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Fenny, der Wüstenfuchs
gettyImages/Rawlinson_Photography

Fenny, der Wüstenfuchs

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Eines meiner liebsten Bilderbücher als Kind war: Fenny, der Wüstenfuchs. Fenny ist ein junger Fuchs, der in der Wüste lebt. Sein Fell ist gelb wie die Wüste. Niemand kann ihn entdecken, wenn er es nicht will. Sein bester Freund ist ein älterer Löwe. Die beiden versprechen sich, immer beieinander zu bleiben.

Ein Vogel setzt dem Wüstenfuchs Fenny eine verrückte Idee ins Ohr

Doch eines Tages setzt ein kleiner Vogel dem Wüstenfuchs Fenny eine verrückte Idee ins Ohr. Der freche Vogel vermittelt Fenny das Gefühl: „Das, was du hast und wie du lebst, ist nicht besonders toll. Zu wenig Bäume. Keine anderen Füchse. Viel besser ist das Land der roten Füchse.“

Fenny zieht in die Welt

Fenny hält es nicht länger zu Hause aus. Er muss die weite Welt sehen. Es gibt bestimmt einen Ort, wo es noch schöner ist als hier bei ihm in der Wüste.

Viele Leute machen scheinbar mehr aus ihrem Leben

Manchmal geht es mir ähnlich wie Fenny. Ich schaue mich um und finde überall Leute, die scheinbar mehr aus ihrem Leben machen. Nein, ich muss nicht unbedingt in ein anderes Land reisen. Aber ja, manchmal erscheint mir mein Leben etwas langweilig, wenn ich es mit anderen vergleiche. Ich sehe die Statusnachrichten von Bekannten und Freunden, was die im Alltag so nebenher und locker hinbekommen. Gerade in Corona-Zeiten.

Ein Freund geht jedes Wochenende wandern im Rheingau oder im Taunus. Dafür ist er schon in aller Herrgottsfrühe unterwegs. Eine andere Freundin lernt gerade Spanisch, liest spanische Bücher, schaut spanische Filme. Ein befreundetes Ehepaar kocht fast jeden Abend ein interessantes neues Gericht. Bei den Fotos läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

Beruf und Familie vereinbaren, ist auch schon eine Leistung

Und ich? Ich schaffe das alles nicht. Beruf, zwei Kinder, Begleitung des Distanzunterrichts. Beruf und Familie vereinbaren, ist ja auch schon eine Leistung. Abends bin ich so erledigt vom Tag, da ist an Spanischlernen oder aufwändig kochen nicht zu denken.

Die weite Welt ist für Fenny ist am Ende doch nicht so attraktiv

Und was erlebt Fenny, der Wüstenfuchs, auf seiner Reise durch die Welt? Im Land der roten Füchse gibt es zwar leckere Gänse, aber auch todbringende Jäger. Im Land der weißen Füchse ist es kalt, es gibt nur Fische zum Essen und gefährliche Schlittenhunde. So besonders attraktiv ist die weite Welt da draußen am Ende für Fenny doch nicht. Und für mich?

"Gott hält doch ziemlich viel Schönes für mich bereit"

Mich mit anderen und ihren Highlights vergleichen, tut mir wirklich nicht gut. Dabei möchte ich letztlich mit niemandem tauschen. Selbst wenn ich den Eindruck habe: Mein Alltag bietet kaum Höhepunkte und ich kann nichts Besonderes vorweisen. Gott hält doch ziemlich viel Schönes für mich bereit: einen Abendspaziergang mit meinem Mann oder das Vorlesen für meine Kinder.

"Genau da, wo ich bin, ist es am schönsten"

Der Löwe empfängt seinen Freund Fenny nach der Reise ohne Vorwürfe. Fenny hatte sich ja unhöflicherweise gar nicht verabschiedet. Aber der Löwe kann die Reise-Sehnsüchte des Wüstenfuchses gut verstehen. Der Fuchs würde sonst immer denken: „Anderswo ist es schöner.“ Jetzt hat er verstanden: „Genau da, wo ich bin, ist es am schönsten.“

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