der rechten Seite.“

Nur, wer sich auf das Neue einlässt

Warum gerade auf dieser Seite, frage ich mich und vermute: Jesus möchte Petrus herausfordern, vom Gewohnten abzulassen. So werfen Rechtshänder das Netz immer zur linken Seite aus. Es scheint mir, als sage Jesus indirekt: „Petrus, lass dich mal auf etwas Neues ein.“ Es überrascht mich, dass die Fischer seiner Aufforderung nachkommen – gegen den beruflichen Sachverstand. Und doch tun sie es – wie die Diener in Kana Wasser in die Krüge gefüllt haben. Und wie sie damals erlebten, dass in den Krügen kostbarer Wein war, so erlebten Petrus und seine Mitstreiter jetzt: Die Netze sind gefüllt!  In diesem Augenblick begriffen sie: Er ist es - Jesus! Sie haben nicht darüber diskutiert, wie das möglich ist, hatten sie ihn doch erbärmlich am Kreuz sterben sehen. Das Wort „Auferstehung“ war für sie ein Fremdwort. Doch es war ihnen angesichts der gefüllten Netze einfach klar: „Er ist der Herr!“ Diese Gewissheit verstärkte sich noch, als er ihnen Brot zu essen gab wie damals im Abendmahlssaal.

Unergründlich für den Menschen: Gottes Wege

Diese ersten Jünger begannen zu ahnen: Gottes Wege sind anders als die der Menschen und Gott war hier am Werk. Er ließ Jesus nicht im Tod, sondern erweckte ihn zum Leben. Sie begannen zu ahnen: Gott hat eine andere Alternative als der Mensch. Er will nicht mit Gewalt das Leben erneuern, sondern erneuert es im Tod und in der Auferstehung. Und Petrus und mit ihm die anderen begannen zu ahnen: Nicht unsere Tüchtigkeit allein füllt uns die Netze des Lebens, sondern allein Gott mit seiner mächtigen Kraft.

Musik 4: Johann Sebastian Bach, Jesu bleibet meine Freude (nach BMV 147)

Nach dieser Erfahrung vom unverhofften morgendlichen Fischfang spüren Petrus und die anderen Jünger: Etwas ist anders geworden. Jesus steht am Ufer. Und das verändert alles. Auch ich habe schon oft die Erfahrung gemacht: Eine Person, die nicht direkt in einer Situation mit drinsteckt, sondern vom Ufer, also von außen aus zusieht, kann den besseren Blick haben und einen Rat geben, der mich weiterführt.

Veränderter Blickwinkel schafft neue Aussichten

Als mein Vater vor vielen Jahren starb, fühlte ich mich zuerst leer, und ich hatte noch viele Fragen an ihn, die aber alle unbeantwortet blieben. Der Verlust eines lieben Menschen – das muss lange verarbeitet werden. Aber hier halfen mir Personen, Freunde, die von außen auf den Verlust blickten und mir durch ihr Verständnis, ihren Trost und ihre Fürsorge aus der Situation halfen. Letztlich hat mir auch mein Glaube an Jesus geholfen. Jesus, der Herr steht am Ufer - auch und gerade in den traurigen Momenten des Lebens.

Gemeinsam neue Wege finden

Es gibt viele scheinbar aussichtslose Situationen im Leben eines Menschen - es gibt schwierige Situationen für die ganze Menschheit, wie jetzt in dieser Corona-Pandemie. Es gibt so viele Geschichten, in denen keine Lösung in Sicht ist. Ich plage mich ab, aber alles ohne Erfolg. Und trotzdem brauche ich die Netze nicht hinzuwerfen. Denn in allen diesen grauen Werktagen steht Jesus am Ufer, also in Rufweite, und sagt mir: „Probier es neu!“ Ich bin mir sicher: Wo ich im Vertrauen auf Jesu Neues ausprobiere, wo wir das als Kirche, als Gemeinschaft tun, da werde ich, werden auch wir erleben, was die Jünger erlebt haben: „Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es!“ Jesus ist bei mir – gerade auch in diesen schlechten Zeiten.

Musik 5: Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 8 F-Dur, op93

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