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Ein hörendes Herz
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Ein hörendes Herz

Ein Beitrag von Isabell Trautmann, Pastoralreferentin St. Franziskus, Kelkheim
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Stellen Sie sich vor: die gute Fee erscheint und Sie haben drei Wünsche frei. Dieses beliebte Motiv kommt in vielen Märchen vor. Meist dient es dazu, die Protagonisten vorzuführen: so töricht und banal sind unsere schnell ausgesprochenen Wünsche. Oder zwei teilen sich die Wünsche auf und haben dann Anlass zum Streit: Aus Wut über ihren vertanen, unsinnigen Wunsch, verflucht er sie, und der dritte Wunsch wird verbraucht, um den Zweiten rückgängig zu machen. Oder die beiden geben sich viel Mühe beim Nachdenken, überlegen hin und her, und dann rutscht ihnen versehentlich ein Wunsch heraus, über den sie sich gemeinsam lange ärgern.

Was bleibt, wenn alle Wünsche erfüllt werden?

Es gibt auch die ganz Schlauen, die sich zum Schluss immer mehr Wünsche wünschen. Die bekommen zum Lohn ein bequemes Leben und der Flaschengeist bleibt für immer ein gequälter Diener. Bei diesem Ausgang frage ich mich dann: ist ein möglichst bequemes Leben wirklich das große Ziel?

Doch lieber wieder ein „normales“ Leben

Meine sechsjährige Tochter hat einen ganz klaren Wunsch, den wohl viele mit ihr teilen: „Das mit Corona soll aufhören“. In dem modernen Märchen „Bruce allmighty“ – der allmächtige Bruce – bekommt ein Mann von Gott für eine gewisse Zeit die Gabe verliehen, dass alles sofort geschieht, was er will und wünscht. Nach viel Chaos und mehr oder weniger lustigen Begebenheiten steht der Neuallmächtige kurz vor der Verzweiflung. Er leidet unter der riesigen Verantwortung für das, was er bewirkt hat, und wünscht sich sein normales Leben zurück.  

Was wünsche ich wem?

Wenn ich mir etwas wünsche – entscheide ich mich dann eher für mein persönliches Wohlergehen? Oder für eine heile Welt für alle? Für eine gesunde Mischung aus beidem? Soll es beim Wünschen um Glück gehen oder um das Gute, was immer das auch sei?

Was sind meine Herzenswünsche?

MUSIK: Jaques Ibert: Scherzetto (CD: Jaques Ibert, Chamber Music, CD 1, Track 2)

Ein schweres Erbe

Ein junger Mann tritt ein wichtiges Amt an. Er übernimmt es von seinem übermächtigen, beliebten und gewieften Vater, der es 40 Jahre lang inne hatte. Jetzt ist der Vater tot. Der Sohn tritt ein schweres Erbe an: Kann er den Herausforderungen und den vielen Erwartungen an ihn gerecht werden? Er ist jung, unerfahren, vielleicht unsicher und möchte gerne alles richtig machen. Und er fühlt sich der großen Aufgabe nicht gewachsen.

Die Wünsche der anderen wahrnehmen

Das ungefähr wird von König Salomo am Anfang des ersten Königsbuches in der Bibel erzählt. Da erscheint ihm im Traum Gott selbst und fordert ihn auf: „Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll!“ Nur einen Wunsch hat der junge König frei. Was brauche ich wirklich? Salomo weiß, was ihm helfen wird, sich und andere zu führen, und er antwortet: „Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht!“ (1 Könige 3,9)

Ein bald 3000 Jahre alter Text, ein unglaublich schönes Bild: das hörende Herz. Was bedeutet dieser Wunsch?

Mit dem Herzen hören

Schon in der antiken ägyptischen Weisheitslehre wird festgehalten, wie wichtig das Zuhören ist. Nur als Hörende kann ich jemand werden, auf den gehört wird. Und in den Weisheitsbüchern der Bibel beginnt eine Lehrrede oft mit dem Aufruf zum Hören. Weise kann werden, wer zu hören versteht. Das „Hören“ meint hier das aufmerksame „Zuhören“. Der Weise hört, bevor er antwortet. Das aufmerksame Hören ist wichtiger, als die eigene Einsicht und kluge Erkenntnisse.

Sich öffnen und aufnehmen

Und auch für Beterinnen und Beter ist das Hören ganz entscheidend. In einem Psalm heißt es: Gott will nicht Opfer, „doch Ohren hast du mir gegraben“ (Psalm 40,7). Ganz tief kann Gottes Wort so in den Menschen eindringen. Auf Gott hören und dann tun, was Gott gesagt hat, das ist die Grundhaltung des betenden Menschen. Das Hören ist ein wesentliches Element echter Frömmigkeit. Umgekehrt ist die Grundlage allen Betens das Vertrauen darauf, dass Gott mich hört. Geglückte Verständigung – hören und gehört werden – und die Verbindung, die daraus erwächst, ist im Zwischenmenschlichen ganz wesentlich. In der Beziehung zu Gott ist es genauso.

