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hr4 Gottesdienst am Zweiten Weihnachtstag aus der Evangelischen Friedenskirche in Offenbach
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hr4 Gottesdienst am Zweiten Weihnachtstag aus der Evangelischen Friedenskirche in Offenbach

Henriette Crüwell
Ein Beitrag von Henriette Crüwell, Evangelische Pfarrerin, Offenbach - inzwischen Pröpstin für Rheinhessen
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10.04 Uhr - 11.00 Uhr

"Der alte Mann und das Neugeborene"

Die Predigt hält Pfarrerin Henriette Crüwell.

Liebe Hörerinnen und Hörer!

Das Schönste an Weihnachten ist für mich in normalen Jahren, wenn ich die leuchtenden Augen der Kinder sehe beim Krippenspiel am Heiligen Abend hier bei uns in der Friedenskirche. Sie spielen die Weihnachtsgeschichte als Maria und Josef, Engelchen und Königinnen, Hirten und Schafen.

Wenn die Kinder dann schließlich alle miteinander im Stall von Bethlehem angekommen sind, strahlen sie sowas von um die Wette, dass auch die Großen nicht anders können, als sich einfach mitzufreuen.

Krippenspiel per Film

In diesem Jahr konnte unser Krippenspiel nicht stattfinden. Aber: Wir haben mit den Kindern zusammen einen kleinen Film gedreht, den sich unsere Gemeinde am Heiligen Abend per Zoom-Videokonferenz anschauen konnte.

Und nicht nur die Leute hier in Offenbach. Auch die Großeltern in München, Hamburg, Darmstadt und anderswo, die ihre Enkelschar zum Fest diesmal nicht besuchen konnten, waren digital dabei. Wir hatten in unserem Film sogar ein richtiges Christkind in der Krippe: die fünf Monate alte Hanna.

Der Seufzer "Mal sehen!"

Gott sei Dank! Es ist also doch wieder Weihnachten geworden. Wenn es in den vergangenen Monaten um das Fest aller Feste ging, meinte immer wieder jemand mit einem tiefen Seufzer: "Mal sehen! Mal sehen, wie es an Weihnachten wird. Hoffentlich wird’s. Es muss einfach werden!"

In diesem Seufzer klang die ganze Sehnsucht mit, dass wenigstens der Heilige Abend so sein möge wie immer.

Seit März hören wir dieses "mal sehen" an fast jeder Straßenecke: Mal sehen, wann die Schulen und Kitas wieder aufmachen, und mal sehen, ob wir in den Urlaub fahren können, und mal sehen, was aus der Geburtstagsparty oder dem Konzert wird, für das wir doch schon die Tickets haben. Die schon so lange geplante Hochzeit – verschoben und mal sehen, ob sie nächstes Jahr stattfinden kann.

Und eben auch, mal sehen, ob und wie es Weihnachten wird!

An der Grenze unserer Kraft

Mal sehen. Diese zwei Worte können ein ganzes Lebensgefühl bestimmen. Fast das ganze Jahr leben wir nun schon damit, dass wir nicht weiterschauen können als von jetzt auf gleich, dass wir die andauernde Unsicherheit aushalten müssen. Immer wieder muss etwas abgesagt und auf unbestimmt verschoben werden. Die Enttäuschung darüber bringt uns schmerzlich bis an die Grenzen unserer Kraft.

Aber jetzt, jetzt ist wirklich wieder Weihnachten!! Gott sei Dank! Und wir haben den Heiligen Abend gefeiert. Ja, anders, aber vielleicht auf eigene Weise intensiv.

"Das Christkind ist mir gerade in den dunklen Jahren nie verloren gegangen."

In den letzten Tagen erzählte mir eine alte Dame: Sie hat in ihrem Leben schon so oft befürchtet, dass Weihnachten ausfallen könnte. Als kleines Mädchen in den schrecklichen Kriegsjahren. Später dann besonders in dem Jahr, als ihr Mann gestorben war. Und auch, als ihre Tochter mit der Familie nach Amerika ging, da habe sie jedes Mal gedacht: "Mal sehen, wie Weihnachten wird."

Aber dann ist es doch anders gekommen, als sie befürchtet hat. Die alte Dame sagt: "Das Christkind ist mir gerade in den dunklen Jahren nie verloren gegangen."

Gesicht mit feinen Spuren und leuchtenden Kinderaugen

Es gibt alte Menschen mit leuchtenden Kinderaugen. In ihren Gesichtern hat das Leben feine Spuren hinterlassen. Man sieht die Anzahl der Lebensjahre. Aber ihre Augen sind wach und blitzen wie die Augen eines Kindes. Voll Vertrauen und Erwartung schauen sie in die Welt. Auf der Suche nach dem, was es auch für sie noch alles zu entdecken gibt. Sie haben schon so viel gesehen, aber eben immer noch nicht genug. Sie können noch immer staunen und sich an dem freuen, was sie sehen.

Hochbetagt und hoffnungsvoll

Auch die beiden besonderen Bibelgestalten im heutigen Evangelium haben in ihrem langen Leben viel gesehen - und noch mehr erlebt. In der Bibel steht: Die Prophetin Hanna war sieben Jahre verheiratet und den Rest ihres Lebens verwitwet. In ihrer Zeit war das Grund genug, zu verzweifeln und mit dem Schicksal zu hadern. Aber nicht für Hanna. Sie hat nie aufgehört, an die Liebe zu glauben und daran, dass es immer eine Zukunft gibt.

