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Licht in der Finsternis
Bild: Stephanie Rieth

Licht in der Finsternis

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz
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Seit einigen Jahren schon gestalte ich meine Weihnachtskarten selbst, und diese Weihnachtskarten verschicke ich nicht nur mit der Post. Ich nehme sie auch gerne bei Weihnachtsbesuchen mit als Geschenk, denn ich verschenke gerne persönliche Worte und Gedanken an die Menschen, die mir wichtig sind.

Eine Karte mit ein paar persönlichen Worten – die ist mir wertvoller als ein teures Geschenk. Und so nehme ich auch heute wieder einen Stapel Karten mit, wenn wir am zweiten Weihnachtsfeiertag zum Familientreffen an die Mosel fahren, da, wo ich herkomme. Endlich können wir uns wiedersehen, meine Eltern, meine Geschwister, ihre Familien und wir - geimpft und getestet natürlich, um keinen zu gefährden.

Eine schöne Weihnachtskrippe als Motiv

Für das Motiv meiner Weihnachtskarten bin ich meistens mit dem Fotoapparat oder meinem Handy in der Advents- und Weihnachtszeit unterwegs. Aus vielen Schnappschüssen wähle ich ein Foto für das kommende Jahr aus, und meistens finden sich dann auf den Karten eben weihnachtliche Motive: leuchtende Sterne, die ich an einem Verkaufsstand auf dem Weihnachtsmarkt aufgenommen habe, oder Bilder von einem Familienausflug in den Schnee. Ich habe auch schon eine besonders schöne Weihnachtskrippe aus einer der Mainzer Kirchen von unserem alljährlichen Krippenspaziergang zum Motiv meiner Karten gemacht.

Die Venus am Nachthimmel

In diesem Jahr aber ziert ein Sommerbild meine Weihnachtskarte – zu sehen ist die Venus am Nachthimmel. Im Sommer waren wir - ebenfalls nach langer Coronaabstinenz - zum Familienbesuch bei meinem Schwiegervater und meiner Schwägerin in Südspanien. Und wie immer, wenn wir dort sind, darf ein Besuch auf dem Calar Alto nicht fehlen. Dort auf der höchsten Erhebung in Andalusien steht das größte Spiegelteleskop auf dem europäischen Festland – seit einigen Jahren darf man es besuchen.Und in diesem Jahr haben wir – ganz coronakonform -  eine Familienführung erhalten mit Sternenschau – mitten in der Nacht.

Das war ein Gänsehautmoment

Und wie wir so darauf gewartet haben, dass die Führung losgeht, konnten wir den Aufgang der Venus am Nachthimmel beobachten und tatsächlich mit der Kamera einfangen. Strahlend schön ist dieser Planet - fernab von den Lichtern irgendeiner Stadt - klar am dunklen Himmel zu erkennen. Ein Gänsehautmoment war das.

Die Venus am Nachthimmel hat uns sehr beeindruckt, wir konnten uns gar nicht sattsehen.

Die Venus ist heller als alle anderen Planeten und Sterne, die wir mit bloßem Auge von der Erde aus beobachten können. Sie bewegt sich schneller um die Sonne als die Erde und erscheint daher entweder als Morgenstern oder als Abendstern.

Der Kontrast zwischen Licht und Dunkelheit

Wir haben die Venus als Abendstern eingefangen, aber genau genommen ist das ziemlich egal, denn das Schöne an dem Bild ist der Kontrast zwischen Licht und Dunkelheit – und damit wird es für mich zum Weihnachtsbild.

Licht und Dunkelheit, dieses Gegensatzpaar hat eine lange Tradition in der christlichen Symbolik – angefangen bei der Schöpfungsgeschichte, in der es um die tiefe Überzeugung geht: Gott hat das Licht überhaupt erst geschaffen. Aber auch später in der Bibel spielt es an vielen Stellen eine Rolle und dadurch auch bei den großen Festen des christlichen Glaubens.

"Jesus" auch der Morgenstern genannt

Das Weihnachtsfest steht – wie sollte es anders sein – auch in der Symbolsprache von Licht und Dunkelheit. Weihnachten – schon im Wort selbst steckt die Nacht, die geweihte Nacht und sie beginnt mit dem Heiligen Abend. Jesus kommt mitten in der Nacht zur Welt. Vermutlich im 5. Jahrhundert verschmilzt das Geburtsfest Jesu langsam mit dem heidnischen Fest des unbesiegbaren Sonnengottes, das immer nahe der Wintersonnenwende am 25. Dezember gefeiert wurde, also zu dem Zeitpunkt, ab dem die Sonne wieder langsam an Kraft gewinnt, die Tage wieder länger werden.

