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Ingo Pohlmann: "Geplatzter Knoten"
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Ingo Pohlmann: "Geplatzter Knoten"

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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Vor ein paar Jahren sitze ich etwas ratlos vor meiner Ärztin. „Dein Blutbild ist wunderbar“, sagt sie - und eigentlich sollte ich mich freuen: Ich bin kerngesund! Aber ich fühl mich nicht kerngesund. Ich bin müde und ständig erkältet. Werd ich vielleicht einfach nur alt? Oder stimmt was mit meinem Hormonhaushalt nicht? Die Ärztin holt mich aus meinen Grübeleien und sagt: „Ich glaube, dir würden drei Wochen Nordsee mal ganz gut tun.“

Drei Wochen Nordsee - oh ja!

Nordsee? Klar! Schon allein der Gedanke an das Meer und den Wind hebt augenblicklich meine Stimmung. Das wär mal was: drei Wochen lang Urlaub, entspannen, durchatmen – da würd ich bestimmt wieder neue Energie schöpfen! Aber: Sie meint gar keinen Urlaub, sondern eine Mutter-Kind-Kur. Der Gedanke ist für mich gewöhnungsbedürftig. Ich dachte immer, eine Kur sei etwas für Mütter, die so richtig fertig sind, im Familien-Burnout oder mit schlimmen Schicksalsschlägen. Aber ich? Bei mir läuft‘s doch irgendwie.

Ok, auch mal k.o. zu sein

Inzwischen weiß ich: Es ist normal und völlig in Ordnung, auch mal k.o. zu sein und eine Auszeit zu brauchen. So ein Alltag mit Familie, Beruf und allem anderen schlaucht einfach.

Während der ersten heftigen Corona-Monate musste ich oft an diese Situation damals zurück denken. Dann hab ich mir gesagt: Ja, ich bin gerade völlig fertig, aber das ist ok. Mir - und vielen anderen Müttern - wurde ja auch ganz schön viel abverlangt: Kinder, Beruf, Haushalt mussten plötzlich irgendwie gleichzeitig und meistens ganz ohne Unterstützung funktionieren.

Anschauen, statt verdrängen und vergessen

Es gibt einen Song, der mich damals in der Mutter-Kind-Kur begleitet hat – und auch in den vergangenen Wochen hat er mir immer wieder gut getan, nämlich „Geplatzter Knoten“ von Ingo Pohlmann. Da heißt es in der ersten Strophe: „Es kommt ne Zeit da fragst du dich, warum du nur noch so müde bist. Es kommt ne Zeit da du fragst dich, ob du verdrängst oder vergisst.

Ja, genau so fühlt sich das manchmal an. Aber: das ist ok, das darf sein.

Es kommt ne Zeit da fragst du dich, warum du nur noch so müde bist.
Es kommt ne Zeit da du fragst dich, ob du verdrängst oder vergisst.
Was dir einmal deine Flügel gab, ist jetzt das, was dich runterdrückt.
Du bekommst schon viel zu lange nichts mehr von dir, von dir zurück.

Und vor Angst läuft dir der Schweiß in Tropfen über dein Gesicht.
Hör auf dich abzuklopfen, bis von dir nichts mehr übrig ist!

Wenn die Lebenslust mal abhanden kommt

Auch, wenn meine Lebenslust mal nicht so da ist: Sie kommt wieder! Das vermittelt mir der Refrain, in dem es heißt: „Doch es ist alles noch da, zwar nichts wie es war. Bist dir im Grunde genommen nur kurz abhanden gekommen.“ Und es geht ermutigend weiter: „Vertrau deiner Seele, vertraue deinem Herz. Gib dir diese Runde, nimm Abstand und gesunde: Jetzt und in der Stunde deines Lebens und sag: ja!“

Doch es ist alles noch da, zwar nichts wie es war
Bist dir im Grunde genommen nur kurz abhanden gekommen
Vertrau deiner Seele, vertraue deinem Herz
Gib dir diese Runde, nimm Abstand und gesunde:
Jetzt und in der Stunde deines Lebens und sag: ja!!!

Der Rettungsring „Ja“

„Ja!“ - Dieses kleine Wörtchen fühlt sich an wie ein zugeworfener Rettungsring! In der Kur an der Nordsee hab ich gelernt, ja zu sagen. Ja dazu, dass ich an meine Grenzen kommen und erschöpft sein darf. Und vor allem: „Ja“ zu mir selbst. Das allerdings hört sich einfacher an als es ist.