Das Leben hält noch etwas ganz Besonderes bereit

Simeon, der andere Hochbetagte in der Geschichte aus der Bibel, hat trotz der Zahl seiner Jahre nach wie vor erwartet, dass das Leben noch etwas ganz Besonderes bereithält. Auf Simeon, so erzählt der Evangelist Lukas, ruhte der Heilige Geist. Er ist also einer, der in Vertrauen auf seinen Schöpfer lebt.

Wie ein Kind glaubt er daran, dass Wunder wahr werden. Irgendwann hat er die Verheißung bekommen: Du wirst nicht sterben, bevor du nicht den Retter, den Gott schickt, den Messias gesehen hast.

Eingebung

Simeon hat die Eingebung: Geh in den Tempel! Und so ist er da, als Maria und Josef mit ihrem neugeborenen Sohn Jesus in den Tempel kommen, um Gott zu danken. Der alte Simeon nimmt das Kind auf seine Arme und spürt: Seine tiefe Sehnsucht geht endlich in Erfüllung. Simeon sagt: "Gott, nun lässt du mich in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen."

Die Prophetin Hanna ist ebenfalls im Tempel. Sie stimmt in dieses Staunen ein. Sie preist Gott und sagt allen: Nun ist die Erlösung da.

Woher weiß ich, dass das der Moment ist?

Immer wenn ich die Geschichte von Hanna und Simeon höre, frage ich mich: Was haben die zwei damals eigentlich gesehen? Woher wussten sie, dass dieses Kind, das Simeon da in seine Arme nimmt, dass dieses Kind Jesus der ist, auf den sie so lange gewartet haben?

Denn mit keinem Wort wird in der biblischen Geschichte beschrieben, wen Maria und Josef da in den Tempel bringen! Und selbst die Eltern sind sehr verwundert, als sie hören, was die Hochbetagten über ihren Sohn sagen.

Wunder erwarten

Aber offensichtlich wissen die beiden älteren Menschen: Gott kommt anders, als alle erwarten. Er kommt als hilfloses, kleines Kind. Die Macht seiner Liebe liegt in den Armen dieses alten Mannes Simeon.

Vielleicht ist es ja die Sehnsucht, von der sich Simeon und Hanna auf ganz besondere Weise leiten lassen. Sie sehen mehr. Sie erwarten Wunder. Und das hat ihnen geholfen, sich durch alle die Jahre ihre Träume zu bewahren.

Nähe und Normalität herbeisehnen

Mir hilft das in diesem bedrückenden Jahr 2020, in dem ich mich so sehr nach Nähe und Normalität sehne. Die Hoffnung hochhalten. Wunder erwarten. Und Wunder können so klein daherkommen und doch so groß sein wie ein neugeborenes Kind auf den Armen eines alten Mannes.

Ich hoffe, wenn ich meine Augen dafür offenhalte, dann wird es Weihnachten. Zwar anders. Aber wie immer: Weihnachten.

The very first Noel

Das war beim allerersten Weihnachten auch schon so. Gott kam als ein Mensch unter Menschen in diesem kleinen Kind Jesus.

Und wo wir anfangen, Gott zu vertrauen und auf seine Wunder zu hoffen, da schauen wir mit hellen Kinderaugen in die Welt. Mit Gottes Augen! Mit Weihnachtsaugen eben. Trotz aller Bedrückung, die wir auch heute nicht vergessen und die viele auch heute spüren.

Was wir trotzdem dieses Jahr an Schönem gesehen haben

Aber wir haben in diesem Jahr auch viel Schönes erlebt und gesehen. Wir haben gesehen, was alles möglich ist, wenn wir zusammen an einem Strang ziehen und füreinander Verantwortung übernehmen.

Wir haben gesehen, wie schon die Kleinsten auf vieles verzichten, damit sie und ihre Lieben gesund bleiben können. Wir haben gesehen und wir sehen, wie Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte überall auf der Welt weit über ihre Grenzen hinausgehen, um niemanden allein zu lassen.

Einfallsreichtum und Wärme

Wir haben gesehen, wie Nachbarn füreinander sorgen, wie die Jungen für die Älteren einkaufen gehen und wie Menschen mit großem Einfallsreichtum und mit viel Wärme einander nahe sind. Trotz Maske und Abstand.

Und wir haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gesehen, die rund um die Uhr nach einem Impfstoff suchten und ihn, so Gott will, nun hoffentlich auch gefunden haben.

Wo finde ich Gottes Nähe?

Ich halte die Augen auf und sehe in vielen kleinen und großen Zeichen: Gott wirkt mit seiner Liebe auch heute unter uns. Gott ist uns nahe. Gottes Nähe ist spürbar in liebevollen Worten und aufmerksamen Gesten, die Menschen sich schenken.

Seine Liebe erscheint in den Augen eines Neugeborenen genauso wie in den vom Leben gezeichneten und doch erwartungsvollen Gesichtern eines alten Mannes, einer hochbetagten Frau.

Ich nehme Gott beim Wort

Ich glaube: Da, wo wir uns nach Gott und seiner Liebe sehnen, da finden wir ihn auch! Das hat Gott versprochen. Und ich nehme Gott beim Wort.

Mal sehen. Ja, wir sehen und hören, was der Engel damals den Hirten gesagt hat. Die Worte wirken bis zu uns heute: "Fürchtet euch nicht!"

Amen.

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