In Deutschland feiert man Weihnachten an diesem Datum erst seit dem 9. Jahrhundert – aber die Deutung ist klar: Jesus Christus ist die eigentliche unbesiegbare Sonne, das Licht, das jede Nacht erhellt. Und dann wird Jesus manchmal auch der Morgenstern genannt.

Dieses Bild brauche ich in diesem Jahr ganz besonders

Meine Weihnachtskarte zeigt in diesem Jahr die Venus. Auch wenn ich sie hier als Abendstern aufgenommen habe, ist mir das eigentlich Wichtige, dass dieser Stern in der Dunkelheit leuchtet. Ich merke: Genau dieses Bild brauche ich in diesem Jahr zu Weihnachten ganz besonders. Ein Licht, das in der Finsternis leuchtet und dem die Nacht nichts anhaben kann.

Es ist mir in diesem Jahr sehr schwergefallen, in Weihnachtsstimmung zu kommen. Irgendwie war da zu viel Arbeit mit zu vielen Themen, die mehr Sorgen als Freude machen, und für meine Familie war zu wenig Zeit. Erst nach dem zweiten Advent habe ich es geschafft, die Weihnachtsbeleuchtung an den Fenstern anzubringen, damit starten wir sonst immer in die Adventszeit. Und unsere Kinder sind mittlerweile so groß, dass auch bestimmte Traditionen, wie das gemeinsame Lesen von Geschichten und das Singen von Adventsliedern nicht mehr dran sind. Noch nicht einmal der gemeinsame Besuch auf dem Weihnachtsmarkt war möglich, weil sich mein Sohn den Knöchel gebrochen hat.

Weihnachten findet statt

Ja, in diesem Jahr hat mir etwas gefehlt in der Vorweihnachtszeit. Aber das Gute und das Tröstliche ist: Weihnachten richtet sich nicht nach meinem persönlichen Terminkalender und danach, wie weit ich mit meiner Vorbereitung gekommen bin, nicht nach dem, was dazu gehören sollte, ich aber nicht geschafft habe. Weihnachten findet statt – auch wenn da Unordnung ist, um mich herum und in mir drin. Weihnachten findet statt – inmitten von Nacht und Dunkelheit.

Und in diesem Jahr sind mir viele Menschen begegnet, die in der Vorweihnachtszeit kleine, aber auch ganz große Schwierigkeiten bewältigen mussten, Menschen, die gerade Nacht und Dunkelheit erleben, weil sie eine schlimme Diagnose erhalten haben, weil von heute auf morgen die ganze Existenz auf dem Spiel steht, weil ein lieber Mensch gehen musste.

Es ist ein schwerer Text

Ich erlebe gerade viele Menschen in meinem Umfeld, die Nacht und Dunkelheit erleben. An diese Menschen denke ich gerade, wenn ich meine Weihnachtskarte anschaue – die mit dem Stern am Nachthimmel. Ich habe zu diesem Bild noch einen Vers aus der Bibel dazu gesetzt: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Johannesevangelium 1,5)

Dieser Vers stammt aus dem Neuen Testament – er steht am Anfang des Johannesevangeliums. Es ist das jüngste der Evangelien und enthält eine Theologie, die am weitesten entfernt ist von der Krippenidylle des Heiligen Abend. Es ist ein schwerer Text, er wird mehrmals in der Weihnachtszeit gelesen, wie als müsste man über diese Aussage besonders oft und besonders gründlich nachdenken.

Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.

Auch das ist Weihnachten!

Und für mich ist das ein wirklich tröstlicher Gedanke, wenn ich daran glauben kann.

Das kleine Kind in der Krippe: Es steht zugleich für das große, unbesiegbare Licht. Es hat Licht in diese Welt gebracht.

Alle...wollen die Venus sehen

Wenn ich an die Menschen denke, die gerade Dunkelheit und Finsternis erleben, dann wünsche ich ihnen Menschen an ihrer Seite, die das Dunkel ein wenig heller machen: Menschen, die sich sorgen, den Kontakt halten, zusammenhalten.

Heute freue ich mich auf die Menschen aus meiner Familie, die ich heute wiedersehen darf – seit zwei Jahren schon waren wir nicht mehr alle zusammen. Ich freue mich auf gutes Essen, viele Gespräche und einen fröhlichen Tag – und vielleicht gehen wir, wenn die Wolken es zulassen, gemeinsam heute Abend raus, um die Venus zu entdecken – als Symbol für das Licht, das die Finsternis hell macht.

 

 

 

 

 

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