Licht am Ende des Tunnels

Ingo Pohlmann scheint dieses Gefühl gut zu kennen. Auch er hat schon Tiefpunkte in seinem Leben erlebt, das erzählt der norddeutsche Sänger in einem Interview. Da sagt er: „Das sind Phasen, in denen man sich verändert... Das fühlt sich dann immer erst mal an wie Stillstand - bis wir aus dem Tunnel rauskommen und vielleicht merken, dass wir etwas geschafft haben.“

Still stehen und Prioritäten erkennen

„Stillstand“ – das klingt ganz nach „Lockdown“. In den ersten Wochen mit Corona waren wir ja alle ausgebremst. Andererseits haben sich durch diesen Stillstand auch einige Dinge zum Positiven verändert: Ich hab zum Beispiel viel darüber nachgedacht: Was hat für mich wirklich Priorität im Leben? Und ich hab entsprechende Entscheidungen getroffen.

Während des Lockdowns fiel es mir schwer, gar nichts gegen diese Krise ausrichten zu können. Eigentlich verändere ich gern die Welt – und jetzt konnte ich gar nichts tun. Ich hab gemerkt: Die Welt und was auf ihr passiert, verändert mich gerade.

Die Welt verändert sich und mich

Da passt die zweite Strophe wie die Faust aufs Auge. Da werde ich nämlich gefragt: „Wolltest du die Welt verändern und bemerkst, dass sie dich verändert hat?“

Welt verändern – das kann ganz schön anstrengend sein. Da braucht es hin und wieder Abstand und Pausen. Dann erkenn ich auch, was Pohlmann singt: „Zwischen dir und dem, der aus dir wird, brauchte es nur etwas Platz.“ Und: „Keinen deiner Kämpfe musstest du umsonst bestehen: Sie sind Teil deiner Liebe, sie wird das Dunkel überstehen.“

Wolltest du die Welt verändern und bemerkst, dass sie dich verändert hat?
Zwischen dir und dem, der aus dir wird, brauchte es nur etwas Platz.
Keinen deiner Kämpfe musstest du umsonst bestehen:
Sie sind Teil deiner Liebe, sie wird das Dunkel überstehen.

Geprägt durch Helles und Dunkles

Das tut gut: Dass da einer mit Lust und Power von diesen anstrengenden Phasen erzählt, die ich kenne – wofür mir aber die Worte fehlen. Und gleichzeitig sagt er: Das gehört dazu - und es geht auch wieder vorbei.

Vor allem der Satz gefällt mir: „Keinen deiner Kämpfe musstest du umsonst bestehen, sie sind Teil deiner Liebe, sie wird das Dunkel überstehen.“ Der klingt so poetisch, dass er mich an einen Psalm, ein Gebet aus der Bibel erinnert. Da hört sich das nämlich ganz ähnlich an. Da heißt es: „Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, Gott, die Nacht leuchtet wie der Tag.“ (Psalm 139, Vers 12). Für mich bedeutet das: Bei Gott ist alles aufgehoben, das Helle und das Dunkle in meinem Leben. Beides ist Teil meiner Geschichte geworden. Wahrscheinlich bin ich in den Krisen meines Lebens sogar gewachsen, hab mich entwickelt - auch, wenn Narben zurückgeblieben sind. Alles das bin ich.

Meine verborgene Energiequelle „Seele“

Letztlich kann ich nur deshalb ich sein, weil jemand „ja“ zu mir gesagt hat: Meine Eltern vor vielen Jahren. Mein Mann immer wieder. Und ich glaube: ganz am Anfang - und immer wieder - auch Gott.

Dieses „Ja“ hat eine Spur in mir hinterlassen – und diese Spur nenne ich: meine Seele. Sie ist der Teil in mir, der intuitiv weiß, wozu ich eigentlich da bin, was wesentlich ist. Der auch nicht vergisst, was ich erlebt und gelernt habe. Und der - wie eine kraftvolle, verborgene Energiequelle in meinem Innern - irgendwie alles am Laufen hält.

Etwas konkreter beschreibt das auch Pohlmann: „In dir ist sowas wie ein Rekorder, der alles, was passiert, dir hinzuaddiert. In dir ist sowas wie eine Batterie, die hin und wieder ausläuft, und den Anschluss verliert.“

In dir ist sowas wie ein Rekorder,
Der alles, was passiert, dir hinzuaddiert.
In dir ist sowas wie eine Batterie, die hin und wieder ausläuft, und
den Anschluss verliert.