Hören und Nicht-Hören entscheiden in vielen Bibelgeschichten über das Schicksal des Menschen. Denn wer nicht bereit oder fähig ist, Gottes Nähe durch das Hören auf sein Wort zu suchen, der verfehlt nach biblischer Auffassung sein Leben.

MUSIK: Jaques Ibert: Francaise for solo guitar (CD: Jaques Ibert, Chamber Music, CD 1, Track 16)

Nimm mich wahr und höre mir zu

Wenn ich einem Menschen nahe sein will, ist es wichtig, ihm oder ihr zuhören zu können. „Nicht sehen trennt von den Dingen, aber nicht hören trennt von den Menschen.“ Dieser Immanuel Kant zugeschriebene Satz bringt auf den Punkt, wie wichtig Hören ist, um  Gemeinschaft zu erleben. Wenn ich „Du hörst mir nicht zu“ sage, drückt das eine Verletzung aus und zeigt, dass für mich in der Verständigung etwas schief läuft. Oft ist der Satz Anfang oder Ausdruck eines Streites. Wer nicht bereit oder fähig ist, auf andere zu hören, kann nur schwer anderen Menschen nahe sein. Ich will wahrgenommen und verstanden werden, und ganz wichtig dabei ist, wie mir jemand zuhört. Ich wünsche mir eine Zuhörerin oder einen Zuhörer, die oder der sich wirklich für mich interessiert. Jemand, der offen ist für meine Erfahrungen, meine Gefühle und meine Meinung. Dann fühle ich mich frei, von mir zu erzählen.

Aufmerksames Zuhören schafft Freiräume

Dagegen kränkt und enttäuscht mich, wenn mein Zuhörer nur die Bestätigung der eigenen Weltsicht hören will. Wer mein Gesagtes nur mit den eigenen Ansichten abgleichen will, wirkt auf mich alles andere als anziehend. Wer nur das Eigene im Anderen sucht, bringt sich um die Bereicherung, die der Austausch mit einem Gegenüber bedeutet. Meine Freunde bereichern mich, gerade weil sie anders sind als ich. Beim aufmerksamen Zuhören will ich mich zurücknehmen, ich will versuchen, mein Gegenüber zu verstehen. So entsteht ein Freiraum, den er oder sie füllen kann. So kann eine Beziehung wachsen, und ich kann Gemeinschaft erleben.

Suchen und erkennen, was Gott mir sagen will

Der junge König Salomo aus der Bibel bittet Gott zu Beginn seiner Königsherrschaft um ein hörendes Herz. Hören können ist in der Bibel das Merkmal des weisen Menschen. Was ich höre, kommt von außen. Der weise Mensch erfasst, dass die Wahrheit nicht aus ihm oder ihr selbst kommt. Sie tritt von außen an den Menschen heran. Es gibt etwas außerhalb von mir, das wirklich ist, das einen Anspruch an mich hat. Was ich höre, fordert mich auf, darauf zu reagieren. Die wichtigste Rolle beim Weise-werden spielt in der Bibel das Wort Gottes. In den biblischen Geschichten wird das so dargestellt, dass Gott direkt oder über Boten mit den Menschen spricht. Was Gott sagt, wird für nachfolgende Generationen in Erzählungen und Gebotenfestgehalten. Diese Worte, die Handlungsanweisungen, die Gott den Menschen gibt, sollen zu einem geglückten Zusammenleben führen. Sie dienen dem Leben. Im biblischen Weltbild wird weise, wer auf Gott hören will, wer die Beziehung zu Gott sucht und danach zu Handeln trachtet.

Man hört nur mit dem Herzen gut

Dabei ist das wichtigste Organ beim Hören in der Bibel nicht das Ohr, sonders das Herz. Im heutigen Sprachgebrauch steht das Herz meist einseitig für das Gefühl, für unsere emotionale Seite. Im biblischen Menschenbild bezeichnet das Herz die Mitte und das Ganze des Menschen. Es ist das zentrale Denkorgan. Auf Gott hören zu wollen, fordert den Verstand heraus, das Erkenntnisvermögen. Salomo bittet Gott um ein hörendes Herz. Das meint nicht heimelige Innerlichkeit, sondern innere Klarheit. Die Klarheit, die sich im zwischenmenschlichen Handeln bewährt. Salomo sucht praktische Klugheit und ein gradliniges Gewissen, Eigenschaften, die ihm helfen, seine Mitmenschen zu führen und ihnen so zu begegnen, dass es dem Leben dient.