Abstand gewinnen, um mich wiederzufinden

Das ist die Herausforderung: den Anschluss an mich selbst wieder zu finden. In meiner Kur damals hab ich diese Erfahrung gemacht. Aber ich musste erst Abstand gewinnen vom Alltag, um zu entdecken: Da ist ein deutliches, strahlendes „Ja“ in mir! „Vertrau deiner Seele, vertraue deinem Herz!“, dann kriegst du auch wieder richtig Lust aufs Leben!

„Geplatzter Knoten“ heißt der Song, und ich kann verstehen, warum: Wenn ich begreife, dass es dieses „Ja“ in mir gibt, dann platzt da ein Knoten - vielleicht ein Knoten der Angst, nicht gut genug, nicht leistungsfähig genug zu sein. „Geplatzter Knoten“: Das ist ein gutes Gefühl.

Nimm das Hoch und Runter an – und gesunde

Pohlmann singt vom Gesundwerden „jetzt und in der Stunde deines Lebens“. Mich erinnert die Formulierung an das alte Gebet „Gegrüßet seist du, Maria“, da heißt es am Ende nämlich: „Jetzt und in der Stunde unseres Todes“. Das ist ein aufregender Perspektivwechsel: Nicht auf den Tod, sondern auf das Leben schauen! Die Botschaft des Songs lautet: Ich kann mitten in der „Stunde meines Lebens“, hier und jetzt, „gesunden“, heil werden, Lust am Leben haben, auch wenn dieses Leben mich manchmal unglaublich anstrengt, ausbremst oder traurig macht. Alles gehört dazu.

Mach mal Pause - und sag "ja!"

Ja dazu zu sagen: das hab ich damals in der Kur gelernt. Corona hat mich trotzdem ziemlich aus dem Tritt gebracht. Deshalb bin ich froh, einen Song zu haben, der mich kraftvoll daran erinnert: „Du hast Grenzen, das ist ok. Mach einfach mal Pause, geh auf Abstand – und sag ja zum Leben und zu dir selbst.“  

Doch es ist alles noch da, zwar nichts wie es war
Bist dir im Grunde genommen nur kurz abhanden gekommen
Vertrau deiner Seele, vertraue deinem Herz
Gib dir diese Runde, nimm Abstand und gesunde:
Jetzt und in der Stunde deines Lebens und sag: ja!!!

https://www.dnn.de/Dresden/Lokales/Pohlmann-bei-der-Schloessernacht-Bevor-ich-Deutscher-bin-bin-ich-Mensch

Songtext:

Es kommt ne Zeit da fragst du dich, warum du nur noch so müde bist
Es kommt ne Zeit da du fragst dich, ob du verdrängst oder vergisst
Was dir einmal deine Flügel gab, ist jetzt das, was dich runterdrückt
Du bekommst schon viel zu lange nichts mehr von dir, von dir zurück

Und vor Angst läuft dir der Schweiß in Tropfen über dein Gesicht
Hör auf dich abzuklopfen, bis von dir nichts mehr übrig ist!

Doch es ist alles noch da, zwar nichts wie es war
Bist dir im Grunde genommen nur kurz abhanden gekommen
Vertrau deiner Seele, vertraue deinem Herz
Gib dir diese Runde, nimm Abstand und gesunde:
Jetzt und in der Stunde deines Lebens und sag: ja!

Wolltest du die Welt verändern und bemerkst, dass sie dich verändert hat?
Zwischen dir und dem, der aus dir wird, brauchte es nur etwas Platz
Keine deiner Kämpfe musstest du umsonst bestehen:
Sie sind Teil deiner Liebe, sie werden das Dunkel überstehen

Doch kein Wort, das aus Erfahrung spricht, hätte jetzt noch bei dir Gewicht
Alle deine Räder müssen stehen in der Tiefgarage der Ideen

Doch es ist alles noch da, zwar nichts, wie es war
Bist dir im Grunde genommen nur kurz abhanden gekommen
Vertrau deiner Seele, vertraue deinem Herz
Gib dir diese Runde, nimm Abstand und gesunde:
Jetzt und in der Stunde deines Lebens und sag: ja!

In dir ist sowas wie ein Rekorder,
Der alles, was passiert, zu dir hinzuaddiert
In dir ist sowas wie eine Batterie, die hin und wieder ausläuft, und
den Anschluss verliert

Doch es ist alles noch da, zwar nichts wie es war
Bist dir im Grunde genommen nur kurz abhanden gekommen
Vertrau deiner Seele, vertraue deinem Herz
Gib dir diese Runde, nimm Abstand und gesunde:
Jetzt und in der Stunde deines Lebens und sag: ja!

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