MUSIK: Jaques Ibert: Entr’acte for flute and guitar (CD: Jaques Ibert, Chamber Music, CD 2, Track 1)

Gott schenkt Salomon Weisheit und Verstand

Salomo ist jung und verunsichert, als er König über das Volk Israel wird. Er weiß, was ihm fehlt, um seine Lebensaufgabe erfüllen zu können. So wünscht er sich von Gott ein hörendes Herz, damit er Gottes „Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.“ (1 Könige 3,9) Das hörende Herz ist kein Selbstzweck. Salomo wünscht sich einerseits, offen zu sein für die anderen, die Welt und für Gott. Und er wünscht sich Orientierung in seinem Leben. Das ist ihm wichtiger als Gesundheit, langes Leben und Reichtum. Salomo versteht sich als Geschöpf Gottes und will von dieser Weltsicht sein Leben und Handeln bestimmen lassen. Er vertraut darauf: Die Fähigkeit, mit Gott und den Menschen in Beziehung zu sein, wird ihn durch alle Unwägbarkeiten des Lebens tragen.

Diese Wunschgeschichte aus der Bibel geht so weiter: Gott freut sich über den Wunsch Salomos. Er verspricht: „Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und nicht um langes Leben, Reichtum oder um den Tod deiner Feinde, sondern um Einsicht gebeten hast, um auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen. Sieh, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht. Aber auch das, was du nicht erbeten hast, will ich dir geben: Reichtum und Ehre, sodass zu deinen Lebzeiten keiner unter den Königen dir gleicht.“ (1 Könige 3,11-13)


Gottes Weisungen erkennen und befolgen

Die Wunschgeschichte des jungen Salomo ist ein Beispiel für die Verheißung der Bibel, dass ein Mensch sich selbst gewinnt, wenn er sich an Gott ausrichtet. Salomo möchte verstehen und tun, was Gott will. Er will Gottes Weisungen folgen, weil er glaubt: So wird sein eigenes und das Leben seiner Untertanen besser, reicher.

Wer gehört wird, fühlt sich ernst- und angenommen

Die Fähigkeit, die Bedürfnisse anderer Menschen heraus zu hören - wie kompliziert auch immer sie vom Sprechenden verpackt wurden -, ist heute genauso bedeutend wie vor 3000 Jahren. Es gibt Therapieansätze in der Psychologie, die genau darauf beruhen: Durch Zuhören erfassen, was der oder die Andere braucht, und durch die Wiedergabe dieses Gehörten dem Gegenüber Empathie schenken. Zuhören schafft so einen Raum, in dem sich ein Mensch angenommen fühlt. Dadurch wird Heilung ermöglicht. Auch für Eltern ist die Fähigkeit, ihren Kindern zuzuhören wichtiger, als einfach etwas anzuordnen und so über ihre Kinder zu bestimmen. In der Erziehung ist das hörende Herz der Schlüssel, um die Bedürfnisse der Anvertrauten hinter ihrem Verhalten zu erkennen. Und eine Freundschaft oder Partnerschaft wächst, wenn ich auch die Gefühle wahrnehme, die hinter Worten und Gesten versteckt sind.

Frei und offen sprechen können

So zuhören können, bereichert mein Leben – und das Leben meines Gegenübers. Das sind für mich nicht nur Beispiele dafür, wie ich dazu beitragen kann, dass sich Leben entfaltet. Für mich ist das auch eine Gotteserfahrung, weil Gott für alle das Leben in Fülle will. Nicht eingeengt durch die Angst, mich anderen so zu zeigen, wie ich bin. Sondern in der großen Weite, die ich erlebe, wenn in einer Begegnung gegenseitiges Annehmen möglich ist.

Raum und Weite zum Wachsen

Vielleicht haben Sie auch schon einmal so etwas Ähnliches erlebt wie dieser König Salomo und die Erfahrung gemacht: Wenn es mir gelingt, mit dem Herzen zu hören, bekomme ich noch viel mehr dazu geschenkt. Eine wohltuende Begegnung. Eine tiefe Freundschaft. Ein Stückchen heile Welt, das mir und meinem Gegenüber Raum zum Wachsen gibt.

Ein offenes Herz bringt Freude und Zufriedenheit

Wenn es mir gelingt, mich liebevoll für andere zu öffnen, fühle ich mich nicht nur mit einem Menschen verbunden, sondern auch mit Gott. Ich helfe mir und anderen, näher an das zu kommen, was unser Leben lebenswert macht. Mit dem Herzen hören können - ich glaube: Diese Fähigkeit schenkt mir Orientierung und trägt mein Leben besser und verlässlicher als meine momentanen Wünsche und Bedürfnisse. Mit dem Herzen hören – diese Erfahrung gibt mir Freude und Zufriedenheit – mehr, als ich mir wünschen kann.                                                                                 

MUSIK: Jaques Ibert: Andante espressivo (CD: Jaques Ibert, Chamber Music, CD 2, Track 12)

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